STALAG 17B-Gneixendorf: Bis heute kein Ort des Gedenkens und des Erinnerns


Abb. 11 Fragezeichen

Abb. 12 Das Gelände von STALAG 17B 2017

Robert Streibel

Mit Fragezeichen ist das Feld in Gneixendorf im Umfeld des Sportflughafens fünf Kilometer von Krems an der Donau entfernt markiert. Fragezeichen in Metall geschnitten, eine Intervention des in Krems lebenden Künstlers Christian Gmeiner. Ein Fragezeichen? Das wirft Fragen auf und soll auch bewusstmachen wie schnelllebig die Zeit ist, wie vollkommen das Vergessen der Menschen als auch der Landschaft funktioniert, denn heute erinnert so gut wie nichts mehr an das größte Kriegsgefangenenlager auf dem Gebiet der „Ostmark“. Das ehemalige Kriegsgefangenenlager STALAG 17B ist ein Betätigungsfeld für Künstler/ innen, jedoch bis heute kein Erinnerungsort. Im Jahr 2017 hat die israelische Künstlerin Hadas Tapouchi das Lager in ihrem Kunstprojekt thematisiert. In der Ausstellung „Sites & Memories“ in der Galerie IG Bildende Kunst in Wien vom 06. 09.–27. 10. 2017 hat sie ihre Ergebnisse vorgestellt. In der Ankündigung dazu heißt es:

„Die in Israel geborene und in Berlin lebende Künstlerin Hadas Tapouchi reflektiert in ihrer Arbeit, wie eine soziale Gegenwart durch kulturelle Prozesse geformt wird und wie neue Ideen in einem Normalisierungsprozess zum Standard werden. In einem mehrjährigen Projekt hat sie Zwangsarbeiter- und Kriegsgefangenenlager sowie andere Tatorte der NS-Zeit in Berlin und Brandenburg (Deutschland), Poznan (Polen) sowie Amari Valley (Kreta, Griechenland) fotografisch dokumentiert und deren „normalisierende“ Überformung als Teil der urbanen und ländlichen Landschaft erfasst. Während ihrer Residency in Krems im Sommer 2017 suchte die Künstlerin Tatorte im Kremser Umland auf. Damit einher geht auch eine kritische Reflexion der Erinnerungs- und Mahnmalkultur: Wie kann und soll kollektive Erinnerung repräsentiert werden? Inwiefern unterstützen herkömmliche Techniken des Erinnerns und Mahnens das Vergessen, da sie den Akt des Erinnerns zwischen historischer Begebenheit und Gegenwart platzieren und dadurch die Historie als von der Gegenwart abgekoppelt ausweisen? In Memory Practices lenkt Hadas Tapouchi den Blick auf die Banalität des Bösen, das in einem Normalisierungsprozess als Teil der Geschichte eines Ortes sedimentiert.“ (IG Bildende Kunst 2017)

Wo heute auf den Fotos von Hadas Tapouchi Wiesen und Waldstreifen den Blick lenken, befand sich das Lager STALAG 17B. Die Beseitigung der Überreste des Lagers setzte 1948 ein. Für die Verwertung der Lazarettbaracken wurde zum Beispiel ein Schätzgutachten des Stadtbaumeisters Johann Grabenwöger erstellt (Mahrer 2017). Aus diesem Gutachten sind zumindest die Dimensionen des Lazaretts rekonstruierbar. So werden sechs Baracken 61 x 11 Meter, eine Operations- und eine Verwaltungsbaracke 45 x 11 Meter, eine Wachbaracke 25 x 11 Meter, eine Aufnahmebaracke 21 x 11 Meter, eine Küchenbaracke 23 x 12 Meter, eine Desinfektionsbaracke 50 x 12 Meter und eine Prosekturbaracke 11 x 10 Meter angeführt.

