Nationalcharakter, Nationalbewusstsein, Nationale Erinnerung

Zur Konstruktion zentraler Begriffe nationaler Identität. Mit Anmerkungen zum Österreichbild von Jugendlichen heute


Abb. 6 Der Heurige als Symbol für die Gemütlichkeit/Geselligkeit

Alois Ecker

Schilderungen über das ‚österreichische Nationalbewusstsein‘ oder die Charaktereigenschaften der ‚Österreicher/ innen‘ werden im Alltag ganz selbstverständlich mit der ,Naturwüchsigkeit‘ der mit Österreich und den Österreicherinnen und Österreichern assoziierten Bilder verknüpft: Ob in der Fernsehwerbung, in den Werbespots des Tourismus oder in den Videoclips der politischen Parteien, die Österreicher/ innen gelten ,immer schon‘ als gemütliche, lustige, lebensfrohe, fleißige, liebenswürdige, friedvolle, versöhnliche und geduldige Menschen, die stolz sind auf die mächtigen Berge und die schöne Landschaft, in der sie leben und die sie mit Sorgfalt pflegen. Ihnen eignet ein Hang zum guten Essen und zur Geselligkeit, den sie in vielen kulturellen Formen, insbesondere aber in ihrer innigen Verbindung zur Musik zu verfeinern wissen.

Aus historischer Perspektive handelt es sich bei den Charakteristiken über die Österreicher/innen um Zuschreibungen, die aus dem politischen und kulturellen Diskurs um die Staatsbildung Österreichs sowie um die Ausformung und die Ausformulierung eines mehrheitsfähigen Bildes über die Nation ‚Österreich‘ entstanden sind(10). Es sind klischeehafte, stereotype Angebote zur Identitäts- und Sinnbildung, die ihre normative Funktion im kulturellen und wirtschaftlichen Leben ebenso entfaltet haben wie im politischen Diskurs. Dies soll im Folgenden an einigen einschlägigen Beispielen erläutert werden.

Abb. 7 "Doch nicht das Österreicher Gen".(Vgl. dazu auf Bild klicken: Josef Weinheber "Der Phäake". )

In der Eingrenzung der Frage nach den ‚natürlich gewachsenen‘ Charaktereigenschaften der Österreicher/innen kommt uns vorweg die Biologie zu Hilfe: Die jüngeren Forschungen der Epigenetik weisen darauf hin, dass die Umwelt des Menschen und die jeweilige Lebensform prägenden Einfluss auf das genetische Material haben. Die Epigenetik differenziert zwischen dem biologisch vererbten Bauplan der DNA und den dynamischen Funktionen des Beschreibens und Ablesens dieser genetischen Baupläne. (Simbruner 2019)(2)

Basierend auf den Erkenntnissen der Epigenetik können wir festhalten: Das Beschreiben und Ablesen der genetischen Strukturen ist keine unbeeinflusste Angelegenheit der biologischen Natur des Menschen, sondern ein sozialer und kultureller Prozess. In diesem Sinne ist es auch eine Verfälschung, von ‚natürlichen‘ oder ‚natürlich vererbten‘ Charaktereigenschaften von Menschen zu sprechen. Soweit bisher bekannt, gibt es kein nationales Gen oder gar ein spezielles Österreicher/innen-Gen. Die sprichwörtlich ‚natürlichen‘ Eigenschaften der Österreicher/innen sind nicht aus quasi unveränderlichen oder unveränderbaren Naturtatsachen zu begründen und in diesem Sinne biologisch vererbt. Umwelt und Kultur nehmen Einfluss auf diese sogenannten ‚Charaktereigenschaften‘.

Abb. 8 Persönlichkeit

Fragen wir nun die Psychologen(3), so müssen wir feststellen, dass der Begriff ‚Charakter‘ in ihrem aktuellen wissenschaftlichen Diskurs kaum mehr eine Rolle spielt. Die Entwicklungs- und die Lernpsychologie kommen ohne ihn aus(4). In der Individualpsychologie, in der klinischen Psychologie und in der psychiatrischen Praxis wurden die Begriffe ‚Charakter‘ und ‚Persönlichkeit‘ lange Zeit synonym verwendet. Mit der Durchsetzung internationaler Standard- Klassifikationen (ICD-10; ICF-10) wurde der Begriff ‚Charakter‘ weitgehend durch den Begriff der ‚Persönlichkeit‘ ersetzt. Dahinter stehen weitreichende konzeptionelle Verschiebungen, z.B. jene hinsichtlich der Differenz zwischen behavioristischen und psychodynamischen Bezugsrahmen. (Kernberg 1985, 116ff) Die frühen psychoanalytischen Typisierungen (Fromm 1932b; Reich 1933; Fenichel 1945) spielen in der heutigen Theoriedebatte – vielleicht zu Unrecht – kaum mehr eine Rolle.

In der Sozialforschung hatte am stärksten die Frankfurter Schule mit den Kategorien der Analytischen Sozialpsychologie gearbeitet, die sich an der damals gängigen Charakter- Typologie der Psychoanalyse orientierte; erwähnt seien besonders die Studien über ‚Autorität und Familie‘ sowie die ‚Studien zum autoritären Charakter‘. (Horkheimer & Fromm et.al. 1936a; Adorno 1950; dt. 1973) Diese Form der sozialpsychologischen Forschung wurde nach der Rückkehr von Horkheimer und Adorno aus den USA und der Wiedereröffnung des Instituts für Sozialforschung (11/1951) nicht mehr fortgeführt.

Die Überlegungen von Erich Fromm, in Erweiterung der individuellen Charakter-Typologie „ausgedehnte Studien über typische Charakterstrukturen verschiedener Nationen (sogenannte ‚Nationalcharaktere‘) [zu] bilden“, wurde niemals umgesetzt. Fromm schlug vor, „dass solche Studien sich nicht nur auf die Kindererziehung konzentrieren sollten, sondern auf die Struktur der Gesellschaft als ganze und auf die Funktionen des Individuums innerhalb dieser Struktur.“ (Fromm 1949c, 214)

Entsprechende oder vergleichbare interdisziplinär konzipierte Studien, die der Komplexität der Fragestellung entsprochen hätten, sind bis heute nicht vorhanden. Alle Aussagen über einen ‚Nationalcharakter‘ sind aus psychologischer und psychoanalytischer Sicht bestenfalls spekulativ, haben aber keine aktuelle wissenschaftliche Basis.

Abb. 9 Stereotype - Völkertafel Steiermark um 1725 (zum Vergrößern auf Bild klicken)

Fragen wir nun weiter bei Linguisten, Sozialpsychologen, Soziologen, Politik- und Kulturwissenschaftern, wie sie die Begriffe ,Charakter‘ oder ,Charaktereigenschaften‘ von Angehörigen einer größeren Gemeinschaft, wie der Nation, behandeln und/oder einordnen, so bekommen wir Antworten, die eine der folgenden Beschreibungen beinhaltet: Es sind gesellschaftliche Konstruktionen (Berger & Luckmann 2016, 98–138), klischeehafte Zuschreibungen, Stereotype (Hahn & Hahn 2002) bzw. sprachliche Rahmen (Wehling 2016), die nicht die Persönlichkeitsmerkmale einer Einzelperson beschreiben wollen, sondern fiktive Merkmale, die auf die Gesamtheit einer Nation in identitätsstiftender Absicht projiziert werden.

Eine relevante Ergänzung zur Analyse von Stereotypen kommt aus der feministischen Geschichtswissenschaft (Hausen 1976)(5) und der Genderforschung, wo der Diskurs über die Differenz zwischen biologischem und sozialem bzw. kulturellem Geschlecht seit den 1970er Jahren weiterentwickelt wurde. Für unsere Frage nach dem ‚Nationalcharakter‘ können wir aus dem Gender-Diskurs die Erkenntnis mitnehmen, dass es sich bei den (psychischen) Charaktertypen, die aus vermeintlich allgemeinen Naturtatsachen begründet werden, um gesellschaftliche Rollenzuschreibungen handelt. Diese Rollenzuschreibungen geben als Norm vor, was in der aktuellen Gesellschaft als wünschenswerte soziale Rolle erscheint.

Stereotype haben appellative und normbildende Funktion, sie bilden einen Deutungsrahmen für die Identität von Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern, mit dessen Anwendung zugleich gesellschaftliche Erwartungen verknüpft sind: Die Österreicher/innen mögen so sein, wie sie das Klischeebild beschreibt. Mit dem Anspruch nach differenzierter Beschreibung von sozialer Realität haben diese Klischees nur insofern zu tun, als sie als wichtiger Einflussfaktor auf das sogenannte ‚Selbstbild‘ der Österreicher/innen fungieren.

Dieses ‚Selbstbild‘ der Österreicher/innen wird seit den späten 1950er-Jahren regelmäßig von Meinungsumfragen ‚beforscht‘ und dabei – nachdem der Frageraster ja vorgegeben ist und die Antworten nicht auf offenen Interviews basieren – von Umfrage zu Umfrage fortgeschrieben. Die großen sozialwissenschaftlichen Umfragen der 1980er-Jahre zum Selbstbild der Österreicher/innen haben die Kontinuität dieser Autostereotype weitgehend bestätigt (vgl. Gehmacher 1982; Ulram 1987; Reiterer 1988)(6), die Veränderungen, die seither mit dieser Methode festgestellt wurden (Bruckmüller & Diem 2020), erscheinen mit Blick auf die Dynamik des aktuellen Kulturwandels nur mehr bedingt repräsentativ.

Im Zusammenhang mit Methoden der Meinungsumfragen sind für unsere Frage nach dem Nationalcharakter sozialpsychologische Studien anderer Provenienz relevant: Eine der erfolgreichsten Methoden der differentiellen Psychologie zur Erforschung der Persönlichkeitsmerkmale von Einzelpersonen wurde 1936 von den amerikanischen Psychologen Gordon Allport und Henry Odbert entwickelt. Ausgehend von der sogenannten lexikalischen Hypothese(7), d.h. der Annahme, dass alle wichtigen Persönlichkeitseigenschaften umgangssprachlich durch Eigenschaftsworte der jeweiligen Sprache repräsentiert sind, werteten die beiden Forscher das umfangreiche Webster’s New International Dictionary aus. Sie erfassten dabei alle sprachlich gefassten Eigenschaften, in Form von Partizipien und Substantiven, die sich auf die Beschreibung, die Handlungsmöglichkeiten und die Verhaltensweisen von Menschen bezogen. Daraus erstellten sie eine Liste von insgesamt 17 953 Eigenschaften. Die gefundenen Eigenschaften wurden für nachfolgende angewandte psychologische Forschungen gruppiert und typisiert. Diese Listen von Eigenschaften bilden bis heute die Grundlage zur Gewinnung von Eingangsdaten für viele Arten von Faktorenanalysen, wie sie in den Meinungsumfragen Anwendung finden. – Mehrere der gängigen Studien über das Selbstbild (sog. Autostereotypen) von Österreicherinnen und Österreichern (Gehmacher 1982, Ulram 1987, Reiterer 1988) arbeiteten mit kleinen Skalen dieser Art.

Bei der häufig zitierten Studie von Reiterer (1988, 101–116) waren z.B. „zur Erarbeitung des Selbstbildes der Österreicher … 23 Eigenschaften vorgegeben, wobei anhand einer dreistufigen Skala (1 = eher ja, 2 = weder-noch, 3 = eher nein) zu beantworten war, wie weit diese Eigenschaften für den ‚typischen‘ Österreicher zutreffen.“ (Reiterer 1988, 101) Beginnend mit den Eigenschaften, die die größte Zustimmung erhielten, waren dies: Gemütlich, lustig, musikalisch, fleißig, tüchtig, hilfsbereit, friedfertig, höflich, intelligent, kompromissbereit, sportlich, beredsam, konservativ, mutig, mittelmäßig, genügsam, schön, großzügig; risikobereit, schlampig, streitsüchtig, teilnahmslos, grausam. (Reiterer 1988, 102) Ab dem Item ‚risikobereit‘ antworteten die rund zweitausend Befragten dabei in aufsteigender Reihe mit „eher nein“.

Abb. 10 Autostereotyp zu typischer Österreicher/in (Erklärvideo zu Stereotypen auf Bild klicken)

Wie Reiterer in der Einleitung zu seiner Studie selbst einschränkt, ist angesichts der Komplexität des behandelten Phänomens die Methode der Meinungsumfrage zu hinterfragen und jedenfalls nicht als ultima ratio einer Studie zum Selbstbild einer großen Bevölkerungsgruppe, oder gar als eine Studie über den Nationalcharakter der Österreicher/innen auszuweisen. Bei Meinungsumfragen zum ‚österreichischen Nationalbewusstsein‘ wird diese Art der Abfrage von sogenannten ‚Autostereotypen‘ jedoch bis heute praktiziert.

