Zur Nachnutzung kontaminierter Orte - Das Areal des ehemaligen KZ-Außenlagers Melk


Christian Rabl

 

1. Einleitende Bemerkungen

Der vorliegende Beitrag gliedert sich in drei Teile. Auf einen historischen Kurzabriss zur Geschichte des KZ-Außenlagers Melk folgt eine Darstellung der Nachkriegsnutzung der verschiedenen Teile des ehemaligen Konzentrationslagers sowie der sich nach Kriegsende entwickelnden Formen des Gedenkens an die Gewaltgeschichte des Ortes. Daran anknüpfend wirft der dritte Teil des Textes einen Blick auf die aktuellen Herausforderungen und Fragestellungen für die KZ-Gedenkstätte Melk, die im Auftrag der Bundesanstalt Mauthausen seit einigen Jahren von der lokalen Initiative „MERKwürdig. Eine Veranstaltungsreihe wider Gewalt und Vergessen“ betreut wird.(9)

 

2. Historischer Kurzabriss zur Geschichte des KZ-Außenlagers Melk

Am 21. 04. 1944 wurden die ersten 500 KZ-Häftlinge – hauptsächlich sogenannte „politische Schutzhäftlinge“ französischer Herkunft – vom KZ Mauthausen aus mit dem Zug nach Melk transportiert und auf dem Areal der „Freiherr von- Birago-Pionierkaserne“ untergebracht (Perz 2014, 248). Die ab dem Jahr 1910 nach Plänen der renommierten Architekten Theisz & Jaksch (BMLV 1986, 15) erbaute Kaserne stand aufgrund des für das „Deutsche Reich“ zunehmend prekären Kriegsverlaufes – das Gros der Pioniere befand sich im Fronteinsatz – zu Beginn des Jahres 1944 fast vollständig leer und eignete sich daher ideal für die Unterbringung eines KZ-Außenlagers. Auf dem Areal wurden jene Häftlingszwangsarbeiter untergebracht, die unter dem sogenannten Wachberg bei Roggendorf unter dem Decknamen „Projekt Quarz“ eine unterirdische Rüstungsanlage für die Steyr- Daimler-Puch-AG errichten mussten (Perz 2014). Die Untertage- Verlagerung der „kriegswichtigen“ Rüstungsindustrie unter dem Wachberg diente der Produktion von Wälzlagern für diverses Kriegsgerät, gleichzeitig sah die Leitung der Steyr-Daimler-Puch AG in der U-Verlagerung aber auch die Möglichkeit, wesentliche Produktionskapazitäten über ein immer deutlicher absehbares Kriegsende hinaus abzusichern. Die ersten KZ-Häftlinge, die in Melk eintrafen, wurden zunächst im ersten Stock des sogenannten „Objekts X“ einquartiert, das bis heute erhalten geblieben ist und noch zahlreiche Spuren aufweist, die auf seine frühere Funktion hinweisen. Im Erdgeschoß des langgezogenen Betonbaus auf der Südwestseite des Kasernenareals – heute befinden sich hier KFZ-Werkstätten und Lagerflächen – wurde die Häftlingsküche eingerichtet. In den folgenden Wochen und Monaten wurden einerseits die weiteren bestehenden Betongebäude zu Häftlingsquartieren, sogenannten „Blöcken“ umfunktioniert und andererseits zahlreiche neue Holzbaracken errichtet, die hauptsächlich der Aufnahme der Zug um Zug steigenden Zahl von KZ-Häftlingen dienten. Bis zum Zeitpunkt der Evakuierung des Lagers im April 1945 durchliefen rund 14.400 KZ-Häftlinge aus mehr als 20 unterschiedlichen Ländern das KZ-Außenlager Melk, wodurch es zu einem der größten Lagerstandorte des Mauthausen-Komplexes und zum größten Standort im sogenannten Gau Niederdonau überhaupt wurde. Im Jänner waren fast 11.000 Häftlinge gleichzeitig vor Ort inhaftiert – mehr als doppelt so viele Menschen wie die damalige Gesamteinwohnerzahl der Stadt Melk. Mit Fortdauer des Lagerbestehens wurden die Lebensbedingungen für die KZ-Häftlinge in Melk immer prekärer, was einerseits der Mangelversorgung mit Nahrungsmitteln, Bekleidung und Ausrüstung geschuldet war, andererseits aber auch der brutalen Behandlung der Häftlinge sowohl durch die Lagerleitung (hauptsächlich Waffen-SS) als auch durch die Wachmannschaften (großteils Soldaten der Luftwaffe), durch Zivilarbeiter/innen und „Funktionshäftlinge“ im Rahmen des Zwangsarbeitseinsatzes. Hinzu kamen zahlreiche schwere Unfälle bei der Zwangsarbeit im Stollenvortrieb, der im Dreischicht-Betrieb erfolgte. Tag für Tag marschierten die KZ-Häftlinge von der Birago-Kaserne aus durch die Stadt Melk bis zum sogenannten „Haltepunkt“, einem provisorischen Bahnhof etwa 200 Meter östlich vom heutigen Melker Bahnhofsgebäude gelegen, wurden dort in Züge verladen und zur Stollenbaustelle im weniger als fünf Kilometer entfernten Roggendorf transportiert, wo sich ein weiterer „Haltepunkt“ analog zu jenem in Melk befand.(10)