„Die Objekte befinden sich infolge der Entnahme der fast ganzen Inneninstallationen, der Schadhaftigkeit von Fenstern und Türen im baulich schlechten Zustande. Verwertbar zur Wiederverwendung sind nur die Bruchsteine, die Mauerziegel, die Türen und Fenster, das Holzmaterial der Fußböden, Decken und des Dachstuhles, weiters ein Teil der Kachel, der noch vorhandenen Öfen“. (Mahrer 2017)

Der gesamte Wert wurde auf 162.000 Schilling geschätzt.

Gegen das Vergessen haben einige Autorinnen/Autoren angeschrieben. Der erste Artikel erschien im Jahr 1989 in der Heimatzeitschrift „Das Waldviertel“: „STALAG 17B — mehr als ein Hollywoodschinken. Anmerkungen zur Situation der Kriegsgefangenen im Lager STALAG 17B in Gneixendorf/ Krems“ (Streibel 1989). Barbara Stelzl-Marx hat ihre Dissertation zu diesem Thema verfasst und im Jahr 2000 das Buch „Zwischen Fiktion und Zeitzeugenschaft. Amerikanische und sowjetische Kriegsgefangene im STALAG XVII B Krems-Gneixendorf “ publiziert. (Stelzl-Marx 2000) In Amerika ist eine Reihe von Publikationen erschienen, die sich mit der Geschichte von amerikanischen Kriegsgefangenen und deren Erinnerungen an Gneixendorf auseinandersetzen: Richard H. Hoffmans „Stalag 17B. Prisoner of War“ (Hoffmann 2000), William E. Rasmussens „Hell‘s Belle. From a B-17 to Stalag 17B“ (Rasmussen 2003) und John P. Cordascis’ „Stalag 17b and the Pete Skripka Story“ (Cordascis 2009).

Das Lager STALAG 17B mag für viele in der Region noch immer mit einem Fragezeichen verknüpft sein. Wer im Internet stöbert, merkt, wie lebendig die Erinnerung ist. Da gibt es eine Reihe von Homepages wie jene von William Doubledee, dessen Vater William J. Doubledee ab Oktober 1943 für 18 Monate hier eingesperrt war. (http://www.stalag17b. com/index.html, Zugriff am 16.04.2018) Da gibt es Seiten, auf denen alle amerikanischen Kriegsgefangenen erfasst sind. (http:// www.valerosos.com/Stalag17BRoster.pdf, Zugriff am 16. 04. 2018) Man stößt auf eine kleine Fotoserie von einem Merle Mullendore (http:// www.303rdbg.com/pow-mullendore-stalag17b.html, Zugriff am 16. April 2018) oder auf die Seite der 392nd Bomb Group. (http://www.b24.net/ powStalag17.htm, Zugriff am 16. April 2018) Dass für viele Menschen kein Schlussstrich unter die Geschichte gezogen ist, verdeutlicht eine Reihe von Anfragen an den Künstler Christian Gmeiner. So meldete sich zum Beispiel Mile Prodanovic aus der Schweiz, der auf der Suche ist nach dem Onkel und Halbbruder seines Vaters Slobodan Prodanovic, der am 12. 04. 1941 in Ruma, in Jugoslawien gefangen genommen wurde und in den Gefangenenlagern M-Stalag XVII A und B gehalten wurde. Er musste am Kaisersteinbruch bei Bruck an der Leitha arbeiten und wurde am 30. 06. 1943 wieder in den M- STALAG XVII B zurückversetzt, nach Krems-Gneixendorf (oder Popping). (Prodanovic 2017) Aus Frankreich (Le Havre) meldete sich André Leblond, dessen Vater in Gneixendorf verstarb. (Leblond 2016) Ebenfalls aus Frankreich schreibt Elodie Le Gargasson, die auf der Suche nach ihrem „great grandfather“ Joachim Le Neven ist:

„Joachim Le Neven, was born in Colpo (France) on 18. 04. 1903. As war prisoner he has been kept in STALAG XVII B and was registered under number 4598 or 4502 or 944 (different documents refer to different numbers). It seems that my great grand father left STALAG XVII B to STALAG 398 on 1. 06. 1943 to go back on 19. 07. 1943 to STALAG XVII B. I know from family discussion that Joachim Le Neven has been working there in farms since he was farmer in France.“ (Le Gargasson 2017)

Aus Belgien schrieb Bernard Verstraete, dessen Vater Karel Verstraete (1918–1982) als belgischer Kriegsgefangener (Erkennungsmarke 8439) vom 03. 06. 1940 bis zum 25. 02. 1941 im STALAG XVIIB im Lager inhaftiert war und bei Bauern in der Umgebung arbeitete. (Verstraete 2016)

Diese Reaktionen zeigen, dass es für viele Angehörige heute schwer ist, Spuren zu finden und sie bei einem Besuch des ehemaligen Lagers enttäuscht sind, dass sie nach so vielen Jahren nicht mehr Spuren ihrer Angehörigen und des Lagers finden können. Ein Ort, der in vielen Büchern in verschiedenen Sprachen beschrieben wird, der in den Familiengeschichten vieler Familien eine Rolle spielt, der sogar in einem Hollywoodfilm von niemand Geringerem als Billy Wilder die Kulisse abgibt, versperrt und verweigert sich dem Erinnern. Umso wichtiger ist es daher, Initiativen zu setzen, die einen zusätzlichen Anreiz schaffen, Gneixendorf heute zu besuchen und den Angehörigen einen Ort des Gedenkens zu geben. Mit dem Schulprojekt, das mit der Höheren Lehranstalt für Tourismus Krems (HLF Krems) im Herbst 2018 gestartet wurde und bei der Direktion und den Lehrerinnen/ Lehrern der Schule auf großes Interesse stieß, kann den Beginn eines lebendigen Erinnerungsprojektes markieren. Ein Ziel ist es, einen Gedenkraum für das Lager STALAG 17B zu gestalten und auch die Ruinen der erhaltenen Gebäude begehbar zu machen.

Abb. 13 Schüler/innen mit Dr. Streibel auf Spurensuche

Dass Schulprojekte bereits jetzt neue Erkenntnisse auch für die Forschung liefern können, zeigt auch die Vorwissenschaftliche Arbeit von Sabine Walzer (2016). In ihrer Abhandlung „Behandlung Gefangener unterschiedlicher Nationalität im Gefangenenlager STALAG XVIIB in Gneixendorf “ zitiert sie zum Beispiel aus einem Interview mit dem Zeitzeugen Josef Walzer, der seine Erlebnisse als damals 16-Jähriger im Zusammenhang mit dem Lager darlegt und auch den bisher nicht dokumentierten Fall von der Erschießung von geflohenen sowjetischen Kriegsgefangenen schildert. (Walzer 2016)

 

1. Eine kurze Geschichte des STALAG 17B

Während der Zeit des Nationalsozialismus wurden die Kriegsgefangenen im Lager STALAG 17B festgehalten, das in unmittelbarer Nähe des Ortes Gneixendorf bei Krems lag. Mit dem Bau des Militärlagers wurde bereits im Sommer 1938 begonnen. Die Dimension des Lagers schätzt der Landwirt Johann Erber, dessen Familien ein Grundstück in der Größe von 3,8 ha verloren hat, da es in jenem Gebiet lag, das für die Errichtung des Lagers gedacht war, auf einen Quadratkilometer. (Interview mit Johann Erber 1985)

Das Gut der Familie Feichtinger verlor für den Bau des Militärlagers 40 ha und für das Gefangenenlager 20 ha. Als Ersatz dafür bekam Doz. Dr. Ernst Feichtinger, der auf der Universität für Bodenkultur in Wien tätig war und das Gut 1935 erworben hatte, Güter in Südmähren, bei Olkowitz in der Nähe von Znaim.