Ergänzt sei, dass die historischen Vorlagen für die stereotype Beschreibung von Angehörigen einer Bevölkerungsgruppe bis ins frühe 18. Jh. zurückreichen, nach Angaben bei Franz K. Stanzel (1999) sogar bis ins 16. Jahrhundert: viele der Klischees aus der unten genannten ‚Völkertafel‘ sind bereits 1527 bei Heinrich Cornelius Agrippa (Agrippa, 1527) zu finden. Aus dem frühen 18. Jh. sind besonders die Kupferstiche von Friedrich Leopold aus Augsburg (um 1720) sowie das Gemälde der sogenannten ‚Steirischen Völkertafel‘ (um 1730, Ausseer Land) bekannt(8). Bei letzterer wurden in der „Kurzen Beschreibung der in Europa befintlichen Völckern und Ihren Aigenschaften“ in einer Tabelle stichwortartig Stereotype genannt, welche für die Angehörigen von insgesamt zehn „Völckern“ charakteristisch sein sollten. Beschrieben wurden der „Spanier“, „Frantzoß“ [Franzose], „Wälisch“ [Italiener], „Teutscher“, „Engerländer“, „Schwöth“ [Schwede], „Boläck“ [Pole], „Unger“ [Ungar], „Muskawith“ [Russe] und „Tirk“ oder „Griech“ [Türke oder Grieche](9). – Ein „Österreicher“ scheint auf diesen Tafeln (noch) nicht auf.

Zum Vergleich: In der eingangs zitierten Studie (Ecker & Sperl 2018) haben wir bewusst auf diese nationale Charakter- Typologie verzichtet. Geht man von der Repräsentation jener Personen aus, die die AHS-Schüler/innen als bedeutsame Österreicher/innen nach 1945 genannt haben, so orientieren sich die Jugendlichen heute in der Mehrheit an Persönlichkeiten, die für Diversität, kulturelle Toleranz, gesellschaftliche Kritik, politische Ausgewogenheit, internationalen Wettbewerb und Leistungsorientierung stehen: Politiker wie (Alt-)Bundespräsident Fischer, international erfolgreiche Künstler (Falco, Conchita) oder Sportler/innen (Hirscher, Baumgartner, Alaba, Fenninger). Die Person Adolf Hitlers wird als negatives Beispiel angeführt für einen „Diktator“ oder einen „Politiker, der die Demokratie zerstört hat“. Details zu den Österreichbildern von Jugendlichen, wie sie die eingangs erwähnte Studie „Das Österreichbild in den AV-Medien für den GSKPB-Unterricht und seine Repräsentanz bei AHS-Schülerinnen und Schülern“ ergeben hat (vgl. backend.univie.ac.at/index.php (15.7.2021).

Fassen wir die bisherigen Erkenntnisse, die wir aus dem interdisziplinären Vergleich zum Begriff des ‚Charakters‘ und zum ‚Nationalcharakter‘ gewonnen haben, zusammen, so können wir feststellen, dass die Behauptung eines ‚natürlichen‘ Charakters von Angehörigen einer Nation weder aus der biologischen noch aus der psychologischen Literatur begründet oder begründbar ist. Die Sozialpsychologie und die Linguistik machen uns darauf aufmerksam, dass es sich bei den Vorstellungen von der typischen Österreicherin und vom typischen Österreicher um klischeehafte Bilder handelt, um Stereotype, die keine gesellschaftliche Wirklichkeit abbilden wollen, sondern dem Typ des (sozialen bzw. politischen) Vor-Urteils entsprechen: Beim hier besprochenen Vor-Urteil eines ,National-Charakters‘ wird in der Öffentlichkeit eine Meinung darüber geäußert, wie die Menschen, die einer bestimmten Nation zugerechnet werden, hinsichtlich ihres Verhaltens und ihrer Mentalität beschrieben werden sollen bzw. einzuschätzen sind, und zwar im Vergleich und in Abgrenzung zu Angehörigen anderer Nationen.

Wenn wir die unbestreitbare These, dass jede soziale Ordnung Normen produziert, an dieser Stelle nicht trivialisieren wollen, dann können wir mit Niklas Luhmann diese Stereotype als eine Form der Generalisierung (Luhmann 1984, 444ff) verstehen, die im betroffenen sozialen System sinnbildenden Interessen dienen soll. Offen bleibt, inwieweit – und für wen – diese Generalisierungen als geglückt oder missglückt erscheinen.

Erwartungen, die in einer gewissen Unabhängigkeit vom faktischen Ereignis gelten, auf das sie sich beziehen, kann man auch als generalisiert bezeichnen. … Generalisierte Erwartungen lassen inhaltlich mehr oder weniger unbestimmt, was genau erwartet wird. … Durch zeitliche, sachliche und soziale Generalisierungen wird Unsicherheit aufgenommen und absorbiert. Die Erwartungen gelten trotzdem, und sie genügen den Anforderungen, denn sonst würden sie aufgegeben.“ (Luhmann 1984, 445)

Aus soziologischer Perspektive können wir also davon ausgehen, dass die Beschreibungen des typischen Charakters der Österreicherin oder des Österreichers eine Generalisierung von Menschen vornehmen, die als zur ‚Nation‘ Österreich ‚gehörig‘ gedacht werden. Diese Beschreibungen erfüllen eine systembildende Funktion für jenes soziale Gebilde, welches als ‚Nation‘ bezeichnet wird.

 

2. Bausteine der Konstruktion des Österreichbildes nach 1918

Wenden wir uns nun nach dieser ersten Orientierung im interdisziplinären Feld der historischen Analyse zu und fragen nach der Entwicklung des Begriffs des ‚österreichischen Nationalcharakters‘, so stellen wir fest, dass die Beschreibungen, die die typische Österreicherin oder den typischen Österreicher kennzeichnen, selbst einem historischen Wandel unterliegen. Historiker/innen gehen davon aus, dass sich nationale Narrative nicht naturwüchsig entwickeln oder entwickelt haben, sondern dass sie einer bewussten Einflussnahme durch Vertreter/innen von Kultur, Gesellschaft und Wirtschaft unterliegen und dementsprechend einer politischen Steuerung unterstellt sind.

Abb. 16 Gesetz über die Staats- und Regierungsform von Deutschösterreich vom 12. November 1918 (Zum Vergrößern auf Bild klicken)

Abb. 17 Staatsgesetzblatt vom Juli 1920 - Staatsvertrag von Saint Germain en Laye vom 10. September 1919

Aus historischer Perspektive handelt es sich bei den Charakteristiken über die Österreicher/innen um Zuschreibungen, die aus dem politischen und kulturellen Diskurs um die Staatsbildung Österreichs sowie um die Ausformung und die Ausformulierung eines mehrheitsfähigen Bildes über die Nation ‚Österreich‘ entstanden sind(10). Es sind klischeehafte, stereotype Angebote zur Identitäts- und Sinnbildung, die ihre normative Funktion im kulturellen und wirtschaftlichen Leben ebenso entfaltet haben wie im politischen Diskurs. Dies soll im Folgenden an einigen einschlägigen Beispielen erläutert werden.

Verglichen mit den älteren Staatsnationen Europas, wie beispielsweise Frankreich oder England, hat die Herausarbeitung der Symbole, Stereotype und Klischees, aus denen das Bild der ‚Nation Österreich‘ gebaut wurde, im 1918 neu geschaffenen Staat (Deutsch-)Österreich eine kurze Geschichte.

Das Ringen um ein entsprechendes Österreichbild – gleichsam als Alleinstellungsmerkmal im Wettbewerb mit den anderen Nationen, die aus der Habsburgermonarchie hervorgegangen waren – begann für die neue Republik Österreich(11) mit den Beschlüssen des Friedens von St. Germain (10.09.1919), der einen Zusammenschluss mit dem Deutschen Reich verbot. Auch wenn in der politischen Argumentation der 1920er-Jahre die Frage der Überlebensfähigkeit des neuen Staates dominierte, war es für die führenden Kräfte dieses neuen Staates evident, dass sie auf absehbare Zeit mit dem Faktum eines eigenständigen Staatsgebildes leben, und schon aus pragmatischen Gründen – der Vertretung nach außen und der Konsolidierung nach innen – für diesen Staat auch eine eigenständige Identität entwickeln mussten. Die Herausforderung für die Identitätsbestimmung dieses neuen Österreichs bestand darin, dass es diesen Staat als ‚Nation‘ bis 1918 weder als Willensnation noch als Kulturnation gegeben hatte. Als ,Willensnation‘, wie sich beispielsweise die französische Nation verstand (Renan 1882), war die ,Nation Österreich‘ nicht vorhanden. Der Staat wurde von vielen aus Politik, hohem Beamtentum und Wirtschaft als aufgezwungen und als nicht lebensfähig betrachtet. Auf politischer Ebene war die Einschätzung über die Sinnhaftigkeit dieses neuen Staatsgebildes schon vor 1918 in Frage gestellt und blieb bis Ende der 1930er-Jahre reichlich kontrovers. (vgl. z.B. Bauer 1907; Renner 1938)

Auf kulturellem Gebiet – ob bei Theater, Malerei oder Literatur – verstand sich das städtische Bürgertum, insbesondere das Bildungsbürgertum dieser jungen Republik Österreich, in den 1920er- und 1930er-Jahren noch vielfach als Teil der deutschen Kultur und hatte größte Mühe, in der erforderlichen Abgrenzung gegenüber dieser bis 1918 als gemeinsam empfundenen kulturellen Tradition von Deutschen(12) ein eigenständiges Moment nationalen österreichischen Schaffens, Denkens und Deutens herauszulösen.

Abb. 18 Buchdeckel von Neu-Österreich. (Stepan, Eduard &

Van Looy, S.L. (Hrsg.) (1923), Neu-Österreich. Das Werk des Friedens von St. Germain. Wien, Amsterdam: Van Looy Verlag,)

Um einen „nachdrücklichen Protest an das Weltgewissen“ (Vorwort) einzubringen und damit auf die dringend notwendige finanzielle Unterstützung durch die internationale Staatengemeinschaft aufmerksam zu machen, wurde ein „Propagandabuch für Österreich“ herausgegeben, das auf das wirtschaftliche und kulturelle Potential dieses jungen Staates und seiner nunmehrigen Bewohner/innen aufmerksam machen sollte. Im einleitenden Artikel dieses Buches werden die „vielfach unterschätzten Charaktereigentümlichkeiten der Deutschösterreicher“ so zusammengefasst: … „Sie sind ein genügsames, arbeitswilliges Volk mit unverdorbenem Bauerntume, einer bildungsfähigen Arbeiterklasse und einem strebsamen, feingebildeten Bürgertume, das durch Jahrhunderte politisch … große Leistungen im Dienste Europas vollbracht hat.“ (Brockhausen(13) 1923, 37f)

‚Genügsam‘, arbeitswillig‘ oder ‚strebsam‘ – die Attributefinden sich auch in zahlreichen anderen Beiträgen dieses Buches. Die Charakterisierung der ,neuen‘ Österreicher/ innen diente, so die nachträgliche Einschätzung, vor allem der politischen Absicht, die Geldgeber des Völkerbundes zu überzeugen, dass ihre Investition erfolgversprechend angelegt werde und ,das Volk‘, die Bevölkerung in Österreich, die entsprechenden wirtschaftlichen Fähigkeiten und Kompetenzen besitzt, um die Investition produktiv zu nutzen. Hervorzuheben an dieser Darstellung ist auch, dass der Autor nach Produktionsklassen differenzierte und neben den für alle Bevölkerungsgruppen als gemeinsam angegebenen Eigenschaften, wie ‚Genügsamkeit‘ und ‚Arbeitswilligkeit‘, dem Bauerntume ‚Unverdorbenheit‘, der Arbeiterklasse ‚Bildungsfähigkeit‘, dem Bürgertum ‚Strebsamkeit‘ und ‚Feingebildetheit‘ zuschrieb. Bei der Charakterisierung der einzelnen Bevölkerungsgruppen stand durchgehend kein empirischer Befund zur Verfügung, es waren vielmehr Topoi, vorhandene literarische Klischees über Bauern und Bäuerinnen, Arbeiter/innen und Bürger/innen, die für diese Beschreibung verwendet wurden; sie wurden hier allerdings zusammengefügt, um ein funktionsfähiges, erfolgversprechendes Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell des neuen Staates zu propagieren.

Dazu wurde noch eine politische Utopie angedacht, die den verbliebenen Rumpfstaat der alten Monarchie zu neuer Größe führen sollte:

Es gibt aber auch eine andere Zukunft. Es war nicht notwendig die Neuordnung Europas in so geistloser, mechanischer Weise durchzuführen. Nicht Europa ist so wertlos, wie es dieser Friede hingestellt hat, es wurde durch eine falsche, geistige Einstellung [die des Nationalismus, Anm. AE] ruiniert; also kann es durch eine bessere, edlere Einstellung noch gerettet werden.“ (Brockhausen 1923, 37)

Für den Verwaltungsrechtler Karl Brockhausen wurde das – im Übrigen noch unklare – Konzept eines übernationalen Europas eine entlastende Vision für den Verlust der politischen Identität im Vielvölkerstaat der Habsburgermonarchie. Die Enttäuschungen nach dem Friedensvertrag von Saint Germain, welcher, wie Brockhausen schrieb, „in grenzenloser Verkennung aller realen Verhältnisse und natürlichen Lebensbedingun(gen […] eine rücksichtslose Blutentziehung und Amputation“(14) an diesem „herrlichen Land“ und seiner „prächtigen Bevölkerung“ (Brockhausen 1923, 38) verübt hatte, könnten in einer übernationalen Völkergemeinschaft Europas kompensiert werden.

Diese ‚kompensatorische Identität‘ ist ein früher und durchgehender Topos des neu konstruierten Österreichbildes. Die aus der Größe und Bedeutung der vergangenen Habsburgermonarchie geschöpfte Identität sollte wiedererlangt werden, indem die deutschsprachigen Österreicher/ innen, gleichsam weitblickender als die Deutschen im Norden, zu wahrhaften Europäern mutieren.