Die prekären Lebensbedingungen, massive Gewaltverbrechen(11) durch sadistische Waffen-SS-Angehörige, wie etwa den SS-Sanitätsdienstgrad Gottlieb Muzikant, durch Zivilisten und „Funktionshäftlinge“ sowie ein folgenschwerer Luftangriff durch die US-Luftwaffe im Juli 1944, der auch das eingangs erwähnte Objekt X weitreichend zerstörte, forderten binnen eines Jahres insgesamt fast 5.000 Todesopfer unter den in Melk stationierten KZ-Häftlingen. Die dramatisch ansteigende Zahl der Todesopfer ab dem Sommer 1944 hatte zur Folge, dass direkt angrenzend an das Lagerareal mit dem Bau eines Krematoriums – ausgestattet mit einem Ofen der Firma H. Kori GmbH – begonnen wurde. (Perz 2014, 512f) Im Zeitraum zwischen Dezember 1944 und Mitte April 1945 wurden im Melker Krematorium rund 3.500 Leichen verbrannt, durchschnittlich also rund 25 Leichen pro Tag. Im Winter 1944/45 schnellte die Zahl der Todesopfer massiv in die Höhe, immer mehr KZ-Häftlinge wurden binnen kürzester Zeit „arbeitsunfähig“, wurden deshalb vielfach nach Mauthausen in das dortige „Sanitätslager“ rücktransportiert oder starben noch vor Ort an Infektionskrankheiten, schweren Verletzungen durch den Zwangsarbeitseinsatz oder Entkräftung.

Im Rahmen eines Befehls des Reichsführer-SS Heinrich Himmler wurden per Anfang April sämtliche Mauthausen- Außenlager evakuiert, die sich in frontnahen Gebieten im „Gau Niederdonau“ befanden, so auch das Lager in Melk. Zwischen 11. und 15. 04. wurde das Lager aufgrund der näher rückenden Kampfhandlungen schließlich evakuiert und die KZ-Häftlinge wurden in Richtung Westen transportiert – teilweise zurück in das Hauptlager Mauthausen, großteils jedoch in das Außenlager Ebensee, wo die Überlebenden schließlich am 06. 05. 1945 von US-Soldaten befreit wurden.

 

3. Zur Nachgeschichte des ehemaligen KZ-Areals

Was wurde nun aus diesen „kontaminierten Orten“(12), an denen in Melk so viele KZ-Häftlinge ermordet worden waren? In welchen unterschiedlichen Formen wurde der Opfer in den folgenden Jahrzehnten gedacht und welche Gruppen waren es, die das Gedenken an die Toten des KZAußenlagers Melk wachgehalten haben? Welche Spuren der KZ-Geschichte sind auf dem Areal des ehemaligen Konzentrationslagers noch zu finden und welche baulichen Veränderungen und Überformungen haben auf dem Gelände seit dem Kriegsende 1945 stattgefunden? Eingangs muss hier zwischen zwei unterschiedlichen Teilen des ehemaligen KZ-Areals unterschieden werden, dem ehemaligen Krematoriumsgebäude einerseits und dem Kasernenareal andererseits. (13)

 