Bevor noch von einer Fertigstellung der ersten Baracken gesprochen werden konnte, wurden bereits die ersten Gefangenen eingeliefert:

„Es war 1939, da war schon sehr starker Herbstnebel, das weiß ich, die Gefangenen wurden untergebracht in Zelten, weil das Gefangenenlager erst im Entstehen war. Die Gefangenen mussten Tag und Nacht arbeiten, damit die Baracken fertig werden.“ (Interview mit Marie Feichtinger 1985)

Dass der Aufbau des Lagers und die Einlieferung der ersten Gefangenen parallel verlaufen ist, muss auch aus den Erzählungen von Johann Kapeller geschlossen werden, der in der Firma Nuss und Vogl in Krems beschäftigt war und „eineinhalb Jahre“ mit fünf Arbeitern ins Lager hinausgefahren ist, um dort „die Installationen für die Küchen und die Klos“ zu machen:

„Wir haben zuerst für das Militär gearbeitet, die Küche und so, die Kessel, das haben wir einrichten müssen. (…) Das war ein Trumm Lager, das glaubst net. Das hat angefangen vom Beethoven Teich. (…) Die Gefangenen sind über den Bründlgraben heraufgekommen, 100, 200 Leute zu Fuß. Da hat es allerweil etwas gegeben mit dem Gewehrkolben über den Schädel. Das war schrecklich.“ (Interview mit Johann Kapeller 1985)

Von diesen endlosen Kolonnen, „die waren vielleicht dreihundert Meter lang“, die über den Bründlgraben Richtung Gneixendorf marschiert sind, berichten verschiedene Zeitzeugen. Die Behandlung bei diesem Marsch wird unterschiedlich beschrieben. Erhard Halm, damals ein Schulbub und Lehrling, berichtet: „Man hat gesehen wie sie oft zusammengebrochen sind und dann hat es Soldaten gegeben, die haben die noch getreten.“ (Interview mit Erhard Halm 1985) Johann Erber – im Gasthof seiner Eltern haben die Soldaten des Lagers verkehrt – meint hingegen, dass das Verhältnis zwischen Bewachungsmannschaft und Gefangenen „nicht nur gut, sondern überhaupt gut war.“ (Interview mit Johann Erber 1985)

Von Akten der Solidarität, wie zum Beispiel die Bereitstellung von Wasserkübeln für die Gefangenen im Sommer berichtet Anna Erber:

„Dürfen hat man das nicht. Manche Posten haben gleich abgewunken. […] Die Soldaten der Bewachungsmannschaft von der Front, die waren oft schärfer als unsere Landschützen. Die einen haben sich um einen Apfel bücken dürfen, oder um einen Tschik, bei einem anderen haben sie eine in den Arsch bekommen, das ist schon vorgekommen.“ (Interview mit Anna Erber 1985)

Frau Irene B. erzählt von Personen, die in ihrer unmittelbaren Nähe auf dem Steindl gewohnt hatten (wie zum Beispiel Frau Mörwald), die trotz des Verbotes den Gefangenen Brot zugesteckt haben. (Interview mit Irene B. 1985)