Abb. 19 Portrait Anton Wildgans

Beispielhaft kann diese Konzeption einer ‚kompensatorischen Identität‘ an der Beschreibung über den neuen ‚österreichischen Menschen‘ gezeigt werden, wie ihn der Schriftsteller und zweimalige Burgtheaterdirektor Anton Wildgans in seiner „Rede über Österreich“ entworfen hat(15). Anton Wildgans wollte – in Abgrenzung zum damals vorherrschenden Bild von Österreich als einem Teil der (groß-) deutschen Kulturnation – zu einem neuen, kulturell und mental eigenständigen Entwurf über Österreich und die Österreicher/innen beitragen und legte mit Pathos ein ,Bekenntnis zum österreichischen Menschen‘ (15a) ab.

„Der österreichische Mensch ist seiner Sprache und ursprünglichen Abstammung nach Deutscher …, aber sein Deutschtum, so überzeugt und treu er auch daran festhält, ist durch die Mischung vieler Blute in ihm und durch die geschichtliche Erfahrung weniger eindeutig und spröde, dafür aber um so konzilianter, weltmännischer und europäischer. Und der österreichische Mensch ist tapfer, rechtschaffen und arbeitsam, aber seine Tapferkeit, … erreicht ihre eigentliche sittliche Höhe erst, wenn seine leiderfahrene Philosophie in Kraft tritt: im Dulden. Und was seine Rechtschaffenheit anbelangt, so ist sie mehr Gesundheit und Natürlichkeit der Instinkte als moralische Doktrin. Und sein Fleiß wird ihm nicht so leicht zur Fron, die den Menschen aushöhlt und abstumpft und ihn feierabends zu grellen und aufpeitschenden Mitteln greifen läßt, auf daß er seiner gerade noch inne bleibe. Das hängt damit zusammen, daß der österreichische Mensch irgendwie eine Künstlernatur ist und daß seine Methode der Arbeit mehr die der schöpferischen Improvisation und des schaffenden Handwerks geblieben als die der disziplinierten, aber auch mechanischeren Fabrikation geworden ist.“ (Wildgans 1930)(16)

Zur Arbeitsamkeit und Rechtschaffenheit kam bei Wildgans ein weiteres Attribut, jenes der Tapferkeit. Die ‚Tapferkeit‘ ist ein schon im vorne zitierten Band „Neu-Österreich“ häufig beschriebenes Klischee über die Österreicher/innen, dem eine lange Vergangenheit zugeordnet wurde: begonnen mit dem Heldentum, das den Bewohnerinnen und Bewohnern der karolingischen Mark in der Funktion als ‚Bollwerk gegen Osten‘ zugeschreiben wurde, bis hin zum militärischen Einsatz in zahlreichen Kriegen gegen die Osmanen. Bei Wildgans erhält die Tapferkeit allerdings eine ‚sittliche Höhe‘, d.h. einen moralisch-ethischen Wert, der dem reflektierten Bildungsbürgertum entsprechen sollte. An diese Konzeption der neuen Österreicher/innen reihten sich Eigenschaften, die in bewusster Abgrenzung vom preußischen Norden gedacht waren: ‚Natürlichkeit‘, ‚Fleiß‘, eine ‚Künstlernatur‘ mit handwerklichem Arbeitsethos und ‚schöpferischer Improvisation‘.

Katholizismus versus Protestantismus, barockes Lebensgefühl versus puritanische Lebensfeindlichkeit, handwerkliche bzw. künstlerische Pragmatik, Natürlichkeit und Volksnähe versus Dogmatismus und abgestumpfte industriöse Disziplin; ein/e feinsinnige/r, historisch gebildete/r und geläuterte/r, weltoffene/r Europäer/in – das sind die Grundpfeiler des Bildes, das Wildgans als Gegensatz zur/ zum Norddeutschen von der/vom typischen Österreicher/ in zeichnet.

Wildgans schuf mit seiner „Rede über Österreich“, einem der ersten expliziten Kulturkonzepte über das neue Österreich, gleichsam den Prototypen für alle nachfolgenden Narrative. Sein Österreichbild transformierte die weitverbreitete Nostalgie nach der Größe und Bedeutung der Habsburgermonarchie in ein europäisches Konzept, das die Österreicher/innen zu Führern und Bewahrern dieser europäischen Kultur erklärte: „nicht als engherzige Eigentümer, sondern gleichsam als Treuhänder der gesamten kultivierten Menschheit“.(17)

Im Bild vom neuen „österreichischen Menschen“ entwarf Wildgans einen der Weltkultur zugewandten „Europäer“, welcher sich seiner historischen Bezüge bewusst war und sich als ein die Kulturen verbindender und selbst kulturell schaffender Mensch verstand. Dieser Europäer österreichischen Typs sei kein „Tat- und Herrenmensch“, sondern ein feinsinniger „Psychologe“, der kompetent genug sei, sich „in fremde nationale Gefühlswelten“ hineinzudenken, der sich nicht „mit bloßen Gerüchten über den anderen und mit Lügen über den anderen begnüg[t], anstatt ihn zu erkennen und dadurch in seiner Wesensart, in seinen Leidenschaften, Empfindlichkeiten und Ansprüchen zu begreifen.“(18)

Neben der ‚kompensatorischen Identität‘ wird bei Wildgans noch ein zweiter Topos der Charakterisierung von Österreicher/ innen sichtbar, die ‚idealisierte Identität‘, welche aus der Negation der ursprünglich als gemeinsam gedachten Kultur entsteht: die des besseren, edleren, sensibleren Deutschen.

Die „Rede über Österreich“ (1930) wurde zu einem Zeitpunkt publiziert, wo die Vorstellung von einem auf das heutige Österreich beschränkten ‚Österreichbild‘ keineswegs konsolidiert war. Andere Ansätze für ein komplementäres Bild von der/vom neuen Österreicher/in finden sich in verschiedenen Beiträgen des Bandes „Neu-Österreich“. (Stepan 1923)

Der Autor des Beitrags „Österreichs kulturelle Sendung“, Anton Reichel(19), begründete beispielsweise seinen Beitrag zur Skizzierung der kulturellen Eigenständigkeit Österreichs damit, dass zwar klar geworden sei, dass

auf die Dauer Österreich nur durch die Angliederung an ein größeres Wirtschaftsgebiet wird bestehen können. Da nun einerseits eine Angliederung an das deutsche Kultur- und Wirtschaftsgebiet … aus politischen Gründen derzeit nicht durchführbar erscheint, … so wird es gerechtfertigt erscheinen, sich über zweierlei Fragen Klarheit zu verschaffen: Zum ersten, welche positiven Werte besitzt Österreich heute noch, die geeignet erscheinen, im Leben der Nationen Österreichs Geltung durchzusetzen und zum anderen sind diese Werte die geeignete Grundlage, um den von einer deutschen Bevölkerung bewohnten Gebiete, die durch den Friedensvertrag von Saint Germain zur Republik Österreich vereint sind, eine staatliche Sonderexistenz zu sichern?“ (Reichel, 277)

Halten wir hier zunächst fest, dass der Autor von keinem natürlich gewachsenen ‚Charakter‘ oder ‚Bewusstsein‘ der Österreicher/innen spricht, sondern von einer situationsbedingten Konstruktion einer nationalen Identität, die aus politischem Kalkül ein Bündel von ‚positiven Werten‘ definieren will, welches die nationale Eigenständigkeit bzw. die ,staatliche Sonderexistenz‘ Österreichs begründen könnte. 

Diese ,Sonderexistenz‘ ortete Reichel, späterer Direktor der graphischen Sammlung Albertina, in der besonderen geopolitischen Lage Österreichs, die das Land von der karolingischen Gründung weg mit dem Auftrag verknüpft habe „als das weitest nach dem Osten vorgeschobene Bollwerk abendländischer Kultur und Gesittung“ (Reichel, 278) zu fungieren. Einer politischen Aufgabe die – wie Reichel meinte – über die Jahrhunderte mehr und mehr zu einer „kulturellen Aufgabe“ (Reichel, 279) wurde, nämlich der Aufgabe, zur „Verbreitung westlicher Kultur in den östlichen Gebieten des Kontinents“ beizutragen. Mit dieser Zielsetzung war für Reichel allerdings auch die Wechselseitigkeit des Kulturaustausches verknüpft: „Über das [Ziel der Verbreitung westlicher Kultur] hinaus aber wurde das Land der Vermittler jener Werte, die der Osten und der Orient geschaffen [haben] … die Eingangspforte, durch die der Osten den Kulturen des Westens nahe gebracht wurde.“ (Reichel, 279)

Türkenbefreiungsfeier 1933

Der Topos vom ‚Bollwerk abendländischer Kultur und Gesittung‘ wurde im Austrofaschismus (siehe unten) über die Inanspruchnahme und Aufladung der Kriege des Habsburgischen Imperiums gegenüber dem Osmanischen Reich (16. bis 19. Jh.) als sogenannte ‚Türkenkriege‘ einseitig konnotiert. Die Osmanen mutierten in diesem Prozess zum Feindbild der ‚Türken‘. (Sauer 1983) Das Klischee dieser ‚Türken‘ bündelt semantisch bis heute die Vorstellungen von den barbarischen Stämmen im Osten Österreichs, die es einerseits militärisch abzuwehren, andrerseits kulturell zu missionieren und zu erziehen galt. Die 250-Jahr-Feier anlässlich der sogenannten ,Türkenbefreiung‘ wurde im ‚Heiligen Jahr‘ 1933 auch während des Deutschen Katholiken-Tages in Wien (7.–12. September 1933) sowie beim ersten Generalappell der Vaterländischen Front auf dem Wiener Trabrennplatz politisch effizient in Szene gesetzt. (Mitterauer 1983)(20)

Als Klischee findet sich dieser Topos, nun wieder angereichert um die Variante der ‚Kulturvermittlung‘, nach dem Zweiten Weltkrieg in Verordnungen des Unterrichtsministeriums, wenn es z.B. in den „Allgemeinen Richtlinien für Erziehung und Unterricht an den österreichischen Schulen“ vom 3. September 1945“ heißt:

"Der Gedanke, dass Österreich nach seiner geographischen Lage, nach seiner geschichtlichen Entwicklung, nach seinen ethnologischen Verhältnissen, vor allem den spezifischen Fähigkeiten [sic!] seiner Bevölkerung als Vermittler zwischen den Kulturvölkern des Westens und den vielen kleineren [sic!] Völkern in Mittel- und Osteuropa seine besondere Aufgabe hat, hat sich nun zur vollen Klarheit durchgerungen.“ (Stadtschulrat für Wien, VOBl 15/1945 ; Landesschulrat für Niederösterreich, VOBl. 25/1946)

Was zu Anfang der 1920er-Jahre als „kulturelle Aufgabe“ definiert war, wird nach 1945 als allgemeine Kompetenz, als „spezifische Fähigkeit“ der österreichischen Bevölkerung zur Kulturvermittlung ausgegeben(21).

Große Mühe hatten die Kulturschaffenden der Ersten Republik, wie schon erwähnt, aus dem bis 1918 als gemeinsam empfundenen ,deutschen Kunstgeschehen‘ gegenüber den (Nord-)Deutschen(22) ein eigenständiges Moment nationalen österreichischen Schaffens, Denkens und Deutens herauszulösen. Reichel versuchte die Besonderheit der österreichischen Kunst gegenüber der ‚norddeutschen‘ so abzugrenzen:

Gewiß, die norddeutsche, herbere Art ist dem weicher organisierten Österreicher an Zielstrebigkeit und an männlichem Ernste überlegen; doch tauscht der deutsche Süden [= Österreich, Anm. des Autors], dem Norden die Hand reichend, jene Anmut und Leichtbeschwinglichkeit der Gestaltung und des Lebens ein, die dem Gesamtbilde deutscher Kultur einen so wesentlichen und charakteristischen Zug verleiht“. (Reichel, 287)

Ein weiteres Attribut, das in Abgrenzung zum norddeutschen Kunstschaffen als ‚modernes österreichisches Fühlen‘ beschrieben wird, war die angebliche ‚Bodenverbundenheit‘ von Kunst und Kultur. Sie wird z.B. für das Werk Gustav Klimts reklamiert:

Aus Motiven aller Zeiten und Zonen baute auch er [Klimt] seine neue Welt, die bodenständig und wurzelecht, Ausdruck modernen österreichischen Fühlens wurde.“ (Reichel, 286f)

Selbst die Wiener Philharmoniker und die Wiener Oper werden dieser „Pflicht der Selbsterhaltung österreichischer Sonderheit“ (Reichel, 290) unterworfen:

Hoch zivilisierte Nationen, wie zum Beispiel Nordamerika, glauben vielleicht, kraft ihrer finanziellen Überlegenheit, ähnliche Kunstinstitute zu besitzen; sie geben sich aber einer Täuschung hin, denn diese Institute sind nicht bodenecht. Das Wesentliche der österreichischen Kunstinstitute besteht darin, daß sie ihre Lebenskräfte täglich und stündlich aus dem Heimatboden saugen.“ (Reichel, 290)

Diese eigentümliche Attribuierung der typischen österreichischen Kunst als einerseits ‚leichtbeschwinglich und anmutig‘, andrerseits ‚bodenständig und wurzelecht‘, ‚bodenecht‘ und ‚aus dem Heimatboden gesaugt‘, bedarf einer gesonderten Analyse. Sie scheint eine Tendenz zur Beschreibung der Österreicher /innen vorwegzunehmen, wie sie – in explizit antiaufklärerischer Absicht – ein Jahrzehnt später in den Österreichbildern des Austrofaschismus in großer Zahl auftaucht.