3.1 Konzentrationslager – „Umsiedlerlager“ – Pionierkaserne

Die ab Ende April 1945 leerstehende Kaserne in Melk, die zunächst naturgemäß noch zahlreiche Spuren des KZ-Außenlagers aufwies, wurde noch im Jahr 1945 von den sowjetischen Besatzern übernommen und fungierte einige Monate als sowjetische Garnison (Perz 2014, 551). Ab dem Jahr 1946 bekam das Kasernenareal einen neuen Zweck: Zwischen 1946 und 1948 durchliefen rund 73.000 sudetendeutsche Umsiedler das „Sammellager Melk“ (Perzi 2016, 225), ehe sie – meist nach Westdeutschland – weitertransportiert wurden. Bereits ab der zweiten Hälfte des Jahres 1945 hatten immer wieder Gruppen vertriebener Sudetendeutscher die Stadt Melk erreicht und waren zunächst in den Räumlichkeiten des Benediktinerstiftes Melk untergebracht worden.(14) Bis zur neuerlichen Übernahme des Areals durch das österreichische Bundesheer im Jahr 1956 wurde die Anlage teilweise weiter von den sowjetischen Besatzern benützt, der Großteil der vorhandenen Kasernengebäude diente jedoch der zivilen Unterbringung von fast 40 obdachlos gewordenen Familien aus Melk. (OeStA, AdR, BM f. Inneres, Umsiedlerlager Melk, 71.301-12U/49, Abschrift eines Schreibens der Stadtgemeinde Melk, 13. 05. 1949)

Mit der Rückkehr der Pioniere wurde das Kasernenareal wieder seiner ursprünglichen Funktion zugeführt und ist bis heute ein – nicht zuletzt für den Katastrophenschutz – sehr bedeutsamer Kasernenstandort geblieben, der aktuell eine umfangreiche räumliche Erweiterung erfährt. Bereits im ersten Jahrzehnt nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden auf dem Kasernengelände mehrere – aus historischer Sicht besonders bedeutsame – Gebäude und Materialien entfernt. So wurden etwa mehrere der im Jahr 1944 von KZ-Häftlingen errichteten Holzbaracken nach Kriegsende „bereits durch die USIA abgebrochen und an die Stadtgemeinde St. Pölten verkauft und auch nach dort verbracht.“ (NÖLA, Aktenvermerk der BH Melk, 30. 05. 1950) Die weitere Verwendung der ehemaligen Melker KZ-Baracken ist derzeit Gegenstand wissenschaftlicher Recherchen.

Bis heute erhalten geblieben ist hingegen das Objekt X, das ab April 1944 als erstes Quartier für die Melker KZ-Häftlinge gedient hatte. Das zweistöckige Gebäude wurde am 08. 07. 1944 bei einem Bombardement durch die US-Luftwaffe schwer beschädigt (Perz 2014, 400f.) und anschließend von KZ-Häftlingen wiedererrichtet und renoviert. Inzwischen weist das Gebäude mehrere gravierende bauliche Veränderungen auf. So wurde das Erdgeschoß zu einer KFZ-Werkstätte umfunktioniert und der erste Stock fungiert bis heute – ungeachtet der historisch bedeutsamen Spuren aus der Zeit des KZ-Bestehens – als Lagerraum. Das Gebäude weist heute außerdem auf der Höhe der Einmündung der Melker Südspange eine „Baulücke“ auf und auch die betonierte Zufahrtsrampe zum westlichen Eingangstor im ersten Stock des Objektes X wurde inzwischen entfernt.

 

3.2 Das ehemalige Krematorium als Gedenkort

Auch das ehemalige Krematoriumsgebäude erfuhr seit seiner Errichtung im Spätherbst 1944 mehrere bauliche Veränderungen bzw. Renovierungen, die derzeit Gegenstand einer fundierten bauhistorischen Analyse sind. Das ehemalige Krematorium wurde – ebenso wie das Kasernenareal als ehemaliger KZ-Standort – bereits ab der zweiten Hälfte der 1940er-Jahre regelmäßig von KZ-Überlebenden und Angehörigen von KZ-Opfern besucht. Hier ist insbesondere die Gemeinschaft ehemaliger französischer Mauthausen- Häftlinge (Amicale de Mauthausen) zu nennen, die Melk im Rahmen sogenannter „Pilgerfahrten“ jährlich aufsuchte, um hier der Toten zu gedenken und die bereits im Jahr 1949 eine erste Gedenktafel auf dem Krematoriums-Schornstein anbringen ließ (Perz 2006, 211).

