Der US-amerikanische Bilderdienst als Motor der österreichischen Pressefotografie


Abb. 91 War of Pictures, Startseite der online Projektausstellung

Marion Krammer & Margarethe Szeless

Die Recherche(53) zum amerikanischen Bilderdienst in Österreich während der Besatzungszeit stellt das Kernstück dar eines vierjährigen Forschungsprojekts des Instituts für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien mit dem Titel „War of Pictures. Press Photography in Austria 1945–1955“. Den Ausgangspunkt der Forschungen zur Pressefotografie in Österreich bildete der sogenannte USIS Bestand der Österreichischen Nationalbibliothek. Dieses Archivmaterial umfasst rund 22.000 Pressebildnegative (davon sind etwa 16.700 gescannt) der Pictorial Section (PS), des vom amerikanischen Information Service Branch (ISB) betriebenen amerikanischen Bilderdienstes. Sowohl die Bildunterschriften der Pressefotografien als auch die ursprüngliche Beschlagwortung und Archivordnung haben sich erhalten. Ebenfalls erhalten geblieben sind, auf der anderen Seite des Atlantiks in den National Archives in Washington, die administrativen Unterlagen der Pictorial Section in Österreich. Im Gegensatz dazu steht die äußerst spärliche Quellenlage bei Pressebildarchiven.

Dieser Beitrag stützt sich somit zum einen auf eine üppige Quellenbasis zum amerikanischen Bilderdienst, zum anderen auf die im Rahmen des Forschungsprojekts „War of Pictures. Pressefotografie in Österreich 1945–1955“ durchgeführten empirischen Erhebungen in den fünf auflagenstärksten österreichischen Nachkriegsillustrierten – dazu zählen die Wiener Bilderwoche, die Wiener Illustrierte und die Große Österreich Illustrierte, weiters die von den Sowjets herausgegebene Welt-Illustrierte und die Bilderbeilage des von den Amerikanern herausgegebenen Wiener Kuriers – aus denen rund 60.000 Einzelbildnachweise ausgewertet wurden. Die Verschränkung dieser beiden Zugänge ermöglicht einen aussagekräftigen Einblick in den österreichischen Pressebildermarkt des ersten Nachkriegsjahrzehnts und eine adäquate Beurteilung der Wirkmacht des amerikanischen Pressebilderdienstes.

 

1. Aufbau, Mission und Geschichte der Pictorial Section

Abb. 96 Wehrpass für Howard R. Hollem 1942

Die Wurzeln der Pictorial Section, mit deren Aufbau der Information Service Branch entsprechend seiner Mission bereits kurz nach dem Eintreffen der amerikanischen Truppen im Mai 1945 begonnen hatte, liegen in einem Salzburger Fotofachgeschäft. Das Photo-Haus Max Mann am Alten Markt 1 war für die Unterbringung der Pictorial Section (PS) beschlagnahmt worden. Ihr erster Leiter war Howard Hollem, vormals Fotograf für das United States Office of War Information. Neben ihm waren zunächst nur zwei weitere Amerikaner mit Fotoagenden betraut, sechs Österreicher wurden für administrative Tätigkeiten rekrutiert. Materialknappheit bzw. Versorgungsengpässe, fehlende Fotoausrüstung, die Suche bzw. die Ausbildung von geeignetem Personal sowie die allgemeine personelle Unterbesetzung kennzeichnen diese erste Phase des Aufbaus der Pictorial Section in Salzburg. Anfänglich konnten deshalb nur Bilderbögen aus der Psychological Warfare Branch in Rom in den Auslagen im Photo-Haus Max Mann gezeigt werden. Um der Kernaufgabe eines attraktiven „news service“ für die österreichische Bevölkerung nachzukommen, mussten jedoch lokale bzw. nationale Ereignisse fotografisch festgehalten werden. So etwa dokumentieren die ersten noch ausschließlich von den amerikanischen Fotografen der Pictorial Section aufgenommenen Bilder das Begräbnis der ehemaligen KZ-Insassin Käthe Novotny. Sie zeigen Menschenansammlungen, die sich um die Registrierung für Lebensmittelkarten bemühen, wiederentdeckte Gemälde in einer Salzburger Salzmine oder vor einem Lizenzierungsbüro wartende Geschäftsbesitzer in Linz.