Im Band „Neu-Österreich“ gesellte sich zum Topos der ‚Bodenständigkeit‘ eine aus heutiger Perspektive geradezu parodistisch anmutende Hymne auf das erdverbundene ‚Alpenvolk‘. Die Autorin, Ida Maria Deschmann, charakterisiert das ‚Alpenvolk‘ nach einem Rundgang durch die Landschaften der einzelnen Bundesländer wie folgt:

„Aus all diesen Ländern, von diesen Bergen, aus diesen Tälern, von den Ufern dieser Seen her, von den Rändern der Wildbäche, aus den Schluchten und Klüften dieser Hänge und Felsen wächst das Alpenvolk. Kernig ist es und wetterfest. Im Wesen ist dieses Volk verschlossener und offener, je nachdem Lage und Witterungsverhältnisse seinen Heimatboden und damit sein Seelenleben beeinflussen.“ (Deschmann 1923, 579)

Die ‚Seele‘ des Alpenvolkes scheint hier unmittelbar aus dem Heimatboden zu wachsen und sich je nach Wetterlage zu verändern. Diese konkretistische(23) Mentalitätsbeschreibung (kernig, wetterfest, wurzelecht, bodenecht …) gerinnt in der weiteren Folge zu einer schwulstig romantischen, animistisch anmutenden, im Grundton aber verhohlen verachtenden Beschreibung der gottgläubigen und gottergebenen ‚Älpler‘.

Die Flucht aus der realen Welt äußert sich in der Literatur der 1920er-Jahre in einer übertriebenen Betonung der Schönheit der Landschaft Österreichs, die mit geradezu mystischer Liebe besetzt wurde. Sehr häufig wurde mit der Beschreibung der Schönheit von Landschaft und/oder Bergen auch eine unpersönliche ‚Religiosität‘ verknüpft, die aber als die ‚wahre Religiosität‘ ausgegeben wurde. Als Beispiel sei hier ein Auszug aus dem Beitrag „Die Landschaft“ von Felix Braun (Braun 1928) angeführt:

Abb. 24 Felix Braun (1885-1973)

Österreich wandert, wie die Flüsse, ostwärts gegen Wien zu, wo der Wein die Vollendung einer Geistesart bewirkt, an welcher die Berge und die Wasser, der Sinn für Schönheit und Leichtigkeit des Lebens, endlich die Musik und die katholische Religion den gründenden Anteil haben. – Das vaterländische Gefühl mangelt dem Österreicher nicht, obschon ihm dies oft nachgesagt wird. Nicht wie fremde Nationen äußert er es bei jeder Gelegenheit und mit Pathos, sondern wie der wahre Religiöse und Liebende Uneingeweihten sein Herz verbirgt, damit sein Gefühl nicht Schaden nehme; so verheimlicht der Österreicher die tiefe Liebe zu seinem Land, dessen Schönheit darum so lange Zeit auch den fremden Völkern unbekannt geblieben war.“ (Braun 1928, 20f)

Auch wenn man mit heutiger Distanz die damals überzogenen, fast trotzig anmutenden Anstrengungen um eine eigenständige Charakterisierung der Österreicher/innen zu verstehen versucht, muten sie teilweise wie eine Karikatur an(24). Was könnte der Grund für diese Art der Typisierung psychischer Eigentümlichkeiten der österreichischen Bevölkerung gewesen sein? Die hohe intellektuelle Leistung im künstlerischen Schaffen von Gustav Klimt beispielsweise war ja offensichtlich, was könnte also der Grund sein, sie im Bodenständigen zu begraben?

Individualpsychologisch würde man bei solch defensiven Eigenbeschreibungen vielleicht von kindlicher ‚Abwehr‘, ‚Trotz‘ oder von ‚Minderwertigkeitsgefühlen‘ gegenüber überlegenen Erwachsenen ausgehen. Wie aber könnten wir Beschreibungen verstehen, die offensichtlich auf die psychischen Eigenschaften einer großen Gruppe von erwachsenen Personen abzielen, die allerdings mit dem Boden, den sie bebauen, der Landschaft, die sie bewohnen, oder den Bergen, die sie umgeben, gleichgesetzt werden? Diesen Fragen wollen wir im nächsten Abschnitt nachgehen.

Halten wir am Ende dieses Abschnitts nochmals fest, dass die naturhaft beschriebenen Charaktereigenschaften von Bürgerinnen und Bürgern, die im Staat Österreich leben, in keiner irgendwie nachweisbaren Form auf biologischen Grundlagen aufsetzen, genetisch bedingt oder biologisch vererbt sind. Es sind im soziologischen Sinn Generalisierungen (Luhmann 1984, 444ff), die von konkreten und identifizierbaren Autorinnen und Autoren unter bestimmbaren politischen, kulturellen oder bildungspolitischen Zielsetzungen formuliert wurden und somit einer – in historisch nachträglicher Perspektive rational bestimmbaren – Sinnstiftung bzw. Identitätsausrichtung der in Österreich lebenden Staatsbürger/innen dienten bzw. dienen sollten.

3. National-Bewusst-Sein: Eine theoretische Annäherung

Abb. 25 Wir. Nationalbewusstsein? (Fußball Fans)

‚Nationalbewusstsein‘ wird in der Brockhaus-Enzyklopädie definiert als „das Bewusstsein eines Einzelnen oder einer Gruppe, einer bestimmten Nation anzugehören; dabei können objektiv gegebene Faktoren (z.B. gemeinsame Sprache, Religion, Zugehörigkeit zu einer politischen Einheit) oder subjektiv-gedankliche Orientierungen (z.B. übereinstimmende Weltbilder, Rechts-, Staats- und Gesellschaftsauffassungen) bestimmend sein.“ (Brockhaus 2021)

Diese formale Definition geht davon aus, dass sowohl eine einzelne Person wie auch eine Gruppe ein ‚Bewusstsein‘ über ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Nation haben kann. In vielen Bestimmungsstücken dieses ‚Bewusstseins‘ bleibt die Definition allerdings vage. Offen ist zunächst, ob zwischen dem Bewusstsein des Einzelnen und der Gruppe ein Unterschied besteht. Offen ist auch, ob dieses Bewusstsein als angeboren oder als sozial und kulturell bestimmt gedacht wird, ob es auch eine unbewusste Bindung an eine Nation geben kann, oder ob dieses Bewusstsein beeinflussbar und veränderbar ist. In dieser Definition wird auch nicht präzisiert, ob die ‚objektiven Faktoren‘, also beispielsweise die Staatszugehörigkeit, von den sozialen Subjekten frei wählbar sind, ob man eine und nur eine Sprache sprechen muss, um an einem solchen Nationalbewusstsein teilzuhaben.

Als Historiker/innen möchten wir, soweit wir überhaupt von einem ,National-Bewusstsein‘ sprechen wollen, in historisch- analytischer Perspektive auch wissen, wie ein solches ,Bewusstsein‘ von Bürgerinnen und Bürgern einer Nation entsteht, wie sein Entstehen theoretisch gefasst wird, ob es sich auf Dauer erhält, ob es als veränderbar gedacht wird, wie es erhalten werden kann, oder wie es erforscht werden kann.

Die einschlägigen Publikationen zum ‚österreichischen Nationalbewusstsein‘ bzw. zum ‚Österreichbewusstsein‘ sind in der Frage nach einer theoretischen Fundierung des Begriffs ‚Bewusstsein‘ relativ allgemein und vage. Sie setzen ein Nationalbewusstsein überall dort voraus, wo in der Fachliteratur oder auch im politischen Diskurs von einer österreichischen Nation gesprochen wird/wurde, setzen ,Österreichbegriff ‘ und ,Österreichbewusstsein‘ gleich (Zöllner 1988; Stourzh 1990, 27ff), und scheinen sich generell wenig mit den vorhandenen philosophischen, psychologischen und/oder sozialpsychologischen Diskursen auseinanderzusetzen, die zum Begriff des Bewusstseins existieren. Über die Schwierigkeiten, einen Nationalcharakter mittels Meinungsumfragen zu erheben, wurde schon gesprochen, zu nämlichen Schwierigkeiten, ein Nationalbewusstsein über solche Umfragen zu bestimmen, hat Ernst Bruckmüller (Bruckmüller 1984, 21–26) geschrieben(25). Die einzige einigermaßen theoretisch klingende Definition von ‚Österreichbewusstsein‘ findet sich ebenfalls bei Bruckmüller, in einem Aufsatz aus dem Jahr 1998.

Unter ‚Österreichbewusstsein‘ soll im Folgenden ein kollektives Bewusstsein verstanden werden, das die Österreicher als Wir-Gruppe begreift. … Österreichbewusstsein kann im Anschluss an Jan Assmann als das ‚kulturelle Gedächtnis‘ definiert werden, über welches sich die Österreicher als Österreicher sehen und verstehen. Jene Art von Wir-Bewusstsein, welche die relativ größte Gruppe bezeichnet, der ein Mensch angehört, wird allgemein Nationalbewußtsein genannt. Sobald das Österreichbewußtsein diese Stelle einnimmt, kann man von einem österreichischen Nationalbewußtsein sprechen.“ (Bruckmüller 1998, 369)

Formal trägt diese Definition insofern zur Klärung bei, als das Nationalbewusstsein als Wir-Bewusstsein verstanden und somit als Gegenstand der Sozialpsychologie betrachtet wird. Der Verweis auf Jan Assmann legt den Bezug zu den Altertumswissenschaften und allgemeiner zu den Kulturwissenschaften nahe. Damit ist die wissenschaftstheoretische Einordnung des Nationalbewusstseins aber auch schon zu Ende. Ob und vor allem wie das Nationalbewusstsein tatsächlich als ein Wir-Bewusstsein zu verstehen ist, welches „die relativ größte Gruppe [wovon?] bezeichnet, der ein Mensch angehört“, wird nicht wirklich klar. Man könnte beispielsweise fragen, ob ethnische Minderheiten Teil eines solchen Nationalbewusstseins sein können.

Jan Assmann (1992) schreibt zwar nicht von einem ‚kollektiven Bewusstsein‘, wohl aber von einem ‚kulturellen Gedächtnis‘. Assmann stellt allerdings keine Bezüge zum Nationalbewusstsein her. Den großen Themen der Sozialpsychologie folgend stellt er eine allgemeine Frage nach der ‚konnektiven Struktur‘ der frühen Hochkulturen, die er am Beispiel von Ägypten, Israel und Griechenland beantwortet. Den kulturellen ‚Kitt‘, die Bindekraft der Kultur für die frühen sozialen Gemeinschaften sieht Assmann in der Entwicklung von ‚Identität‘ und ‚kultureller Kontinuität‘ (Assmann 1992, 16), welche sich diese antiken Hochkulturen mit zahlreichen rituellen Formen der Erinnerungskultur, mit Traditionsbildung und Schrift geschaffen hatten.

Die Frage, wie die emotionale Bindung der Menschen an die großen Gemeinschaften entsteht und was sie zusammenhält, beschäftigt die Sozialpsychologie seit man von einer solchen sprechen kann, d.h. seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Diese Frage kann selbstverständlich auch für ein Nationalbewusstsein gestellt werden. Prüft man die überaus zahlreiche historische Literatur, die sich mit der Nationsbildung eines Staatsgebildes beschäftigt, so wird der Begriff des Nationalbewusstseins zwar ständig verwendet, aber in seiner sozialpsychologischen Dimension kaum theoretisch gefasst. Selbiges gilt, wie oben angedeutet, auch für seine Konkretisierung als Österreichbewusstsein.