Im Zuge dieser Besuche auf dem ehemaligen Lagergelände wurde von den Häftlingsorganisationen – darunter auch vom österreichischen KZ-Verband – wiederholt massiv kritisiert(15), dass das ehemalige Krematoriumsgebäude, in dem sich damals wie heute der Verbrennungsofen befindet(16), seitens der österreichischen Behörden dem Verfall preisgegeben werde bzw. dass die NÖ Landesregierung sogar den Abriss des Gebäudes in Betracht gezogen habe (Der neue Mahnruf 1950, 9). Ab Ende der 1940er-Jahre wurde deshalb der Ruf nach Renovierung des Gebäudes sowie nach der Etablierung einer dauerhaften Gedenkstätte immer lauter.

„Es hat immer wieder den Unwillen der ausländischen, vor allem französischen Besucher des ehemaligen KZ-Nebenlagers Melk erregt, wenn sie das Krematoriumsgebäude in ungepflegtem (Dach ist wasserundurchlässig geworden!) [sic!] Bauzustand antrafen.“ (NÖLA, BH Melk, Gruppe IX, Schreiben des Amtes der NÖ Landesregierung an das BM f. Inneres, 17. 05. 1950).

Abb. 8 Panoramafoto des Lagergeländes

Abb. 9 Gedenktafel der NÖ. Landesregierung

Die anhaltende Kritik der Opfergruppen sorgte schließlich dafür, dass anfangs der 1950er-Jahre erste Renovierungsmaßnahmen am Krematoriumsgebäude durchgeführt wurden und das Gebäude „zur weiteren Betreuung und Erhaltung der Stadt Melk übergeben“ (Der neue Mahnruf 1950, 9) wurde. Die umfangreiche Sanierung erfolgte unter der Leitung des Melker Stadtbaumeisters und Architekten Franz Sdraule, der im Jahr 1944 auch bereits mit der Errichtung mehrerer Gebäude im Kontext des KZ-Außenlagers beauftragt worden war. Die Renovierung kostete in Summe 27.563,77 Schilling. Nachdem sich die Stadt Melk jedoch als für das Areal zuständige Institution nicht zur Übernahme der Kosten im Stande sah, wurden diese von Land NÖ und Bund beglichen. Ein Jahr später, im Frühjahr 1951 sah sich das Amt der NÖ Landesregierung – nachdem die Amicale de Mauthausen bereits zwei Jahre davor eine Gedenktafel am Schornstein angebracht hatte – nun ebenfalls dazu veranlasst, im Krematoriumsraum (der heutige Pietätsraum) einen Gedenkstein zu verwirklichen, der auch bis heute erhalten geblieben ist:

Bei der Verwirklichung des Gedenksteins im Frühjahr 1951 war besondere Eile geboten, denn bereits im April erwartete das Land Niederösterreich wieder „verschiedene KZ-ler-Delegationen (auch aus dem Auslande) in Melk“. (NÖLA, Schreiben des Amtes der NÖ Landesregierung an den Badener Stadtsteinmetzmeister Alexander Scheerer, 24. 02. 1951). Die Enthüllung des Gedenksteins erfolgte schließlich unmittelbar nach Beendigung der großen Befreiungsfeier in Mauthausen im Mai 1951. Anwesend waren sowohl zahlreiche KZ-Überlebende, als auch zahlreiche lokale Prominenz:

„Im Beisein des Bezirkshauptmannes Dr. Schmidt sprach Bürgermeister Mistelbacher ergreifende Worte des Gedenkens. Pfarrer Kock gedachte der Toten und versprach im Namen des Österreichischen KZ-Verbandes, dass ihre Opfer nicht umsonst sein werden und die KZler, Häftlinge und politisch Verfolgten nicht ruhen und rasten werden, bevor nicht ein Österreich in ihrem Geiste geschaffen ist.“ (Der neue Mahnruf 1951, 6)