Hollems zentraler Verdienst als Leiter der Pictorial Section von Mai 1945 bis August 1948 bestand in dem Aufbau eines Distributionsnetzwerkes für amerikanische Pressebilder und eines Pressebildarchivs. Von den aufbewahrten Negativen konnten bei Bedarf jederzeit Abzüge hergestellt und vertrieben werden. Schon Mitte Oktober 1945 versorgte die Pictorial Section nicht mehr nur diverse US-Militärorganisationen und andere Abteilungen der ISB mit Fotomaterial, sondern sie stellte unentgeltlich österreichischen Zeitungen und Magazinen in Wien, Linz und Salzburg Fotografien zur Verfügung und belieferte die Tageszeitung Wiener Kurier, das zentrale Printmedium der amerikanischen Besatzungsmacht, regelmäßig mit Bildmaterial. Das Distributionsnetzwerk speiste sich in dieser Phase des Aufbaus vor allem aus externen Quellen, der größte Teil der vertriebenen Fotografien stammte aus Amerika selbst, von der United States Information Agency (USIA) in Washington, anderen Regierungsorganisationen, privaten Unternehmen und amerikanischen Medien. Der von Hollem aufgebaute sogenannte „Americana Folder“ umfasste Ende 1947 bereits 10.000 Negative und bestand in erster Linie aus einer Sammlung von Aufnahmen zu amerikaspezifischen Themen aus den Bereichen Landwirtschaft, Architektur, Industrie, Zeitungen, Religion, Wissenschaft, Fernsehen, Bildung, Kunst, Aktivitäten der US-Regierung, etc. Von Beginn des Jahres bis zum August 1946 stellte die Pictorial Section insgesamt rund 27.590 Fotografien zur Verfügung. Im monatlichen Durchschnitt wurden in der ersten Jahreshälfte 1946 rund 4.598 Bilder vertrieben. Im Vergleich dazu waren es im Juli 1945 gerade einmal 717 Fotografien. (Hollem 1945)

Auf Grund des zunehmend steigenden Arbeitsvolumens wurden laufend Mitarbeiter/innen in die Pictorial Section aufgenommen. Anfang 1948 gab es neben Hollem und seinem Assistenten Charles Grifasi noch einen anderen amerikanischen Fotografen und drei weitere Militärfotografen, zwei Übersetzer, drei Schreibkräfte (auch zuständig für die Verwaltung des Bildarchivs), einen Büromanager und sieben Mitarbeiter/innen der Dunkelkammer. (Hollem 1948a) In eine etwaige Ausbildung österreichischer Fotografinnen und Fotografen investierte Hollem, im Gegensatz zu seinem Nachfolger, allerdings nicht.

Abb. 97 Yoichi Okamoto im Spiegelfoto auf der Range des Präsidenten L. B. Johnson 1964

Als Yoichi Okamoto die Leitung der Pictorial Section im September 1948 übernahm, hatte der amerikanische Bilderdienst längst mehr als nur Spuren in Österreichs Medienlandschaft nach 1945 hinterlassen. Wie die Zahlen der ausgesandten Prints in den Tätigkeitsberichten aus den Jahren 1945–1948 zeigen, wurde mit dem zunehmenden Ausbau der Pictorial Section der Markt mit Fotografien förmlich überflutet, eine Strategie, an der durchaus auch Yoichi Okamoto festhielt. Bevor aber auf die Ära Okamoto und die Bedeutung für die österreichische Pressefotografie eingegangen wird, soll ein genauerer Blick auf diese „amerikanische Bilderflut“ geworfen werden, die sich durchaus quantifizieren lässt.