Im Folgenden können nur einige theoretische Bausteine der sozialpsychologischen Überlegungen skizziert werden, an die ein historisch-analytischer Diskurs über ein Nationalbewusstsein anknüpfen könnte:

Abb. 27 Ernest Renan (1823-1892)

  1. Bei einem der häufig zitierten frühen Theoretiker über die Nation, Ernest Renan, wird die ‚Nation‘ metaphorisch wie eine Einzelperson aufgefasst, der eine eigene Seele zugeschrieben wird. Ernest Renan, Religionswissenschafter und Orientalist, hielt seinen Vortrag zum Thema „Qu’est-ce qu’une nation?“ (Was heißt: Nation?) am 11. März 1882 an der Sorbonne in Paris. Er äußerte dabei, die Nation wäre eine Seele, ein spirituelles Prinzip, ein soziales Kapital, das sich auf der einen Seite auf das Erbe der Vorfahren bezieht, an das wahre Heldentum großer Männer anschließt und sich aus der Erinnerung an die gemeinsam erbrachten Leistungen und Opfer für die Nation nährt, auf der anderen Seite durch den Willen(26) all jener zusammengehalten wird, die miteinander leben und das Vermögen der Nation aus diesem Erbe vermehren wollen:
    Une nation est une âme, un principe spirituel. Deux choses… constituent cette âme, ce principe spirituel. L’une est dans le passé, L’autre dans le présent. L’une est la possession en commun d’un riche legs de souvenirs; l’autre est le consentement actuel, le désir de vivre ensembles, la volonté de continuer à faire valoir l’héritage qu’on a reçu indivis. … La nation, comme l’individu, est l’aboutissant d’un long passé d’efforts, de sacrifices et de dévouements. Le culte des ancêtres est de tous le plus légitime; les ancêtres nous ont faits ce que nous sommes. Un passé héroïque, des grands hommes, de la gloire … voilà le capital social sur lequel on assied une idée nationale.“(27) (Renan 1882, 26)
    Diese Form der Personifizierung von komplexen und abstrakten Zusammenhängen ist in der historiographischen Literatur häufig zu finden, wird aber wenig reflektiert. In der geschichtsdidaktischen Literatur hat sich Klaus Bergmann schon früh mit einem Aspekt dieser Personifizierung kritisch auseinandergesetzt, dem der Personalisierung, „bei der die Wirklichkeit als das Entscheidungsfeld und als das Resultat des Handelns weniger Einzelpersonen begriffen wird.“ (Bergmann 1979, 213) Diese Form der Geschichtsdarstellung verhindere kategoriales Denken und fördere „politische Apathie, indem sie den Schülern die Erkenntnis eigener Handlungs- und Veränderungsmöglichkeiten erschwert.“ (ebenda) Bergmann hat hier insbesondere die Reduzierung historischer Prozesse auf das Handeln „großer Persönlichkeiten“ im Auge. Die von Renan beschriebene Metaphorik geht über diese reduktionistische und monumentalistische(28) Geschichtsauffassung hinaus und propagiert eine Form der Psychologisierung von sozialen und politischen Strukturen, bei der die realen Machtverhältnisse verschleiert werden.
  2. Im Kontrast zu dieser reduktionistischen Gleichsetzung von Person und sozialer Organisation fragt die Sozialpsychologie nach der Beziehung von Individuum und Gesellschaft, und hier insbesondere nach dem Zusammenspiel einzelner Personen in den großen Gruppen und Gemeinschaften. Genauer gefasst fragt sie bei diesem Zusammenspiel jedoch nicht nach dem Handeln dieser Personen, sondern nach den Gefühlsbindungen, die Personen in diesen Gemeinschaften verbindet. Diese Frage nach den Gefühlsbindungen, die eine große Gemeinschaft zusammenhalten, wurde um 1900 zu einem großen Thema der frühen Sozialpsychologie(29). Eines der ersten bedeutsamen Werke der Sozialpsychologie, Le Bons „Psychologie der Massen“ (Le Bon 1911), erklärte die Gefühlsbindung des Individuums an die Gemeinschaft, „die Masse“, wie sie Le Bon mit Blick auf die für ihn scheinbar ungeordneten politischen Massenbewegungen der Arbeiter- und Frauenbewegung im ausgehenden 19. Jh. nannte, aus dem Moment der Suggestion. Ähnlich wie bei der Hypnose würde der Einzelne dabei durch die Masse verzaubert; er würde seiner individuellen Urteile und Meinungen entbunden und sei bereit, sich den Affekten der Masse zu unterwerfen.
  3. Als Kritiker dieser bei Le Bon nicht weiter geklärten Suggestionskraft der Masse weist Sigmund Freud (Freud 1921) in „Massenpsychologie und Ich-Analyse“ darauf hin, dass diese Massen sowohl in der sozialen wie auch in der emotionalen bzw. affektiven Dimension nicht so ungeordnet sind, wie Le Bon sie darstellte. Freud verweist auf zwei Dimensionen der Gefühlsbindung in der Masse: die Orientierung der Gefühlsbindungen an einen Ersatzvater, den Führer, und die Gefühlsbindungen der Mitglieder dieser Gemeinschaft untereinander, den Identifizierungen. Beide Formen der Gefühlsbindung sind „libidinös besetzt“, sind also Varianten jener Bindungskraft, die in der Psychoanalyse als ‚Libido‘, bei den antiken Philosophen wie Platon als ‚Eros‘, in zahlreichen Religionen als ‚Liebe‘ bezeichnet wird. (Freud 1921, 43) Es wären die sublimierten Formen solcher Liebe, wie z.B. die Idealisierung eines Führers, die Bindung an ein Ideal-Ich, die Bindung an eine ideale Idee (die Nation) bzw. die Identifizierungen der Anhänger/innen einer solchen Gefolgschaft, oder der Anhänger/innen an eine Idee untereinander, die diese Gefühlsbindung herstellen.
    Freuds Vorstellung der Gefühlsbindung an den Führer, wie er sie im ersten Teil seiner Abhandlung beschreibt, war noch am Modell der höfischen Gesellschaft orientiert: Die Spitze der Hierarchie im absolutistischen Zentralstaat, der Fürst, der Monarch, der Heerführer, sie bildeten das soziologische Modell, an dem Freud seine sozialpsychologischen Überlegungen entwickelte. In diesen organisierten Massen sei „jeder Einzelne einerseits an den Führer …, andrerseits an die anderen Massenindividuen libidinös gebunden.“ (Freud 1921, 50) Geht der Führer verloren, entsteht Panik: „Die gegenseitigen Bindungen haben aufgehört und eine riesengroße, sinnlose Angst wird frei.“ (Freud 1921, 51)(30)
    Mit dem Hinweis auf das Ideal-Ich, das durch eine Idee ersetzt werden kann, hat Freud allerdings im zweiten Teil seiner Abhandlung bereits den Weg für die weitere sozialpsychologische Analyse im anonymeren modernen Staat gewiesen, wenn er fragt, ob in einer Masse „der Führer nicht durch eine Idee, ein Abstraktum ersetzt sein kann, wozu ja schon die religiösen Massen mit ihrem unaufzeigbaren Oberhaupt die Überleitung bilden, [oder] ob nicht eine gemeinsame Tendenz, ein Wunsch, an dem eine Vielheit Anteil nehmen kann, den nämlichen Ersatz leistet. Dieses Abstrakte könnte sich wiederum mehr oder weniger vollkommen in der Person eines gleichsam sekundären Führers verkörpern, und aus der Beziehung zwischen Idee und Führer ergäben sich interessante Mannigfaltigkeiten.“ (Freud 1921, 58)
  4. Dass diese abstraktere Form der Identifikation in der Masse nicht nur über eine Person, sondern über die Identifikation mit einem Ideal wie der Idee der Nation erfolgen kann, hat Norbert Elias weiter ausgearbeitet. In seinem Essay zum Nationalismus (Elias 1989, 189f) entwickelt er am Beispiel der Nationsbildung im Deutschen Reich, wie die emotionale Bindung an ein großes Kollektiv, die deutsche Nation, nicht mehr über Personen (z.B. den Fürsten) erfolgt, sondern über Symbole und Metaphern. Er nennt diese Metaphern Wortsymbole. Bei Elias kommt auch der Gedanke zum Tragen, dass diese Identifikationen nicht nur auf freiwilligen Entscheidungen basieren, sondern den realen Machtverhältnissen unterworfen sind und nicht selten mit Gewalt erzwungen werden:
    Welche Form sie auch hatten, die Symbole für ein Kollektiv und seine vielfachen Aspekte, die zum Brennpunkt der emotionalen Bindungen von Personen an das Kollektiv wurden, schienen dieses selbst mit einer eigentümlichen Qualität auszustatten; sie verliehen ihm … eine numinose Existenz per se, jenseits und oberhalb der Individuen, die es bildeten – eine Art Heiligkeit, wie man sie früher vor allem übermenschlichen Wesen zugeschrieben hatte. […]
    Die Wortsymbole … sind ein Beispiel dafür. … Zumeist werden die Namen der Nationalstaaten selbst … in solcher Weise benutzt, und zwar mit Obertönen der Heiligkeit und Ehrfurcht. So dient der Ausdruck ‚la France‘ den Franzosen, ‚Deutschland‘ den Deutschen, ‚America‘ den US-Amerikanern als verbales Symbol einer kollektiven Wesenheit mit numinosen Qualitäten […]. Aber nicht nur der Name eines Landes – ein ganzes Spektrum von Wortsymbolen kann in verschiedenen Gesellschaften solche Funktionen haben, darunter Ausdrücke wie ‚Vaterland‘, ‚Heimatland‘ oder ‚Volk‘. … Aber in der Kommunikation unter Landsleuten trägt der Ausdruck ‚Nation‘ Gefühle einer Tiefe und Fülle mit sich, die ihn vor den übrigen auszeichnen. Das Kollektiv, auf das er sich bezieht, wird durch ihn mit einer sehr spezifischen emotionalen Aura umkleidet und erscheint so als etwas höchst Wertvolles, Sakrosanktes, dem Bewunderung und Verehrung gebührt. Diese Gefühle erstrecken sich gewöhnlich auf alles, was man als zur Nation gehörig oder im nationalen Interesse stehend betrachten kann; sie erstrecken sich auch auf den Gebrauch von Gewalt und Täuschung oder, wenn es dahin kommt, das Foltern und Töten anderer Menschen.“ (Elias 1989, 191)
  5. Maurice Halbwachs hat in seinem Buch „Les cadres sociaux de la mémoire“ (Halbwachs 1925) am Beispiel des sprachlichen Deutungsrahmens von ‚Erinnerung‘ bereits differenziert dargelegt, wie unser politisches Denken im Alltag funktioniert: Wir denken nicht einfach in sprachlichen Begriffen (signifiant, Wort). Diese Begriffe sind vielmehr mit symbolischen Bedeutungen gefüllt (signifié, Bedeutung, semantische Struktur des Wortes), die in der sozialen Kommunikation mit anderen Menschen evoziert und neu verhandelt werden. Was uns an sprachlichen Begriffen zur Verfügung steht, um beispielsweise dieses Zugehörigkeitsgefühl zu einem Staatsgefüge oder einer kulturellen Gemeinschaft wie der ‚Nation‘ zu beschreiben, ist sprachlich mit einem klar bestimmbaren, aber im Umfang offensichtlich nicht beliebig erweiterbaren Repertoire von Begriffen verknüpft. Wie dieses Repertoire ausschaut und welche Inhalte mit diesen Begriffen (signifiants, Worten, Symbolen) jeweils in der Gemeinschaft verknüpft werden, darüber wird Tag für Tag neu verhandelt: in der Familie, im Betrieb, im politischen Gespräch, in den literarischen Beiträgen, im Theater, in der Oper, im Kabarett, in den Zeitungen, Zeitschriften, in Rundfunksendungen und in allen anderen Medien. (Wir würden heute ergänzen: in TV-Debatten, in Internetforen, in Blogs und vor allem in den Sozialen Medien.
    In Anlehnung an Maurice Halbwachs könnten wir beim ‚Nationalbewusstsein‘ auch von einem solchen Signifikanten sprechen, der in der politischen Kommunikation einer konkreten ‚Nation‘ ständig neu verhandelt wird. Ergänzt durch die Reflexion von Norbert Elias wäre das ‚Nationalbewusstsein‘ dementsprechend ein ‚Wortsymbol‘, das in der und für die jeweilige Gemeinschaft in unterschiedlichen historischen Situationen Unterschiedliches bedeutet, vielfache Zuschreibungen, Interpretationen, Veränderungen, Verwerfungen, Negationen, Gegenentwürfe und Neukonstruktionen erfährt, und – vorrangig durch die jeweils herrschenden Interessensgruppen – in sich verändernden Machtkonstellationen wieder neue Deutungen erfährt.
    Beim Nationalbewusstsein geht es also nicht um Geschichte, sondern um Gegenwart, um aktuelle Politik.
  6.  

4. Nationale Erinnerungskultur: Die Geschichte ist nicht die Erinnerung

Abb. 32 Pierre Nora (1931- )

 

Ein halbes Jahrhundert nach Halbwachs machte es sich der französische Kulturhistoriker Pierre Nora zur Aufgabe, in einer groß angelegten Studie (1978–1981) das Repertoire an Schauplätzen, Festen, Riten sowie das rhetorische und symbolische Instrumentarium zu sichern, durch das, wie er es sah, die ‚nationale Erinnerung‘ in Szene gesetzt wurde.

La disparition rapide de notre mémoire nationale m’avait semblé appeler un inventaire des lieux où elle s’est électivement incarnée et qui, par la volonté des hommes ou le travail des siècles, en sont restés comme les plus éclatants symboles : fêtes, emblèmes, monuments et commémorations, mais aussi éloges, dictionnaires et musées.“(31) (Nora 1984, vol. 1, p. VII)

Das französische Wort ‚mémoire‘ hat eine vielschichtigere Bedeutung als das deutsche Wort ‚Erinnerung‘. Es bezieht sich, wie weiter unten noch beschrieben wird, auch und vor allem auf die Inszenierungen der nationalen Erinnerungskultur. Nora spricht bei der ‚mémoire‘ von einem Zusammenwirken von willentlicher Ausformung durch den Menschen und einer gleichzeitig wirkenden verändernden ‚Arbeit‘ durch die Zeit (travail des siècles).

Jan und Alaida Assmann haben sich in der Entwicklung ihrer Theorie vom ‚kulturellen Gedächtnis‘ und vom ‚kommunikativen Gedächtnis‘ auf Maurice Halbwachs und Pierre Nora bezogen. Der von Assmann gewählte Begriff des Gedächtnisses für den Begriff ‚mémoire‘ ist in der deutschen Übersetzung allerdings irreführend, weil er eine biologische Verankerung der ‚Erinnerungsarbeit‘ als ‚Gedächtnisspeicher‘ suggeriert, während die französischen Konzepte von ‚mémoire‘ viel stärker in der sozialen und kulturellen Inszenierung von Vergangenem, und nicht in einer individuellen Gedächtnisfähigkeit verankert sind.