Während der Melker Bürgermeister Mistelbacher vom KZ-Verband im Jahr 1951 wegen seines Redebeitrages im Rahmen der Gedenkfeier noch besonders positiv hervorgehoben wurde, liebäugelte die Führung der Stadt Melk gegen Ende der 1950er-Jahre zunächst mit einer Schleifung des Gebäudes. Die KZ-Überlebenden strebten jedoch eine dauerhafte Erhaltung des ehemaligen Krematoriums an, die schließlich im Jahr 1962 unmittelbar vor dem 25. Jubiläum des „Anschlußes“ Österreichs an das Deutsche Reich, erreicht wurde: Auf Antrag des SPÖ-Innenministers Josef Afritsch wurde das ehemalige Krematorium des KZ-Außenlagers Melk vom Ministerrat zum öffentlichen Denkmal erklärt und in die Obhut des Bundesministeriums für Inneres übertragen. (Der neue Mahnruf 1962, 2) Am 13. 03. 1963 fand eine große Gedenkfeier im neu geschaffenen öffentlichen Denkmal statt, an der unter anderem auch der niederösterreichische Landeshauptmann Leopold Figl teilnahm. (Volksstimme für Niederösterreich 1963, 4)

In den Folgejahren begannen die Häftlingsorganisationen mehrerer Länder – dem Beispiel der Amicale de Mauthausen folgend –, im Außen- bzw. teilweise auch im Innenbereich der Gedenkstätte (analog zum „Denkmalpark im ehemaligen KZ Mauthausen“) Denkmäler für die Melker KZ-Opfer anzubringen. So wurden etwa ab Mitte der 1960er-Jahre im Außenbereich der Gedenkstätte Gedenksteine der Tschechoslowakei, Polens, der Sowjetunion, sowie im Gedenken an die in Melk anfangs 1945 ermordeten slowakischen Widerstandskämpfer (Perz 2014, 503f.) gesetzt. Während das „nationale Gedenken“ jedoch hauptsächlich auf den Außenbereich der Gedenkstätte beschränkt blieb, verwandelte sich insbesondere jener Raum, in dem sich der Krematoriumsofen befindet, zusehends zu einem Ort des individuellen Opfergedenkens. Im Laufe der Jahrzehnte wurden – relativ unkoordiniert – immer neue Gedenktafeln für einzelne der insgesamt fast 5.000 Todesopfer angebracht, die bis heute Ausdruck der ganz individuellen Erinnerung der Nachkommen an ihre hier ums Leben gekommenen Vorfahren sind.

Die bislang letzte größere Adaptierung und Renovierung des Gebäudes fand Ende der 1980er-Jahre statt und steht nicht zuletzt mit der Ergänzung einer zeithistorischen Ausstellung zur Lagergeschichte in Zusammenhang. Die bis heute in den Räumen der KZ-Gedenkstätte erhaltene Ausstellung wurde federführend von Univ.-Prof. Dr. Bertrand Perz sowie Gottfried Fliedl erarbeitet und umgesetzt, die Eröffnung in Anwesenheit des damaligen Innenministers Franz Löschnak erfolgte im Jahr 1992. (Perz 2014, 552f.) Zwei Jahre später gründeten Alexander Hauer und Michael Garschall den – zunächst als einmalige Veranstaltungsreihe geplanten – Gedenkverein „MERKwürdig. Eine Veranstaltungsreihe wider Gewalt und Vergessen“, der sich in weiterer Folge dem Thema vorwiegend mit künstlerischen Mitteln annäherte und nun auch bereits seit einigen Jahren für die Ausrichtung der jährlichen Gedenkfeier verantwortlich zeichnet. Im Herbst des Jahres 2017 folgte ein weiterer wichtiger Entwicklungsschritt: Erstmals konnte mit Hilfe des Landes NÖ, der Stadt Melk und der Bundesanstalt Mauthausen die Finanzierung für eine Teilzeitstelle zur aktiven Betreuung der KZ-Gedenkstätte (z.B. Besucherbetreuung, Vermittlungstätigkeit, historische Aufarbeitung) aufgebracht werden, wodurch eine ganze Reihe neuer Projekte – insbesondere auch im Vermittlungsbereich – angestoßen werden konnte.