Gemäß einem Bericht des militärischen Geheimdienstes der USA vom November 1945 waren mit 13. 10. 1943 die ersten 1.350 amerikanischen Militärs der Luftstreitkräfte nach STALAG 17B gebracht worden. Im Jahr 1945 betrug die Zahl bereits 4.237. Dazugerechnet wurden laut Angaben von Kenneth Kurtenbach auch rund 50 englische Kriegsgefangene. Die gesamte Zahl der Kriegsgefangenen wird im Bericht vom 1. 11. 1945 mit 29.794 Kriegsgefangenen beziffert. (Stelzl-Marx, 38) Der Lagersprecher der Amerikaner, Kenneth Kurtenbach, beziffert die Verantwortlichkeit des Lagers STALAG 17B mit allen Außenstellen auf 65.000 Mann, wobei rund 10.000 Mann im Lager selbst gewesen sein sollen. (Brief Kurtenbach an Haselbring 1987) Für die Zeit vor 1943 ist lediglich eine Angabe im Zusammenhang mit einem Besuch einer Delegation des Internationalen Roten Kreuzes am 21. 08. 1940 zu zitieren. In einer Broschüre über die Besuche der „Missions du Comité International“ wird von 45.000 Kriegsgefangenen gesprochen, wobei es sich um 25.000 Belgier und 19.600 Franzosen handelte. Tatsächlich im Lager sollen nur 8.500 Personen gewesen sein, der Rest war auf Arbeitskommandos und bei Bauern verteilt. (Comité International de la Croix-Rouge 1948, 986) Der Bericht der Delegation des Roten Kreuzes über das Lager ist kurz, oberflächlich und enthält haarsträubende Formulierungen, wenn zum Beispiel im Zusammenhang mit den 41 Baracken gesprochen wird, dass diese „gut gebaut“ waren und „so komfortabel wie möglich“ waren. (Comité International de la Croix-Rouge 1948, 986)

Abb. 14 Prisoners of War in STALAG 17B

Abb. 15 Blick über den Zaun

2. Die Situation für die Gefangenen

Der subjektive Eindruck des Fehlens von Stacheldraht und Einzäunungen, wodurch das Gefühl des Eingesperrtseins reduziert würde, dürfte nur für die Besucher/innen des Roten Kreuzes gegolten haben. Die Kriegsgefangenen, die zu dieser Zeit im Lager waren, wie die beiden Belgier Josef D. Hoogle und Alex Van Herzeele, haben dies anders in Erinnerung. Einen ungefähren Überblick über die Zahl der Gefangenen sowie über die nationale Zusammensetzung für den Zeitraum 1943 bis 1945 geben die Unterlagen im National Archives in Washington, wo vor allem ein Teil der Korrespondenz der Lagerverwaltung betreffend die Amerikaner dokumentiert ist. So schrieben im Juni 1944 die Gefangenen 1.047 Karten und 542 Briefe in die USA, vier Karten und zwei Briefe nach Kanada, 85 Karten und 29 Briefe nach Großbritannien. Die Dimension des Briefverkehrs ist auch im Juli ungefähr gleich. 526 Karten (906 Briefe) in die USA, 28 Karten (35 Briefe) nach Großbritannien, zwei Briefe nach Mexiko. Ende des Monates Juli sind 2.022 Karten und 1667 Briefe in die USA und 62 Briefe nach Großbritannien verzeichnet. Außerdem werden Briefe in kleinerer Anzahl noch in die Schweiz, nach Schweden, Südafrika, Puerto Rico, Malta und Italien gerichtet. (Victory 1991, 35)

Gemäß den Ermittlungen des Geheimdienstes, die bereits während des Krieges (15. 07. 1944) zu einer ersten Einschätzung des Lagers geführt hatten, war das Lager in zwölf „compounds“, umzäunte Sektoren, eingeteilt, wobei fünf davon von den Amerikanern belegt waren. Im restlichen Teil des Lagers wurden Italiener, Franzosen, Serben, Russen und Gefangene verschiedener kleinerer Nationen festgehalten. (Victory 1992, 15.7.1944, 1) Die Gefangenen waren in Baracken im Ausmaß von 30 x 73 Metern untergebracht. Pro Baracke waren 240 Personen vorgesehen, doch bereits Ende 1943 wurden bis 400 Männer in die Baracken gepfercht. Holzgestelle in drei Etagen mit vier Einheiten bildeten die Untergliederung. Da der Platz zwischen den Bettgestellen kaum für zwölf Menschen Platz bot, musste bei Schlechtwetter ein Teil der Kriegsgefangenen den Tag in den „Betten“ zubringen. Im Bericht des Roten Kreuzes heißt es, dass die Baracken ausreichend belüftet und beleuchtet seien. Für eine Baracke gab es Waschgelegenheiten in Form von sechs (!) Waschbecken und für einen Sektor (rund 1.000–1.200 Mann) Latrinen für 24 Mann. (Comité International de la Croix-Rouge 1948, 986)