 

2. Aufbau, Mission und Geschichte der Pictorial Section

Wie lässt sich nun diese „amerikanische Bilderflut“ in den österreichischen Nachkriegsillustrierten zwischen 1945 und 1955 empirisch nachweisen? Zu diesem Zwecke wurden rund 60.000 Einzelbildnachweise in den folgenden Illustrierten erhoben: Bilderbeilage des Wiener Kuriers, Große Österreich Illustrierte, Wiener Illustrierte, Wiener Bilderwoche, Welt-Illustrierte. Zwar variieren Seitenumfang und Bebilderungsdichte der ausgewählten Publikationen erheblich, es wurde aber versucht, von jedem Medium annähernd gleich viele Pressefotos zu berücksichtigen. Sodann wurde ein Ranking der meistpublizierten Fotografinnen und Fotografen sowie Agenturen durchgeführt.(54)

Das Pressebildmaterial des amerikanischen Bilderdienstes nahm mit 84 Prozent den ersten Platz ein, die verbliebenen 16 Prozent teilten sich mit 8 Prozent der sowjetische, mit 6 Prozent der britische und mit 2 Prozent der französische Bilderdienst(55). Die amerikanischen Bildagenturen hatten bereits vor und vor allem während des Zweiten Weltkrieges in den Ausbau ihrer internationalen Vertretungen investiert und damit entscheidend zur Entstehung einer globalen visuellen Öffentlichkeit beigetragen. (Vowinckel 2016, 31–54) Die quantitativ bedeutendsten und kommerziell erfolgreichsten Bildlieferanten für die illustrierte Presse in Österreich nach 1945 waren neben der britischen Keystone Press Agency die amerikanischen Bildagenturen International News Photos (INP), Associated Press (AP) und United Press (UP) in der Nachkriegszeit. Der Wiener Kurier etwa hatte ab 1946 mit den drei großen US-Fotoagenturen Verträge für die fixe monatliche Lieferung von Fotografien abgeschlossen: Die UP lieferte für 800 Schilling 250 Bilder pro Monat; auch mit International News Photos und Associated Press bestanden Verträge in gleicher Höhe.(56)

Der Eindruck der „amerikanischen Bilderflut“ wird etwas verzerrt durch die Einbeziehung der Bilderbeilage des Wiener Kuriers in die Auswertung, da in der Bilderbeilage vor allem Fotos der Pictorial Section verwendet wurden. Eine realistischere Einschätzung der Reichweite des amerikanischen Bilderdienstes ist möglich, wenn man nur die drei österreichischen Illustrierten analysiert. Auch hier rangiert der amerikanische Bilderdienst unter den Top 20 und belegt Platz sieben der Rangliste. Somit lässt sich auf empirischer Ebene die Dominanz der amerikanischen Besatzungsmacht am Pressebildermarkt belegen.

Im Vergleich mit dem Output des amerikanischen Bilderdienstes nimmt sich die Zahl der durch die Bilderdienste der anderen drei Besatzungsmächte verbreiteten Bildmaterialien geradezu marginal aus. Von den rund 60.000 erhobenen Pressebildern wurden an die 21.000 ohne Vermerk der Bildautorinnen/Bildautoren abgedruckt. Von den etwa 39.000 Pressefotos mit Bildnachweis entfallen 4.819 auf den amerikanischen Bilderdienst, 460 auf den sowjetischen Bilderdienst, 338 auf den britischen und lediglich 90 Pressefotos auf den französischen Bilderdienst. Der amerikanische Bilderdienst hat also rund zehn Mal so viele Pressebilder in den österreichischen Illustrierten platziert wie der sowjetische und der britische Bilderdienst, während der Beitrag des französischen Bilderdienstes zur österreichischen Bildkultur verschwindend gering war.