Die französische Kulturgeschichte versuchte also gerade nicht, ein ‚nationales Bewusstsein‘ als ein vergangenes substantialisierbares(32) Artefakt zu fassen. Sie ging und geht davon aus, dass dieses sogenannte Nationalbewusstsein ein tendenziell spontan und situativ evozierbares Hochgefühl ist, das mit der Vorstellung einer Größe/Grandiosität der Nation (la gloire) verknüpft werden kann, wann immer es zu bestimmten Anlässen (Festen, National-Feiertagen etc.) durch bewusste Inszenierung, Hymnen, brillante Reden, berühmte Schauplätze, in Szene gesetzt wird.

Die unter Leitung von Pierre Nora durchgeführte Studie über die Schauplätze der nationalen Erinnerungskultur gilt heute als eine der ersten großangelegten Studien zur Erinnerungskultur einer Staatsnation(33). Die Studie wurde zu einem Zeitpunkt publiziert, wo Kulturhistoriker/innen unter dem Eindruck des beschleunigten Kulturwandels die These formulierten, dass sich diese nationale Erinnerungskultur rapide veränderte, und der Begriff der Erinnerung (mémoire) – im herkömmlichen Verständnis von (sinnlich) substantialisierter und substantialisierbarer Vorstellung von vergangener Erfahrung (bei Nora das, was „an Gelebtem noch in der Wärme der Tradition, der Stummheit der Gewohnheit, der Wiederholung des Althergebrachten unter dem Staub eines dumpfen Gefühls von Vergangenem“ [Übersetzung des Autors – siehe folgendes französisches Zitat]) nur mehr schemenhaft nachvollziehbar wurde. Pierre Nora nannte dieses verschwindende Phänomen menschlicher Vorstellungswelt ‚histoire-mémoire‘, und schrieb etwas pathetisch über dessen mentale Diffusion im ‚Selbstbewusstsein‘ der Franzosen:

Au-delà de la métaphore, if faut prendre la mesure de ce que l’expression signifie : un basculement de plus en plus rapide dans un passé définitivement mort, la perception globale de toute chose comme disparue – une rupture d’équilibre. L’arrachement de ce qui restait encore de vécu dans la chaleur de la tradition, dans le mutisme de la coutume, dans la répétition de l’ancestral, sous la poussée d’un sentiment historique de fond. L’accession à la conscience de soi sous le signe du révolu, l’achèvement de quelque chose depuis toujours commencé. On ne parle tant de mémoire que parce qu’il n’y en a plus.“(34) (Nora 1984, vol. 1, p. XVII)

„On ne parle tant de mémoire que parce qu’il n’y en a plus.“ – „Man spricht erst über die Erinnerung, wenn sie nicht mehr da ist“. Diese These von Nora wurde zu einem Leitsatz der jüngeren Theoriedebatte über die Erinnerungskultur. Die zugrundeliegenden sozialpsychologischen Überlegungen knüpfen an die oben bereits zitierten soziologischen Studien von Maurice Halbwachs und den kulturtheoretischen Diskurs in den französischen Sozial- und Kulturwissenschaften an. In der deutschen Übersetzung wird der Begriff ‚lieux de mémoire‘ zumeist mit ‚Gedächtnisort‘ oder ‚Erinnerungsort‘ wiedergegeben(35). Diese Begriffswahl suggeriert eine zeitliche und räumliche Statik sowie eine Substantialität des Erinnerungsbegriffs, die im französischen Text so nicht zu finden ist. Die räumliche Fixierung als ‚Erinnerungsort‘ steht geradezu im Gegensatz zum französischen Verständnis von nationaler Erinnerung. Wie die obige Aufzählung zeigt, verstand Nora unter dem Begriff ,lieux de mémoire‘ ein viel breiteres Repertoire von Erinnerungsformen: Er zählte zu diesen Inszenierungen nationaler Erinnerung nicht nur die Schauplätze, Monumente, Denkmäler, Gedenktafeln, Wappen und Fahnen, oder die großen Gedächtnisorte wie die Kathedrale von Reims, das Pantheon und Napoleons Grabmonument in Paris, sondern auch die einschlägigen Sammlungen in nationalen Archiven und Museen, die berühmten Chroniken, die Enzyklopädien, bekannte Fest- und Trauerreden sowie schließlich die Nationalhymne, die Inszenierungen von Gedächtnisfeiern und die nationalen Feste selbst. Man könnte besser von den Gestaltungsräumen und den Symbolen sprechen, an denen sich die nationale ‚Erinnerung‘ manifestierte, und an denen sich die ‚Grande Nation‘ jedes Mal neu belebte und beleben ließ(36).

Das dynamische Verständnis des Begriffs ‚lieux de mémoire‘ ermöglicht eine prozesshafte Konzeption von ‚(nationaler) Erinnerung‘. Deutlich wird diese dynamische Konzeption einer nationalen ‚Erinnerung‘ in den zusammenfassenden Bemerkungen des zweiten Bandes, wenn Nora über das allmähliche Verschwinden dieser Erinnerungskultur räsoniert:

La mémoire est en effet aujourd’hui le seul tremplin qui permette de retrouver à «la France», comme volonté et comme représentation, l’unité et la légitimité qu’elle n’avait pu connaître que par son identification à l’Etat, expression d’une grande puissance, dans sa longue période de grandeur.“(37) (Nora 1986, vol. 2, 651)

Abb. 28 nationale Erinnerung: 8. Mai Totengedenken WKII des Wiener Korporationsringes vor der Krypta im Äußeren Burgtor (bis 2012)

Abb. 29 nationale Erinnerung: 8. Mai Die Republik Österreich mit Mahnwache des Bundesheeres und der Veranstaltung Fest der Freude (Befreiung Österreichs) am Heldenplatz (ab 2013)

Die Inszenierung nationaler Erinnerung steht bei Nora auch in deutlichem Gegensatz zur Geschichtsschreibung, was in der deutschsprachigen Rezeption weitgehend ignoriert wurde. Nach seiner Auffassung wird die Wiederbelebung der Erinnerung von aktuell handelnden Gruppen getragen, sie ist dementsprechend in ständiger Entwicklung und Veränderung und der Dialektik von Erinnern und Vergessen unterworfen. Sie agiert wie eine unbewusste psychische Struktur, ist Deformationen und Manipulationen unterworfen, ähnlich der individuellen Erinnerung; lange Latenzperioden gleichbleibender Interpretation der vergangenen Erfahrung können durch eine fast plötzliche Neuinterpretation der Erinnerung abgelöst werden. Das (nationale) Gedenken besetzt die Erinnerung zudem mit dem Nimbus des Heiligen. – Die Geschichte (Geschichtsschreibung) dagegen versteht Nora als eine stets unvollständige Rekonstruktion dessen was war, aber nicht mehr ist. Sie ist eine intellektuelle und säkulare Tätigkeit; insofern bedarf sie der Analyse und des kritischen Diskurses, verjagt die religiösen Gefühle und bedient sich immer der Narration:

Mémoire, histoire : loin d’être synonymes, nous prenons conscience que tout les oppose. La mémoire est la vie, toujours portée par des groups vivants et à ce titre, elle est en évolution permanente, ouverte à la dialectique du souvenir et de l’amnésie, inconsciente de ses déformations successives, vulnérables à toutes les utilisations et manipulations, susceptible de longues latences et de soudaines revitalisations. L’histoire est la reconstruction toujours problématique et incomplète de ce qui n’est plus. […] L’histoire parce que opération intellectuelle et laïcisante, appelle analyse et discours critique. La mémoire installe le souvenir dans le sacré, l’histoire l’en débusque, elle prosaïse toujours.“(38) (Nora, 1984, vol. 1, p. XIX

Nationale Erinnerung lebt, wenn wir Nora folgen, durch ihre Teilhabe an der staatlichen Macht. Es geht um Inszenierungen dieser Macht, um die Erhöhung dieser Macht und um die Identifizierung der einzelnen Mitglieder dieser Gemeinschaft mit den propagierten Symbolen, Riten und Normen. Wie Elias stuft auch Nora die Bindung an die Nation über diese nationale Erinnerungskultur ähnlich stark ein wie jene an eine Religion. Die nationale Erinnerung nährt sich von Affekten und magischen Gefühlen, sie nimmt jene Details auf, die ihr gefallen: irrationale Momente der Erinnerung, Übertreibungen und Überdehnungen stören sie nicht, sie ist offen für jede Form von emotionaler Übertragung, Projektion, Überblendung und Zensur.

La mémoire est un phénomène toujours actuel, un lien vécu au présent éternel : l’histoire une représentation du passé. Parce qu’elle est affective et magique, la mémoire ne s’accommode que des détails qui la confortent; elle se nourrit de souvenirs flous, télescopants, globaux et flottants, particulier ou symboliques, sensible à tous les transferts, écrans, censure ou projections.“(39) (Nora 1984, vol. 1, p. XIX)

Für die oben beschriebenen Zitate können wir nun aus sozialpsychologischer Perspektive ergänzen: Der neu gegründeten Republik Österreich fehlte es in den ersten Jahren offensichtlich nicht nur an politisch und wirtschaftlich konsolidierten Strukturen, um dieses durch den Friedensvertrag von St. Germain konstituierte Land zu regieren und weiterzuentwickeln, sondern auch an passenden Identifikationsangeboten, welche einen mehrheitsfähigen Rahmen an sprachlichen Begriffen, Symbolen und Leitsätzen für die Nationsbildung darstellten.

Wenn wir zur Theorie der Wortsymbole (s.o. Elias 1989) die heutigen Erkenntnisse der Neuro- und Kognitionsforschung dazustellen, könnten wir auch sagen, es mangelte nicht nur an den sprachlichen Begriffen, sondern auch an den ‚politischen Frames‘, an den ‚gedanklichen Deutungsrahmen‘ (Wehling 2016, 17), die diesen Begriffen unterlegt werden konnten. Die alten Rahmungen des Österreich-Begriffs aus der Zeit der Monarchie waren nicht mehr zeitgemäß, die neuen, z.B. republikanisch-demokratisch orientierten Rahmungen, waren noch nicht definiert und durch den politischen bzw. kulturellen Diskurs nicht abgeklärt. – Und, so können wir aus historischer Perspektive ergänzen, es fehlte ein Konsens über die erzählende Deutung dieser Vergangenheit, eine konsolidierte nationale Erinnerung(skultur)(40).

5. Weitere Topoi des Österreichbildes seit 1918

Die starke emotionale Aufladung, wie sie Nora den Nationalfeiern in Frankreich schon im 19. Jahrhunderts zugeschrieben hatte, ist in Deutschland verstärkt erst ab den 1880er-Jahren, in Österreich aber erst nach 1933 zu finden. In der Zeit des Austrofaschismus (1933–1938) erfolgte in Österreich die Aufladung nationaler Klischees zwar zeitlich parallel zum nationalsozialistischen Deutschland, inhaltlich aber mit wachsend eigenständigem nationalistisch-österreichischem (‚vaterländischen‘) Programm. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde in Österreich ein stark antideutsches, dafür aber betont pro-demokratisches und antifaschistisches Nationalbild propagiert.

Nicht nur Frankreich, auch der Staat Österreich hat seine programmatischen politischen Reden, welche die semantische Aufladung des Wortsymbols ‚Österreich‘ bestimmten. Die ältere Generation denkt dabei vielleicht an die letzte Rundfunkansprache von Bundeskanzler Kurt Schuschnigg vom 11. März 1938(41), in welcher dieser aufgrund des Ultimatums von Adolf Hitler seine Demission ankündigte, „vor der Welt“ erklärte, dass die österr. Regierung „der Gewalt weiche“ und sein politisches Handeln mit den dramatischen Worten „Gott schütze Österreich!“ beendete; oder an die Weihnachtsansprache von Leopold Figl vom 24. Dez. 1945(42), wo Figl die bedrückende Versorgungslage Österreichs in der Nachkriegszeit schildert und sich bei den Zuhörerinnen und Zuhörern gleichsam persönlich mit den Worten entschuldigt: „Ich kann euch zu Weihnachten nichts geben … kein Stück Brot, keine Kohlen zum Heizen … Wir haben nichts. Ich kann euch nur bitten: Glaubt an dieses Österreich!“; oder an die Rede von Außenminister Figl nach der Unterzeichnung des Staatsvertrags vom 15. Mai 1955(43), die er – jedenfalls in seiner Dankesrede an die Außenminister der Alliierten im Spiegelsaal des Belvedere – mit den Worten schloss „Österreich ist frei!“ (vgl. Uhl 2004)

Diese Reden sind Teil der nationalen Erinnerungskultur, jede Rede repräsentiert einen Topos der nationalen Identität, jede beinhaltet eine Paradoxie (Das Opfer der NSAggression [Verleugnung der NS-Täterschaft und Mitverantwortung an der Shoa]; der erfolgreiche ‚Wieder-Aufbau‘ [Verleugnung des Austrofaschismus]; Die Befreiung von den Alliierten [Verleugnung der Befreiung vom NS-Regime]). Ihre Bedeutungen sind in der zeitgeschichtlichen und politikwissenschaftlichen Literatur vielfach kommentiert. (vgl. z.B. Botz 1987a, 1987b, 1988; Hanisch 2005, 402ff; Stourzh 1975, 1990; Uhl 2001 & 2004; Pelinka & Weinzierl 1987; Wegan 2002 & 2004; Weinzierl & Skalnik 1972; Wodak, Menz u.a. 1994)

Andere politischen Reden, die zur Herausbildung des heute noch gängigen Österreichbildes beigetragen haben, sind aktuell weniger im Blick der nationalen Erinnerung. Bezüglich der dahinterstehenden Topoi gäbe es zahlreiche kontroverse Standpunkte zu diskutieren, die mit der Ambivalenz gegenüber Liberalismus, Demokratie, republikanischem und aufgeklärtem Denken im politischen Diskurs zu tun haben. Exemplarisch wird nachfolgend eine der programmatischen Reden zum sogenannten ‚österreichischen Ständestaat‘ hervorgehoben, die Bundeskanzler Engelbert Dollfuß am 11. September 1933 am Wiener Trabrennplatz(44) und am 1. Mai 1934 im Wiener Stadion gehalten hat.