 

4. Aktuelle Herausforderungen und Überlegungen zur künftigen Ausrichtung der KZ-Gedenkstätte Melk

Die KZ-Gedenkfeier im Mai 2018 stellt einen weiteren wichtigen Zwischenerfolg in der Melker Gedenkarbeit dar: In Kooperation mit der Bundesanstalt Mauthausen (BAM) konnte endlich einer langjährigen Forderung verschiedener Häftlingsorganisationen nachgekommen werden. Die „Wand der Namen“ führt nun erstmals dauerhaft die Namen sämtlicher fast 5.000 Melker KZ-Opfer an und macht deren individuelles Schicksal damit sichtbar. Diese Installation stellt jedoch erst den Anfang dar. In den nächsten Jahren sollen auf der KZ-Gedenkstätte Melk weitere Schritte gesetzt werden, die über die bloße Erhaltung des Gebäudes als öffentliches Denkmal hinausgehen. Im letzten Teil des vorliegenden Beitrages sollen in diesem Kontext zwei zentrale Punkte für die künftige Gedenkarbeit vor Ort aufgezeigt werden, nämlich einerseits die Etablierung und Institutionalisierung eines Vermittlungs- und Betreuungsprogrammes – insbesondere für Schüler/innen und Jugendliche der Region – sowie andererseits der Versuch, einige der noch erhaltenen historischen Gebäude aus dem KZ-Kontext vor dem Verfall zu retten.

 

4.1. Verstärktes Vermittlungs- und Betreuungsprogramm

Jährlich besuchen – obgleich mangels Begleitpersonen bislang keine Bildungsinstitutionen aktiv eingeladen werden konnten – schätzungsweise bis zu 4.000 Menschen aus unterschiedlichsten Ländern die KZ-Gedenkstätte Melk. Große Teile des ehemaligen KZ-Areals sind jedoch derzeit aufgrund der spezifischen Situation vor Ort nur eingeschränkt zugänglich. Denn das eigentliche frühere KZ-Außenlager befindet sich innerhalb des Kasernengeländes und darf nur nach vorheriger Anmeldung bei der Kasernenverwaltung und mit Begleitperson besichtigt werden. Daraus ergab sich die dringende Notwendigkeit, entsprechendes Begleitpersonal (Guides) fachlich für diese Aufgabe auszubilden, womit im Winter 2017/18 in Kooperation mit dem Mauthausen Komitee Österreich (MKÖ) auch bereits begonnen wurde. Die Mauthausen-Guide-Ausbildung(17) soll dazu befähigen, Besucher/innengruppen auf der KZ-Gedenkstätte sowie auf dem ehemaligen KZ-Gelände im Kasernenbereich zu begleiten, die Geschichte des Melker Außenlagers in den historischen Gesamtkontext des nationalsozialistischen Systems einzubetten, aber auch aktuelle Bezüge herzustellen.

Abb. 10 Deckenbalken Objekt X weist zynische Sprüche der NS-Zeit auf

4.2 Fragen des Denkmalschutzes

Im Punkt 3.1 des vorliegenden Textes wurde bereits darauf verwiesen, dass insbesondere das sogenannte Objekt X, das sich auf dem Gelände der Birago-Kaserne befindet, hinsichtlich der Melker KZ-Geschichte einen besonderen Stellenwert einnimmt. Bis heute sind an den Holzkonstruktionen im ersten Stock aus anderen Konzentrationslagern ebenfalls bekannte, zynische Sprüche, wie „Arbeit macht frei“ oder auch „Jede Arbeit adelt“ erhalten geblieben, die besonders eindringlich auf die perfide Ideologie des NS-Regimes verweisen und auch bedeutsame Anknüpfungspunkte für die historische Vermittlung bieten.

Aus diesem Grund wäre eine dauerhafte Unter-Schutz- Stellung dieses Gebäudes dringend geboten. Sofern dies gelingt, ergäben sich daraus umfangreiche neue Möglichkeiten für die Vermittlungsarbeit vor Ort:

• Die bislang auf der KZ-Gedenkstätte untergebrachte Überblicksausstellung könnte teilweise in das Objekt X „übersiedelt“ bzw. später in überarbeiteter und/oder erweiterter Form dauerhaft dort situiert werden.

• Daraus folgend würde die Gedenkstätte in Zukunft primär als Gedenk- und Friedhofsort fungieren können – eine wichtige Funktion für Überlebende und deren Nachkommen, die durch die „Wand der Namen“ zweifelsohne bereits eine erhebliche Aufwertung erfahren hat.

• Das Objekt X würde in einem Gedenkstätten-Gesamtkonzept ein Ort für die Vermittlungsaktivitäten und für die Darstellung historischer Inhalte. Überdies wären noch ausreichend räumliche Kapazitäten vorhanden, um hier Vor- und Nachbereitungsworkshops mit Schülerinnen/ Schülern und Jugendlichen, Fachvorträge sowie kulturelle Veranstaltungen durchzuführen.