Ab 1951 betrieb die Associated Press (AP) auch in Wien ein eigenes Büro und bot fortan zudem einen nationalen Fotodienst, ein sogenanntes „domestic service“ an. (Kranzelmayer 2006, 26) Die von der AP angebotene Bilderanzahl bewegte sich anfänglich jedoch höchstens bei zwei bis drei Fotografien wöchentlich. Der Bilderdienst der AP war jedoch die erste und lange auch die einzige einer großen Nachrichtenagentur, die österreichischen Medien nationale Pressebilder lieferte. Die anderen auch in Österreich ansässigen großen Nachrichtenagenturen hatten das Geschäft mit dem Bild schlichtweg verschlafen: die Austria Presse Agentur/APA baute beispielsweise ihren Bilderdienst erst 1985 auf. (Kranzelmayer 2006, 22) Reuters startete ebenfalls erst im Jahr 1985 nach der Übernahme der amerikanischen United Press International einen internationalen wie nationalen Bilderdienst in Österreich. (Kranzelmayer 2006, 30)

Faktum ist, dass der amerikanische Bilderdienst nicht nur als einziger über die notwendigen finanziellen Ressourcen verfügte, einen Bilderdienst aufzubauen, sondern dass er neben den nationalen Bildagenturen als wichtigster Arbeitgeber vor allem für eine junge Generation an österreichischen Pressefotografinnen/Pressefotografen fungierte.

 

3. Yoichi Okamotos Bedeutung für die österreichische Pressebildkultur

3.1 Yoichi Okamotos Biografie

Abb. 101 General Mark W. Clark 1945-1947 US-Hochkommissar für Österreich

Abb. 102 Wiener Kurier Bildbeilage 24. 12.1949, S. 18 (Ausschnitt) (Auf Foto klicken vergrößerbar) Wien re Mitte und unten (Mariahilferstraße)

Yoichi R. Okamoto wurde 1915 in Yonkers, New York, als erster von zwei Söhnen eines japanischen Immigrantenpaares geboren. Sein Interesse an der Fotografie wurde während seiner Studienzeit an der Colgate University geweckt. Im Jahr 1938 graduierte er und verdiente im Anschluss seinen Lebensunterhalt als Nachtclubfotograf in Syracuse, New York. 1939 wurde er Fotograf beim Syracuse Post Standard. Obwohl Okamoto die amerikanische Staatsbürgerschaft besaß, wurde er von der US-Armee zunächst abgelehnt. Am 6. Jänner 1942 trat er schließlich als erster japanisch-stämmiger Amerikaner aus der New Yorker Gegend der US-Armee bei. (Bader 1956) Im Jahr 1944 kam er als Kriegsberichterstatter nach Europa und wurde zum persönlichen Fotografen von General Marc Clark, dem ersten Oberkommandanten der amerikanischen Truppen in Österreich (1945–1947), ernannt. Mitte Juni 1948 war Okamoto als Fotograf für das „63rd Signal Operations Batallion“, das seinen Hauptsitz in Wien hatte, tätig. Belege dafür, dass sich Okamoto und Hollem persönlich kannten, gibt es nur indirekt. In den Akten findet sich in einem Schreiben an Hollem der Hinweis, dass er sich bei rasch benötigten Fotos besser an seinen Kontakt Okamoto wenden solle. (Kaghan 1946)

3.2 Yoichi Okamoto und die Pictorial Section

Die zentralen Verdienste Okamotos während seiner sechsjährigen Tätigkeit als Leiter der Pictorial Section bestanden in dem weiteren Ausbau des Distributionsnetzes des amerikanischen Bilderdienstes, im Aufbau und der Ausbildung eines österreichischen Reporter/innenteams und in der modernen Gestaltung der Bilderbeilage des Wiener Kuriers, die ab Herbst 1948 erschien und ab Februar 1949 von Okamoto als verantwortlichem Art Director betreut wurde.

Wer waren jene 19 österreichischen Fotografen, die zwischen 1948 und 1955 als „staff photographers“ für die Pictorial Section tätig waren? Sieht man sich ihre Biografien an, so waren viele von ihnen bei ihrem Eintritt in den Bilderdienst zwischen 20 und Anfang 30 Jahre alt.(57) Auffällig ist weiters, dass viele eine Ausbildung an der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt in Wien absolviert hatten und sogar im selben Jahrgang bzw. zum Teil in derselben Klasse Fotografie studiert hatten. Es liegt nahe, dass sich die ehemaligen Studienkollegen bei der Neubesetzung von Stellen gegenseitig ins Spiel brachten.