In Hinblick auf das nationale Bild Österreichs war es der Austrofaschismus, der die Normierung eines ‚Österreichbewusstseins‘ mit diktatorischen Maßnahmen durchzusetzen versuchte. Wortsymbole, die z.T. noch heute zum fixen Repertoire des Österreichbildes gehören, wie der ‚Stephansdom‘, die ‚Türkenkriege‘, der ‚christliche Nationalismus“ (Lux 1934, 11f), ‚Gott und Vaterland‘, die ‚Vaterlandsliebe‘ und die ‚Heimatverbundenheit‘ (Schuschnigg 1934, 8) wurden im Austrofaschismus (1933–1938) mit großem Pathos und rhetorischem Geschick als Kern der österreichischen nationalen Identität verkündet. Die Bezugnahme auf eine ruhmreiche Vergangenheit spielte dabei ebenso eine wichtige Rolle wie die Berufung auf eine göttliche Legitimierung.

Am 11. September 1933 verkündete Bundeskanzler Dr. Engelbert Dollfuß am Trabrennplatz im Wiener Prater das Programm des austrofaschistischen Regimes. Parallel fand in der Woche vom 7. bis 12. September 1933 der Allgemeine Deutsche Katholikentag(45) statt. Zu Anfang dieser Rede nahm Dollfuß Bezug auf ein zentrales Wiener Wahrzeichen, den Stephansdom, und deutet diesen als „Kunstwerk christlich deutscher Kultur“; in der darauffolgenden Sequenz lädt Dollfuß dieses Symbol emotionell auf, indem er den Stephansdom mit einem sakralen Ritual verknüpft und zum Symbol einer Hochzeit, als „die Vermählung von wirklich echtem kerngesundem Volkstum und … wirklich erlebtem Christentum“ stilisiert. In der dritten Phase seiner Rede macht Dollfuß den Stephansdom symbolisch zum Träger eines Kernpunkts des politischen Programms des ‚Ständestaates‘, der christlichen Religion, die neben der Heimatverbundenheit und der Vaterlandsliebe die Trias der vaterländischen Ideologie bildete. (Schuschnigg 1934, 8)

Der Wechsel zwischen personalisierter Ansprache als „Österreicher“ und personifiziertem Abstraktum des Vaterlandes „Österreich“ war ein Kennzeichen der einschwörenden Rhetorik. Die Analyse der Trabrennplatzrede zeigt außerdem normierende, andere politische Meinungen unterdrückende Strategien, wenn Dollfuß z.B. nur jene als wahre Österreicher bezeichnete, die „Einsicht bewahren, nicht falschen Hoffnungen nachlaufen, sondern treu zum Vaterland stehen“ wollten. Der drohende Unterton an alle jene, die den „Verführern“ falscher Ideologien folgten, ist der Rede deutlich zu entnehmen, von freiwilligem Entschluss für eine Nation war hier nicht die Rede.

Das Programm des Austrofaschismus selbst war eine Absage an die Ziele der Aufklärung (eine Zeit, „in der man allen Weltgeheimnissen und allem Sinn nach dem Dasein mit Formeln und logischen Schlüssen bereits nahe gekommen zu sein [glaubte]“), an die „liberal-kapitalistische Gesellschaftsordnung“, an den „gottlosen Materialismus“, die „marxistische Volksverführung“, und an den demokratischen Parlamentarismus, der von Dollfuß in projektiver Spiegelung der eigenen diktatorischen Absichten als „demagogische Volksführung“ und als „absolute Parteienherrschaft“(46) bezeichnet wurde. Das Programm hob die Absicht nach autoritärer Führung explizit hervor, die Trias von Heimatverbundenheit, „Religiosität und Vaterlandsliebe“ (Schuschnigg 1934, 8) sollten die ideologischen Säulen des austrofaschistischen Österreichs bilden.

Der damalige Unterrichtsminister, Kurt Schuschnigg, schrieb z.B. im Geleitwort zu Joseph August Lux‘ vielzitiertem Werk „Das goldene Buch der vaterländischen Geschichte“ vom Mai 1934, dass sich die Kunst und das Schrifttum „von dem Gefühls- und Vorstellungsleben, von dem Gottnahen [Großschreibung i.O.] und im Heimatboden verwurzelten Wesen des Volkes“ (Schuschnigg 1934, 7) abgekehrt hätte, und schlägt für die „Erneuerung“ des österreichischen ‚Nationalbewusstseins‘ vor:

Abb. 36 Joseph August Lux: Das goldene Buch der vaterländischen Geschichte, 1934 (Buchdeckel)

Gott und Vaterland heißt der Zauberstab, der wiederum Wunder zu wirken vermag, so wie er es von Jahrhundert zu Jahrhundert vermochte. Was durch lange Zeit dem Volke vorenthalten wurde, hat nunmehr Aussicht, als Erfüllung alter Sehnsucht begrüßt zu werden. Die ruhmreiche österreichische Geschichte ist heute berufen, das Gefühl der Heimatverbundenheit um das große Bewusstsein einer geschichtlichen Sendung zu mehren und zu erhöhen. Unsere Heimat, das Land, in dem wir geboren sind, ist nicht nur schön und liebenswert, weil es schön ist und Wiege und Sarg unserer Ahnen bildet, sondern weil es Teil eines größeren Ganzen ist, das eine Aufgabe in der europäischen Welt zu erfüllen hatte, hat und haben wird, eines Ganzen, das wir Österreich nennen.“ (Schuschnigg 1934, 8)

In dem vom Ständestaat favorisierten Österreichbild wurde eine vorindustrielle Welt konstruiert, in der es nicht nur keine Fabriken und keine Arbeiterschaft gab, sondern auch keine Aufklärung, keine mündigen Bürger/innen, dafür treue, vaterländisch denkende, tiefgläubige und gottergebene Gefolgschaftsleute des autoritären Staates, der, wie im faschistischen Italien oder im nationalsozialistischen Deutschland, das Führerprinzip zum zentralen Organisationsmodell gewählt hatte.

Im Werk von Joseph August Lux ging es, anders als der Titel ankündigte, keineswegs um geschichtliche Analyse. Vielmehr sollte das Konzept einer für das Dollfuß-Regime passenden ‚vaterländischen Geschichte‘ verbreitet werden. De facto sollte ein nationaler Mythos geschaffen werden, auf den das ‚ National-Bewusstsein‘ im österreichischen Ständestaat aufsetzen konnte.

Pierre Nora schreibt dazu, dass nationale Mythen auf hoher emotionaler Identifikation fußen, die den religiösen Gefühlen gleichkommen, Irrationales mit einschließen sowie Verwerfungen und Verleugnungen genauso beinhalten wie ideologische Überhöhung und symbolische Verbrämung. Während Nora die Konstruktion des ‚Nationalbewusstseins‘ als nationale Erinnerungskultur (mémoire nationale) rückblickend analysiert, waren die Ideologen des Austrofaschismus dabei, ein solches Nationalbewusstsein für die vaterländische Zukunft zu bauen. Joseph August Lux beschrieb den „österreichischen Genius“ zwar auch als „Heimatgewächs“, deutet jedoch einen möglichen psychischen Prozess der Unbewusstmachung und der Verdrängung des „tieferen Wesens“ des „österreichischen Volkes“ an, dem „seine ruhmvolle vaterländische Geschichte“ abhandengekommen war:

Dem österreichischen Volk soll seine ruhmvolle vaterländische Geschichte zurückgegeben werden. Das ist jetzt die wichtigste erzieherische Aufgabe [!] … Volk und Jugend waren durch Jahrzehnte der eigenen Geschichte entfremdet. Und darum sich selbst entfremdet. Das eigene tiefere Wesen schien sich zu verlieren, der österreichische Genius abhanden zu kommen. Unbewusst war er wohl da, jedoch verschüttet, überwuchert und verdrängt von fremden oder gar falschen [!] Idealen, die nicht Heimatgewächs waren und nur Schaden bringen konnten.“ (Lux 1934, 9)

Die Heimatverbundenheit und Heimatliebe sind bis heute starke Topoi im Österreichbild geblieben. In Hinblick auf den faschistischen Hintergrund, welcher diese Heimatliebe besonders ins Zentrum seines politischen Programms gerückt hat, ist insbesondere die damit verbundene Verschleierung politischer Machtverhältnisse sowie die Unterdrückung und Verfolgung der politisch Andersdenkenden kritisch zu hinterfragen. Die starke Betonung des Heimatbodens, die Ableitung der Gedanken und Gefühle der Bewohner/innen mit der sie umgebenden Landschaft, die Liebe zu den Bergen zeugen nicht nur von – durchaus nachvollziehbarer – Naturliebe, sie sind auch Ausdruck einer Verdrängungs- und Verschleierungshaltung gegenüber realen politischen Interessen und Machtverhältnissen. Diese Verdrängungs- und Verschleierungsrhetorik setzt sich in der Nachkriegspolitik fort und ist bereits in der Unabhängigkeitserklärung der provisorischen Regierung vom 27. April 1945 nachzulesen, wonach „die nationalsozialistische Reichsregierung Adolf Hitlers …, das macht- und willenlos gemachte Volk Österreichs in einen sinn- und aussichtslosen Eroberungskrieg geführt hat, […] um zum Schluss noch unsere heimatlichen Berge als letzte Zuflucht gescheiterter Katastrophenpolitiker zu benützen und kriegerischer Zerstörung und Verwüstung preiszugeben.“ (Republik Österreich (27. April 1945), Proklamation über die Selbständigkeit Österreichs (online unter https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblPdf/1945_1_0/1945_1_0.pdf  (14.8.2021). (vgl. Hanisch 2005, 403)

Das Österreichbild nach 1945 schloss in zahlreichen Facetten an das durch den Austrofaschismus konstruierte ‚vaterländische‘ Bild über den Staat Österreich an. Der in zahlreichen Politikerreden wiederkehrende Metapher von der wahren ‚Seele‘ des österreichischen Volkes liegt das politische Interesse zugrunde, mit der Bestimmung dieser ‚Volksseele‘ ein Wir-Gefühl zu erzeugen, das diese österreichische Bevölkerung in Abgrenzung von dem nach 1945 als ‚volksfremd‘ ausgegebenen Glauben an die nationalsozialistische Ideologie einen sollte.

Dieses teils heute noch gängige Bild von Österreich wurde mit erheblichem Aufwand in den beiden ersten Jahrzehnten nach Ende des Zweiten Weltkriegs entwickelt. An der Konstruktion dieses Österreichbildes waren führende Persönlichkeiten des politischen Systems, insbesondere aber des Kulturund Bildungsbereichs beteiligt. (Ecker & Sperl 2018, 21ff)

Das Bild von Österreich, das von Politikerinnen und Politikern und öffentlich agierenden Persönlichkeiten der Nachkriegszeit gezeichnet und in den späten 1940er- und 1950er-Jahren neben den Schulen insbesondere von den Medien via Rundfunk, Wochenschauen und dann Fernsehen propagiert wurde, war anfänglich ein Bild, das aus der Reflexion über die Erfahrung der Kriegsjahre entstanden war und die gesellschaftlichen Grundwerte wie Humanität, Demokratie und Toleranz betonte. Es war aber auch ein Bild vom Land und seinen Bewohnerinnen und Bewohnern, das zum einen die Besatzer, zum anderen aber auch die Bewohner/ innen selbst davon überzeugen wollte, dass sie sich explizit vom Bezug auf die deutsche Politik der Jahre davor, vom Nationalsozialismus, von dessen totalitären Herrschaftsansprüchen, seiner gewaltverherrlichenden, menschenverachtenden Politik sowie seinen inhumanen und intoleranten Gesellschaftskonzepten distanzieren konnten.