Abb. 16 Karikatur im Lager STALAG 17B entstanden

Abb. 17 Bombardement auf Krems 2. April 1945

Pro Woche wurde im Winter jeder Baracke rund 25 Kilo Kohlen zugestanden, was bei weitem nicht ausreichte, wodurch alles nur denkbar brennbare Material verheizt wurde, von den Rot-Kreuz-Paketen angefangen bis hin zur Außenverkleidung der Baracken, die 1945 wie abgeschält dastanden. „Einen Winter hätten wir darin nicht mehr überlebt.“ (Phelper 14) Die Knappheit an Heizmaterial führte dazu, dass in einem Bett zwei Mann schliefen, um sich zumindest gegenseitig warm zu halten.

Zur Ausbesserung der Glasscheiben in den Baracken verwendete der Lagerkommandant Oberst Kühn Geld der Kriegsgefangenen, das sie nach einem Abkommen pro Monat als Kantinengeld bekommen sollten. Der Lagersprecher der Amerikaner Kurtenbach erinnert sich lediglich an fünf heiße Duschen in den 18 Monaten seines Aufenthaltes in STALAG 17B. Der Rot-Kreuz-Bericht nimmt offenbar die Angaben der Bewacher für bare Münze, demnach hätten die Gefangenen einmal pro Woche duschen dürfen. (Comité International de la Croix-Rouge 1948) Die Wasserversorgung war bloß drei Mal täglich (morgens, mittags und abends) im Ausmaß von etwas mehr als einer Stunde gewährleistet. (Kurtenbach 1945)

Das Essen beschreibt Kurtenbach mit einer Tasse Kaffee (aus den Beständen von Rot-Kreuz-Paketen, wenn nicht dann Ersatzkaffee), einer Tasse Suppe mittags und einer Scheibe Brot (260 Gramm) und drei Kartoffeln, von denen einer in der Regel verschimmelt war. Zwei bis drei Mal in der Woche gab es eine kleine Zuteilung Margarine, Blutwurst und Käse, einen Löffel voll Honig oder Molasse und drei Esslöffel Zucker, aber jede Menge Salz.

Adrian Crow berichtet vom Lagerbrot, das sich angefühlt habe, „like a log of wood“ und vom gedörrten Gemüse, das zu Suppen verkocht auch den „Zusatz“ von jeder Menge Würmer enthielt. (A Texans Remember 1945)

Der Rot-Kreuz-Bericht konstatierte für 1940, dass die Verpflegung ausreichend und zu keinen wie immer gearteten Beschwerden Anlass gebe.

Beim Eintreffen der Amerikaner in STALAG 17B bekamen nur 30 Prozent der Kriegsgefangenen eine Schale und einen Löffel, der von derart schlechter Qualität gewesen sein soll, dass er sich beim Essen von Suppe bereits verbogen habe. „I know of men who were at 17B for 18 months and never received a bowl or spoon“. (Kurtenbach 1945)

Hier wie in der Deckung aller anderen Bedürfnisse erwiesen sich die Amerikaner als äußert erfinderisch. Richard H. Lewis belegt diese Erfindungsgabe, in dem er sich auf einen deutschen General beruft, der gemeint haben soll: „Given a large pile of scrap metal and time to do the job, it wouldn‘t have surprised me to have seen them fly a B-17 out of the pile“. (Lewis 1985, 95)