Okamoto stellte auch aus pragmatischen Gründen vor allem junge und unerfahrene Absolventen der Graphischen an. Die Pictorial Section konnte sich schlichtweg keine erfahrenen Fotografen leisten. Ein erfolgreicher, freiberuflicher österreichischer Pressefotograf konnte laut einer Aktennotiz Okamotos aus dem Jahr 1948 im Monat rund 4.000 Schilling verdienen. Demgegenüber zahlte die Pictorial Section ihren jungen „staff photographers“ 1500 bis 2000 Schilling pro Monat, dafür investierte Okamoto Zeit und Energie in deren Schulung. (Hollem 1948b) Denn er benötige in seinem Team, wie er es selbst ausdrückte, keine engagierten Amateure, sondern „top-notch“ –Fotografen. (Okamoto 1948a) So sollte es eigens einen auf Reportagen spezialisierten Fotografen geben, einen News-Fotografen, mehrere Fotoessay- Spezialisten sowie einen auf Sportfotografie spezialisierten Reporter.

Okamotos Engagement als Lehrer und Vermittler moderner amerikanischer Reportagefotografie ist in den Akten vielfach belegt. Gezielt bestellte er amerikanische Fotozeitschriften und Abzüge von berühmten amerikanischen Fotografinnen und Fotografen, beispielsweise von Ansel Adams, als Anschauungsmaterial für seine Mitarbeiter/innen. Er selbst hielt in Wien Vorträge über Fotografie und als Edward Steichen(58) anlässlich seiner Europatournee 1952 das Wiener Büro der Pictorial Section besuchte, hielt er einen Vortrag. Für besonders wichtig aber hielt es Okamoto, seinem Team die amerikanische Herangehensweise an Reportagefotografie beizubringen. „Austrian photographers do not approach picture stories in the ‘Life’ manner… Men to fill these qualifications will have to be trained and the training period would take at least six months per candidate.“ (Okamoto 1948b) Okamoto unterstellte also dem österreichischen Bildjournalismus jener Zeit fehlende Modernität und fasste zugleich mit nur einem Wort seine Vorstellung von Fotografie zusammen: LIFE.

Abb. 103 Wiener Kurier Bildbeilage 12. 11. 1949, S. 19 (Ausschnitt)

Ein zentraler Grundsatz der Life-Fotografie ist die Visualisierung eines komplexen Themas anhand individueller menschlicher Schicksale. Eine verbreitete Praxis bei der Zeitschrift Life war zudem, dass der Redakteur in einem sogenannten „shooting script“ den Fotografinnen und Fotografen genaue Anweisungen für das Verfassen einer Reportage gab. Dieses Vorgehen ist auch für Okamoto belegt, wie das nachfolgende Beispiel verdeutlicht: Für eine ECA(59)- Sondernummer der Bilderbeilage des Wiener Kuriers beauftragte Okamoto Robert Halmi mit einer Reportage über die sogenannten „4-H Clubs in Austria“, mit ERP-Geldern finanzierte Klubs, die darauf abzielten, Kindern moderne Haushaltsführung und Landwirtschaft näher zu bringen. Diese Reportage von Halmi(60) wurde in der Bilderbeilage am 12.11.1949 veröffentlicht.

Okamoto versorgte Halmi mit Hintergrundinformationen zu Entstehung und Zielen der 4-H Clubs in Amerika, nannte relevante und interessante Kontaktpersonen und gab Anweisungen für die „story line“ und die Art und Weise der aufzunehmenden Fotografien:

“I want you to carry out a good picture series, slanting the ‚personal interest’ angle as much as possible, covering such activities as:

  1. How they conduct their club meetings. And what ‚better farming knowledge’ is exchanged at meetings?
  2.  

  3. What social and recreational activities are under way.
  4.  

  5. Pictures showing any machinery, seeds, cattle, or anything else that will show up in pictures of aid to farmers received through ECA.
  6.  