Eine besondere Rolle in der Propagierung des neuen Österreichbildes war der schulischen Erziehung zugedacht. Bereits mit den ersten Erlässen für die schulische Erziehung in der neu errichteten Zweiten Republik wurde den Lehrerinnen und Lehrern ein expliziter Auftrag zur Erziehung der heranwachsenden Jugend im Sinne des neuen ‚Österreichbewusstseins‘ erteilt. Der Appell von Staatssekretär Leopold Figl vom 15. August 1945 gab das Ziel vor:

Unsere Jugend muß wieder österreichisch werden. Der Geist des Nazismus, der durch sieben Jahre unerhörtes Unheil in unserem ganzen Erziehungswesen angerichtet hat, muß restlos ausgemerzt und unsere Schule in verstärktem Maße das werden, was sie für jeden heimatbewußten Österreicher stets war: Pflegestätte echt österreichischer Erziehung, Gesinnung und Kultur.“ (Verordnungsblatt für den Dienstbereich des Landesschulrates für Niederösterreich 15.8.1945, 1)

In geflissentlicher Verleugnung oder Verharmlosung der Involviertheit vieler Österreicher/innen in die nationalsozialistische Rassenpolitik und die Shoa, dafür mit umso entschiedenerer Distanzierung zum Nationalsozialismus bzw. zum deutschen Nationalismus wurde nach 1945 ein Bild des neuen Österreich propagiert, das seine Zukunft auf einer „charakterfesten, vaterländischen und heimatbewußten Jugend“ (Verordnungsblatt 15.8.1945, 1) bauen sollte. Hervorzuheben ist allerdings auch die nun explizit antifaschistische und prodemokratische Zielsetzung:

An Stelle des überheblichen deutschen Nationalismus soll österreichisches Volks- und Staatsbewußtsein treten, in dem liebevolles Verständnis alles Fremden eingeschlossen ist; statt der falschen Herrlichkeit des Führertums muss die Überlegenheit der echten Demokratie gezeigt werden, die Idee der Gewalt verdrängt werden durch Humanität. Hat die anmaßliche Berufung auf eine unbewiesene Auserwähltheit des deutschen Volkes zu moralischem Tiefstand ohnegleichen geführt, so muß die österreichische Jugend dazu gebracht werden, neben den Vorzügen unseres Volkscharakters, wie Liebenswürdigkeit, Höflichkeit, Versöhnlichkeit, auch die eigenen Fehler, wie allzu große Nachgiebigkeit, Empfindsamkeit, Anschmiegsamkeit zu erkennen, und in ihr den starken Willen zu erzeugen, sie durch Festigkeit, Entschlossenheit und männliche Haltung zu überwinden. […] Strenge gegen sich selbst und Duldsamkeit gegen den Nächsten sind die Wesenszüge des zu formenden Charakters.“ (Stadtschulrat für Wien, vormals Staatsamt für Volksaufklärung, für Unterricht und Erziehung und für Kultusangelegenheiten, VOBL vom 3. September 1945 sowie Landesschulrat für Niederösterreich VOBL 25/1946)

Das politisch unverdächtige, heimatverbundene, volkstümelnde Österreichbild der Nachkriegszeit, in das nun als positive, identitätsstiftende Elemente zahlreiche weitere symbolträchtige Bilder über das Land und seine Bewohner/ innen mit einbezogen wurden, wie die schöne Landschaft, die erfolgreiche (Winter-)Sportnation, die aufstrebende Industrienation, setzte sich aus den folgenden – zum Teil widersprüchlichen – Facetten zusammen:

  • nationalen Geschichtsverständnis, das in der Tradition und der territorialen Weite des Vielvölkerstaats des Habsburgerreiches verankert wurde,
  • einem explizit anti-nationalsozialistischen, anti-faschistischen Politikverständnis, das den Werten der Demokratie, der Freiheit und der Friedensliebe verpflichtet war,
  • einem explizit österreichischen Kulturschaffen, das sich der deutschen Kultur verbunden wusste, an die kulturelle Hegemonie (kulturelle Führerschaft) des Habsburgerreiches im Vielvölkerreich anlehnte, sich allerdings im Kontrast zum nationalistischen Deutschtum verstand und als ein der Toleranz und Humanität verpflichtetes, eigenständig österreichisches Kulturschaffen profilierte,
  • einem volkstümlichen, romantisch klischierten Österreichbild (österreichisches Heimatbewusstsein), das sich von der Schönheit seiner Landschaft ableitete und die in ihr wohnenden Österreicher/innen als charaktervolle, liebenswürdige, friedvolle, versöhnliche und geduldige Menschen beschrieb,
  • einem wirtschaftlich erfolgreichen Land, das die technischen Errungenschaften zu seinem Vorteil zu nutzen wusste und sich als ein aufstrebendes, die natürlichen Ressourcen nutzendes Tourismus- und Industrieland präsentierte,
  • einer den Genüssen des Lebens zugewandten Bevölkerung, welche an gutem Essen, Wein und Geselligkeit seine Lebensfreude auslebte und dem internationalen Publikum in Festen und Festspielen kulturelle Höchstleistungen (insbesondere in musikalischer Form) präsentierte,
  • einer ausdauernden und seiner Landschaft entsprechend zähen und leistungsfreudigen (fleißigen, tüchtigen) Bevölkerung, die sich mit den sportlichen Höchstleistungen ihrer hervorragenden ‚Töchter und Söhne‘ (vorrangig des Wintersports) identifizierte.

Dieses Bild von Österreich wurde in der Nachkriegszeit neben den Schulen allen voran über das Medium Film propagiert: zunächst in den Wochenschauen, ab den späten 1950er-Jahren dann zunehmend über das Fernsehen. Facetten dieses Österreichbildes bestimmen auch die nachfolgend produzierten historischen Dokumentationen seit den 1980er-Jahren, die über die Entwicklung Österreichs im 20. Jahrhundert verfasst wurden, wie die Serien von Hugo Portisch „Österreich I“ und „Österreich II“ oder die Serien „Österreich in Bild und Ton“, „Österreich unser Jahrhundert“ (2009), „Jahrzehnte in Rot-Weiss-Rot“ (2012), oder „Generation Österreich“ (2012). Heute finden sich die Klischees dieser Themenfelder in so gut wie allen Werbespots, die einen Österreichbezug aufweisen oder für sich beanspruchen.

 

Schlussbetrachtung

Die Definition eines willentlich geschlossenen Vertrages für eine ,Nation‘, die Ernest Renan in seinem Vortrag am 11. März 1882 an der Sorbonne skizzierte, mutet im Vergleich zu den magischen, animistischen und projektiven Bildern, die sich bis heute im Österreichbild finden, sachlich und rational an:

Je me résume, Messieurs. L’homme n’est esclave ni de sa race, ni de sa langue, ni de sa religion, ni du cours des fleuves, ni de la direction des chaînes de montagne. Une grande agrégation d’hommes, saine d’esprit et chaude de cæur, crée une conscience morale qui s’appelle une une nation.“(47) (Renan 1882, 29)

In diesem Artikel ging ich von der These aus, dass Bewusstseinsinhalte nicht biologisch vererbbar sind und dass Personen, die in einer bestimmten Landschaft, Gemeinschaft oder Nation leben, keine genetische Veranlagung besitzen, diese oder jene Charaktereigenschaften zu entwickeln, die sie zu einer/einem typischen Angehörigen dieser oder jener Gemeinschaft prädisponieren.

Bewusstsein, ob als Nationalbewusstsein, Geschichtsbewusstsein oder Selbstbewusstsein ist keine stabile psychische Einheit, Wesenheit oder gar Substanz. Es ist ein höchst fluktuierendes kognitives und emotionales Momentum der Gegenwart, in dem ein Mensch zu sich oder eine Gemeinschaft über sich sagen kann: das bin ich, das sind wir, das erkenne ich, das fühle ich, das fühlen wir, das macht uns aus. Aus historischer Perspektive gedacht: Bewusstsein ist ein sinnbildendes Moment der Gegenwart, nicht der Vergangenheit und nicht der Zukunft.

Abb. 45 Hochgefühl, das mit der Vorstellung einer Größe der Nation zB. bei einer Sportveranstaltung durch durch bewusste Inszenierung, und Absingen der Hymne evoziert werden kann. ( First Lady Michelle Obama, Jill Biden vor dem Start von Spiel 1 der Baseball World Series 19. 10.2011)

Das sogenannte Nationalbewusstsein ist ein tendenziell spontan und situativ evozierbares Hochgefühl, das mit der Vorstellung einer Größe der Nation (la gloire) verknüpft werden kann, wann immer es zu bestimmten Anlässen (Festen, National-Feiertagen, Fußballländerspielen, etc.) durch bewusste Inszenierung, Hymnen, brillante Reden, berühmte Schauplätze etc. in Szene gesetzt wird.

Was im Kollektiv als Nationalbewusstsein ,erinnert‘ wird, sind de facto bereits vorher konzipierte Beschreibungen bzw. geplante Inszenierungen einer Bezugnahme auf ein Konzept von ‚Nation‘, welches den politischen Zielen einer konkret identifizierbaren Interessensgruppe entspricht, dabei tendenziell aber andere Interessensgruppen marginalisiert und/oder ausschließt. Überwiegend handelt es sich bei nationalen Konzepten wie jenem des ‚Nationalbewusstseins‘ um Wortsymbole, die auf bestimmte Wertvorstellungen der bestimmenden Gruppe verweisen. Die Wortsymbole dienen beispielsweise der Identitätsbildung in einem staatlichen Gebilde und tragen dazu bei, die aktuell herrschende Gruppe zu legitimieren.

Gerade weil das Bewusstsein kein substantielles, wesenhaftes, sondern ein höchst flüchtiges Phänomen unserer Lebenswelt ist, wird von der machthabenden Gruppe versucht, es im Sinne einer dauerhaften Identitätsbestimmung als Wir-Bewusstsein zu fixieren, normieren und zu erhalten. Dies, so auch die Erkenntnis von Jan Assmann, verlangt den Bezug zur Tradition, generiert das Bedürfnis, sich bzw. das Bild von sich selbst als ein Fixum, als ein Kontinuum in der Zeit zu vergegenwärtigen, die dazu passenden Bilder zu verankern, und als eigene, von anderen Gruppen (Nationen, Kulturen) unterschiedene Bilder festzuschreiben und/oder emotional zu verankern. Dazu erzeugt die Gemeinschaft Rituale, in denen sie sich ihrer Identität versichert, das Bild ihrer Identität erneuert oder dieses wieder neu bestimmt.

Mit der Sprache steht den Menschen ein vielfältiges, letztlich aber auch begrenztes Repertoire an Begriffen zur Verfügung, um Eigentümlichkeiten von Personen oder sozialen Systemen zu beschreiben. Dieses begriffliche Repertoire wird im Falle von identitätsbildenden Funktionen, die mit diesen Begriffen für eine Gemeinschaft verknüpft werden, metaphorisch besetzt, affektiv aufgeladen und mehr oder weniger stark normiert. Mehr als dieses begriffliche Repertoire sind es jedoch bestimmte anerkannte Erzählformen und vor allem Erzählmuster, die der Gemeinschaft zur Identifikation dienen und ihre Identität bestimmen (also auch das Wir-Gefühl umschreiben).

Diese Wortsymbole und Erzählmuster (Topoi) können im historischen Prozess variabel eingesetzt werden. Sie sind damit häufig mit unterschiedlichen, teils widersprüchlichen semantischen Inhalten/Bedeutungen besetzt und eignen sich im sozialen/politischen Kontext gerade durch diese Offenheit und/oder Überdeterminiertheit als sinnbildende und identitätsbildende Symbole.

Die Bezugnahme auf eine historische Kontinuität des Symbols oder Begriffs nutzt das Bedürfnis nach Stabilität der Identität („Es war so, ist so, wird immer so sein“). Die Inszenierung des Nationalgefühls kommt diesem Bedürfnis über die Bezugnahme auf einige wenige Symbole (Wappen, Fahne, Hymne, … gemeinsame Eigenschaften, gemeinsame Geschichte …) nach. An den ‚lieux de mémoire‘, den Schauplätzen der nationalen Erinnerung, wird dieses Gefühl der Stabilität erneuert (Gedenkfeiern, Bezugnahmen auf eine lange gemeinsame ‚Geschichte‘, eigentlich aber auf einen Mythos der gemeinsamen Abstammung, der gemeinsamen Anstrengung, des gemeinsamen Opfers). Die Teilnehmer/ innen an dieser Inszenierung schöpfen narzistischen Gewinn aus der Identifikation mit der Größe der Nation, der Gemeinschaft, der Institution.

Nicht alle Identifikationsangebote sind demokratisch. Auch Politiker/innen haben Idole, Vorbilder, Idealbilder und, – gar nicht so selten – unbewusste Gegenbilder. Gerade in Zeiten der Krise sind Politiker/innen nicht immun, solche autoritären Gegenbilder zu aktivieren.

In die Zukunft gerichtet, aus der Perspektive einer pluralistischen, diversen und demokratischen Gesellschaft, welche die Bewohner/innen der Republik Österreich, einem Mitgliedstaat der Europäischen Staatengemeinschaft, heute miteinander bilden, stellt sich freilich die Frage, welche Funktion die Vorgabe klischeehafter, stereotyper ,Charaktereigenschaften‘ heute noch erfüllen soll.

Die Personifizierung, Psychologisierung und Anthropomorphisierung von sozialen und/oder politischen Strukturen, – teils noch vermischt mit magischen und animistischen Elementen –, dient, so die hier vertretene These, der Verschleierung von realen Machtverhältnissen und Machtmechanismen im gesellschaftlichen und politischen Leben. Sie dient nicht der rationalen politischen Aufklärung und ist daher für eine zeitgemäße Politische Bildung, welche die Stärkung der aktiven und mündigen Bürger/innen zum Ziel hat, überholt.

Der metaphorischen Funktion der Beschreibungen von Konzepten über die nationale Identität in und von Österreich entsprechend schlage ich vor, in Zusammenhang mit der symbolisch aufgeladenen Beschreibung von Vorstellungen über die ‚Nation Österreich‘ von einem ‚Österreich-Bild‘ und nicht mehr von ‚Österreichbewusstsein‘ oder einem ‚österreichischen Charakter‘ zu sprechen und zu schreiben.

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