Neben dem Objekt X gäbe es aber auch noch einige weitere historisch bedeutsame Bauwerke, die für den Denkmalschutz in Frage kommen würden, wie etwa ein im Jahr 1944 von KZ-Häftlingen unter der Leitung des ehemaligen Stadtbaumeisters Franz Sdraule errichtetes Wasserreservoir (Varnoux 1995, 163ff.), das sich unweit des Kasernengeländes befindet. Allen voran aber die unter dem Wachberg in Roggendorf noch in großen Teilen erhalten gebliebene Stollenanlage, die im Rahmen der Häftlingszwangsarbeit zwischen April 1944 und April 1945 errichtete wurde und ab dem Spätherbst 1944 auch als Produktionsfläche für die Wälzlagererzeugung der Steyr-Daimler-Puch AG genutzt wurde. Seit mehreren Jahren besteht für die Stollenanlage aus Sicherheitsgründen sowie aufgrund verschiedener rechtsextremer Umtriebe in den 1980er- und 1990er-Jahren ein generelles Betretungsverbot (Perz 2014, 553), gleichzeitig gibt es seit längerer Zeit Bestrebungen – unter anderem vertreten durch die ARGE Quarz B9 Roggendorf –, die Stollenanlage für die historische Vermittlung (teilweise) zugänglich zu machen und das Areal dauerhaft unter Schutz zu stellen.(18)

 

LITERATUR

Archiv der KZ-Gedenkstätte Ebensee. Sammlung Hilda Lepetit, Fotoalbum März 1947.

Bundesministerium für Landesverteidigung (BMLV) (Hrsg.) (1986): Festschrift 30 Jahre Heeres-Pionier-Bataillon in Melk 1956–1986, Wien: BMLV.

Der neue Mahnruf (1948). Vergessene Gräber. In: Der neue Mahnruf. 1. Jahrgang (1948), Nr. 1.

Der neue Mahnruf (1950). KZ-Ehrenmal Melk. In: Der neue Mahnruf. 3. Jahrgang (1950), Nr. 8

Der neue Mahnruf (1951). Gedenktafelenthüllung in Melk. In: Der neue Mahnruf. 4. Jahrgang (1951), Nr. 6.

Der neue Mahnruf (1962). Melk – ein Erfolg unserer Arbeit. In: Der neue Mahnruf. 15. Jahrgang (1962), Nr. 2.

Niederösterreichisches Landesarchiv (NÖLA). BH Melk. Gruppe IX, 1950.

Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik, BM f. Inneres. (OeStA, AdR, BM f. Inneres). Bestand Umsiedlerlager Melk.

Perz, Bertrand (2014): „Das Projekt „Quarz“. Der Bau einer unterirdischen Fabrik durch Häftlinge des KZ Melk für die Steyr-Daimler-Puch AG 1944– 1945, 2. Auflage, Innsbruck: StudienVerlag.

Perz, Bertrand (2006). Die KZ-Gedenkstätte Mauthausen 1945 bis zur Gegenwart, Innsbruck: StudienVerlag.

Perzi, Niklas (2016). Aufnahme und Abschub. Die Sudetendeutschen in Niederösterreich 1945/46. In: Jahrbuch für Niederösterreichische Landesgeschichte 82 (2016), 135–234.

Pollack, Martin (2014). Kontaminierte Landschaften. Wien: Residenz Verlag.

Rabl, Christian (2017). Der Mauthausen-Komplex vor Gericht. Dissertation an der Universität Wien.

Varnoux, Abbé Jean (1995). Clartés dans la nuit. La Résistance de l’Esprit. Journal d’un prêtre déporté. Neuvic-Entier: Éditions de LA VEYTIZOU.

Volksstimme für Niederösterreich (1963). Gedenkstein im Lager „Quarz“ enthüllt. In: Volksstimme für Niederösterreich, 14. März 1963, 4.

 

LINKS

www.mauthausen-guides.at (Zugriff am 15. Mai 2018)

http://www.quarz-roggendorf.at/index.php?id=28&L=0 (Zugriff am 15. Mai 2018)

www.melk-memorial.org (Zugriff am 15. Mai 2018)

 

 

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