  7. Close-ups of a few boys and girls engaged in some kind of farm life activity connected with their Club program.
  8.  

  9. Shots showing any kind of fall harvesting.
  10.  

  11. If possible, shots showing boys and girls exhibiting farm products or livestock.” (Okamoto 1949b)

Okamotos Team lernte also allmählich, welche Bilder für die Publikation in der Bilderbeilage des Wiener Kuriers gewünscht waren und wie eine „picture story“ gebaut sein sollte. Okamoto war stets bemüht, die fotoästhetische Qualität der Bilderbeilage zu steigern. Deshalb ließ er sich auch von freien österreichischen Pressefotografen Fotos für die Bilderbeilage vorlegen und wählte aus diesen die sprechendsten Bilder aus. Um das externe Angebot anzukurbeln, erhöhte Okamoto die Bildhonorare für zugekaufte Pressefotos. Diese Maßnahme führte schon bald zum erhofften Erfolg. Bereits im Juli 1949 kann Okamoto berichten: „A new system of paying good prices for pictures from outside photographers has resulted in every top notch photographer giving ISB first look at their pictures. This has resulted in a much more successful Bilderbeilage.“ (Okamoto1949a) Während Okamoto von Ernst Haas beispielsweise eine Bilderserie zum Londoner Hyde Park um 1000 Schilling ankaufte (Purchase Order 1949), verdiente ein von der Pictorial Section unter Vertrag genommener „stringer photographer“ (= Freelancer) um ein Vielfaches weniger.

Abschließend soll exemplarisch anhand einer der wenigen Reportagen, die Yoichi Okamoto selbst in der Bilderbeilage publiziert hat, veranschaulicht werden, welche Einflüsse und Impulse von diesem Fotografen für die österreichische Bildkultur ausgegangen sein mögen:

Am 20. November 1948 veröffentlichte der Wiener Kurier in seiner Bilderbeilage eine doppelseitige Reportage von Okamoto mit dem Titel „Denn du bist meine Hoffnung. Ein steter Turm vor dem Feinde. Ein Bildbericht über den Wiederaufbau des Stephansdomes von Yoichi R. Okamoto“(61). Es handelt sich dabei um einen Bildbericht, der mit acht Fotografien illustriert ist. Das Layout der Reportage ist streng symmetrisch gehalten, gerahmt wird die Erzählung durch jeweils ein großes hochformatiges Foto in Halbtotale, das links eine Außenansicht des Stephansdoms und auf der rechten Seite eine Innenansicht der Kirche zeigt. Anstelle der uns vertrauten Abbildungen von Trümmern und Ruinen ist in diesen Bildern ein ordnungsstiftender Aufbauwille erkennbar, der sich in der bildhauerischen Bearbeitung riesiger Steinblöcke manifestiert. Dementsprechend sind die Protagonisten dieser Reportage die arbeitenden Hände der Steinmetze, die aus unterschiedlichen Blickwinkeln beim Behauen und Ziselieren des Sandsteins beobachtet werden. Konkrete Gründe für Krieg und Zerstörung fehlen, Bibelzitate als Titel und Bildunterschriften suggerieren das Überdauern christlicher Werte, dies wird auch typografisch mit Schmuckkapitälchen und gebrochener Schrift unterstützt.

Auf vergleichbare Weise wird einige Jahre später Okamotos wichtigster Mentor, Edward Steichen, in seiner weltberühmten Ausstellung „The Family of Man“ (1955) im Museum of Modern Art in New York die Kombination aus zeitgenössischer Fotografie und Bibelzitaten zur Anwendung bringen, um das Verbindende zwischen unterschiedlichen Kulturen hervorzuheben. Wie sein großes Vorbild Edward Steichen verstand es Okamoto vorbildlich, aus gut komponierten Pressebildern sowie mit Hilfe von Layout, Bildunterschriften und Typografie auf den Doppelseiten einer Zeitschrift jenen Mehrwert zu schaffen, der eine vielschichtige und gelungene Bildreportage ausmacht. Nicht zuletzt darin liegt ein bedeutender Beitrag Okamotos zur österreichischen Bildkultur nach 1945. Aufgenommen und weitergeführt wurden diese Impulse von Okamotos ehemaligen Mitarbeitern, darunter Robert Halmi, Ferdinand Schreiber oder Gottfried/Jeff Rainer, die in Interviews mehrfach die prägende Rolle des amerikanischen Pressefotografen für die österreichische Bildkultur bezeugten.

