Video in der Lehrer/innenbildung
Martin Hämmerle, Hedwig Weiß
3. Die Video in der Lehrer/innenbildung
3.1 Der didaktische Mehrwert im Einsatz in der Lehrer/innenbildung
- multiperspektivische Rekonstruktion, Verständnis und Erweiterung eigener Handlungs- und Denkmuster
- Video als externes Gedächtnis
- Komplexität aus der Distanz
- Diskussionsgrundlage für Hypothesen und Reflexionen
- Ausgangspunkt für Verknüpfung von Theorie und Praxis
- Außenperspektive zur Unterstützung einer reflexiven Praxis
3.1.1 multiperspektivische Rekonstruktion
Die Videografie von Unterricht ermöglicht die multiperspektivische Rekonstruktion von Unterricht, Reflexionsprozesse zu initiieren und zu nutzen, das Verständnis und die Erweiterung eigener Handlungs- und Denkmuster durch die Wahrnehmung eigenen oder fremden Unterrichts zu fördern.
Zentral ist dabei die Etablierung einer konstruktiven Kultur des gemeinsamen Analysierens und Reflektierens von Videos im Sinne einer Überwindung der wertenden Beurteilung hin zu einer Kultur der multiperspektivisch deskriptiv-analytischen Betrachtung von Lehr- und Lernprozessen.
3.1.2 externes Gedächtnis
Das Nachdenken über Unterricht wird durch die Videografie als medientechnisches Artefakt dadurch erleichtert, dass das Video als externes Gedächtnis fungiert und eine beliebig häufige Präsentation des unterrichtliche Geschehens – genauer: des videografierten unterrichtlichen Geschehens - ermöglicht.
3.1.3 Komplexität aus der Distanz
Das Geschehen im Klassenzimmer ist sehr komplex. Neben der inhaltlichen Arbeit werden gleichzeitig verbale und nonverbale Signale ausgesendet und von den Akteurinnen/Akteuren oft sehr unterschiedlich interpretiert. Videos stellen eine zeitliche und räumliche Distanz zum unmittelbaren Geschehen her, geben die Gelegenheit, ohne Handlungsdruck das Geschehen immer wieder zu betrachten und in der Analysearbeit unterschiedliche Sichtweisen und Interpretationen mit einzubeziehen.
3.1.4 Basis für Hypothesen und Reflexion
Das Betrachten der Unterrichtsvideos erlaubt Hypothesen über das Lernverhalten der Schüler/innen und regt zur Reflexion des eigenen Handelns an. Unterrichtsvideos bieten eine wertvolle Diskussionsgrundlage für den Austausch über Kriterien „guten“ Unterrichts, die auf diese Weise der Reflexion zugänglich gemacht werden. Die individuellen Kriterien können wiederum mit theoretischen Erkenntnissen über Lehr- und Lernprozesse verglichen und erweitert bzw. differenziert werden.
3.1.5 Ausgangspunkt der Verknüpfung von Theorie und Praxis
Der für die Veränderung des Handelns von Lehrpersonen unabdingbare erste Schritt zu einer vermehrt reflexiven Praxis ist das Bewusstmachen der eigenen subjektiven Theorien über das Lehren und Lernen, um diese auch bearbeitbar machen zu können. Die Reflexion und Diskussion über Unterricht anhand von Videos ermöglicht die Explizierung dieser handlungsleitenden subjektiven Theorien und die Verknüpfung von theoretischem Wissen und unterrichtspraktischem Handeln.
3.1.6 Außenperspektive
Unterrichtsvideos vermitteln einen distanzierten Blick nicht nur auf „fremden“, sondern gegebenenfalls auch auf den eigenen Unterricht. In diesem Falle stellen sie für die gefilmte Lehrperson eine Außenperspektive dar, welche eine distanzschaffende Objektivierung subjektivens Erlebens erlaubt und die Reflexion des eigenen Handelns in Bezug auf Qualitätsstandards unterstützt. Dies schafft Anlässe, den eigenen Unterricht zu hinterfragen und gegebenenfalls zu verändern.
3.2 Grenzen des Einsatzes von Videos
Trotz der Vorteile von Videos gegenüber anderen Medien sind der Arbeit mit Unterrichtsvideos auch Grenzen gesetzt.
So bleibt der gezeigte Unterricht trotz aller Merkmale von Authentizität immer ein begrenzter Ausschnitt aus der Realität, abhängig vom Fokus der Kamera. Auch ermöglichen Unterrichtsvideos keine Interaktionen mit ihren Protagonistinnen/Protagonisten..
Die Arbeit mit Videos beschränkt sich auf das Beobachten und Interpretieren der gezeigten Situation, in Abhängigkeit von zusätzlich erhobenen und zur Verfügung stehenden Informationen zum Situationskontext..
Ihr Einsatz bedarf einer zielorientierten Einbettung und Verankerung in inhaltliche Ausbildungsangebote und einer sorgfältigen Gestaltung des Lernsettings mit Möglichkeiten zum kollaborativen Austausch und einer kompetenten Anleitung und Begleitung der Arbeit.
LITERATUR
Herzig, Bardo; Grafe, Silke; Reinhold, Peter (2005). Reflexives Lernen mit digitalen Videos – zur Auseinandersetzung mit dem Theorie-Praxisverhältnis in der Lehrerausbildung. In: Nimm doch mal die Kamera! : zur Nutzung von Videos in der Lehrerbildung ; Beispiele und Empfehlungen aus den Naturwissenschaften / Manuela Welzel ... (Hrsg.) . - Münster [u.a.]: Waxmann, 2 S. 45 – 64.
Krammer, Kathrin; Reusser, Kurt (2005). Unterrichtsvideos als Medium der Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen. In: Beiträge zur Lehrerbildung, 23 (1), 2005. S. 35 – 50.
Müller, Hartmut (2007). Qualifizierung von Berufs- und Wirtschaftspädagogen zwischen Professionalisierung und Polyvalenz. Schulpraxisreflexion – Ein Instrument zum Umgang mit dem Theorie-Praxis-Problem in der Lehrer(aus)bildung. bwp@.12/2007, Abb. 2, (https://www.bwpat.de/ausgabe12/mueller_bwpat12.shtml Zugriff4. August 2023).
Abbildungsverzeichnis
- Abb. 6 Unterricht videografieren © michael hirschka, www.pixelio.de
- Abb. 7 Zuspätkommende © Martin Hämmerle, Universität Wien Screenshot
- Abb. 8 Unterrichtsanalyse © klaus edel, dgpb; Weltjournal 37/68 Screenshot
- Abb. 9 Verknüpfung von Theorie und Praxis © klaus edel, dgpb
- Abb. 10 Außenperspektive mittels Monitor © klaus edel, dgpb; Martin Hämmerle, Universität Wien
- Abb. 11Kamerabild © klaus edel, dgpb; Martin Hämmerle, Universität Wien