 

LITERATUR

Krammer, Marion & Szeless, Margarethe (2017). „Let’s hit the reorientation line every time we can!“ Amerikanische Bildpolitik in Österreich am Beispiel der Pictorial Section. In: Krammer, Marion; Szeless, Margarethe & Hausjell, Fritz (Hrsg.), Alliierte Bildpolitik in Österreich 1945–1955. medien&zeit. Kommunikation in Vergangenheit und Gegenwart. Jahrgang 32 (Heft 1/2017).

Kranzelmayer, Magdalena (2006). Zwischen Medienrealität und Wirklichkeit: Handlungsstrategien von Pressefotografen der in Österreich tätigen Nachrichtenagenturen AP, APA, REUTERS. Diplomarbeit, Universität Wien.

Okamoto, Yoichi (1948). Ein Bildbericht über den Wiederaufbau des Stephansdomes. In: Bilderbeilage des Wiener Kuriers, 20. November 1948, 2–3.

Vowinckel, Annette (2016). Agenten der Bilder. Fotografisches Handeln im 20. Jahrhundert. Göttingen: Wallstein.

 

ARCHIVMATERIAL

Bader, Franz (1956). Yoichi Okamoto’s CV, 11.02.1956, Art & Artist Folder Yoichi Okamoto, Smithsonian American Art Museum/National Portrait Gallery Library, Washington, D.C.

Kaghan, Theodore (1946). Schreiben an Hollem, Howard, 23.08.1946, NARA, Washington D.C., RG 260, Press Section, General Records 1945– 1955, Box 4, Folder 34.

Hollem, Howard (1945). Report, 15.07.1945, National Archives And Records Administration (NARA), Washington D.C., RG 260, Feature Section, General Records, Box 2, Folder PS.

Hollem, Howard (1948a). Basic Photographic Library of U.S. its Land and People, 27.01.1948, Schreiben an Erskine Hume, NARA Washington D.C., RG 260, Pictorial Section, Box 1, Folder 14.

Hollem, Howard (1948b). History of ISB Pictorial Section, 26.01.1948, NARA, Washington D.C., RG 260, Pictorial Section, Box 2, Pictorial Section, Box 1, Folder 14.

Okamoto, Yoichi (1948a). Schreiben an Fox, Douglas C., 21.10.1948, NARA, Washington D.C., RG 260, Operations Section, General Records, Box 9, Folder 129.

Okamoto, Yoichi (1948b). Schreiben an Halmi, Robert, 09.12.1948, NARA, Washington D.C., RG 260, Pictorial Section, Box 1, Folder 6.

Okamoto, Yoichi (1949a). Memo an Bloom, Juni/Juli 1949, NARA, Washington D.C., RG 260, Operations Section, General Records, Box 13, Folder 199.

Okamoto, Yoichi (1949b). Schreiben an Halmi, Robert, 24.08.1949, NARA, Washington D.C., RG 260, Pictorial Section, Box 1, Folder 6.

Purchase Order (1949) ausgestellt an Haas, Ernst, 03.01.1949, NARA, Washington D.C., RG 260, Operations Section, General Records, Box 16, Folder 226.

Yoichi R. Okamoto, Bilderbeilage des Wiener Kuriers, 20. November 1948, 2–3.

 

WEITERFÜHRENDE LITERATUR

Wagnleitner, Reinhold (1991). Coca-Colonisation und Kalter Krieg. Die Kulturmission der USA in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg. Wien: Verlag für Gesellschaftskritik.

 

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dgpb © Krammer, Marion & Szeless, Margarethe