Abb. 18 Darstellung des Inhalts eines Rotkreuzpaketes

Für die Aufbesserung der kargen Mahlzeiten seien an dieser Stelle an das Backen von Kuchen, die Herstellung von Butter sowie das Kochen von Kaffee mit Hilfe eines primitiven Heizstabes („fast water heater“) mit Hilfe des Anzapfens der offiziellen elektrischen Leitungen genannt. Ohne die Rot- Kreuz-Pakete hätten die amerikanischen Kriegsgefangenen keineswegs überlebt. Im Lager der Amerikaner in STALAG 17 gab es keinerlei Seuchen, neben den vier bis fünf durch die Bewachungsmannschaft Erschossenen gab es lediglich einen Amerikaner, der im Lager verstarb. Während jede einzelne Misshandlung der Amerikaner durch deutsche Bewacher dokumentiert wurde, waren die sowjetischen Gefangenen der Willkür hilflos ausgesetzt. Offiziell verstarben 1.600 sowjetische Kriegsgefangene, die auch im sogenannten „Russen-Wäldchen“ begraben und 1947 exhumiert wurden. Die Zahl der Toten ist wahrscheinlich höher, da sich Zeitzeugen erinnern, dass beim Öffnen der Waggons tote Russen geborgen werden mussten.

Die Geschichte des Stalag 17B spielte sich nicht nur in Gneixendorf ab. Auf dem Südtiroler Platz in Krems wurden drei Angehörige der Bewachungsmannschaft am 21. 04. 1945 gehängt, da ihnen Desertion vorgeworfen wurde. Auf diesem zentralen Platz in Krems vor dem Steinertor wurden zwei Jahre später auch die in Gneixendorf exhumierten russischen Kriegsgefangenen unter einem steinernen Obelisken mit einem roten Stern am 01. 06. 1947 feierlich begraben. Im Jahr 1960 wurden die Toten abermals exhumiert und auf dem Kremser Friedhof beerdigt, da der Platz für einen Parkplatz benötigt wurde. Der Obelisk wurde zerschnitten und der Stein für die Grabanlage weiterverwendet. (Die Presse. 15.9.1960)

 

3. Resümee

Abb. 48 Erinnern, mehrsprachige Stele an der Flugplatzzufahrt.

Wie so oft in Österreich fühlt sich abseits der großen Städte niemand für die Geschichte vor allem in Bezug auf den Nationalsozialismus verantwortlich. Die Gemeinden fühlen sich nicht zuständig und wenn Aktionen gesetzt werden, so sind sie Privatpersonen oder Vereinen geschuldet. Ein Beispiel dafür bietet das ehemalige Lager Stalag 17B in der Nähe von Krems. Mehr als 60.000 Kriegsgefangene waren in diesem Lager eingesperrt oder wurden von diesem Lager verwaltet, das sind mehr als doppelt so viele Menschen wie Krems heute Einwohner/innen zählt. Dass die Angehörigen dieser ehemaligen Kriegsgefangenen sich vielleicht einen Platz wünschen würden, wo der Geschichte der Männer gedacht würde, wo die Geschichte dokumentiert wird, hat im Alltag von Politikerinnen/Politikern der Umgebung bisher keine Rolle gespielt. Dass diese Ignoranz nicht nur von einem moralischen Gesichtspunkt aus bedenklich ist, sondern auch der Stadt und den Gemeinden dadurch auch zusätzliche Einnahmen entgehen, bleibt unberücksichtigt. Mit den Toten und dem Leiden darf niemand ein Geschäft machen, wird jetzt sofort eingewendet. Aber wer ein ansprechendes Gedenken ermöglicht, der bietet auch für Familienangehörige der zweiten oder dritten Generation einen Anlass, einen Ort zu besuchen, um den Platz oder das Land zu sehen, von dem die Väter oder Großväter berichtet oder beharrlich geschwiegen haben.

 

LITERATUR

Cordascis, John P. (2009). Stalag 17b and the Pete Skripka Story. Conshohocken: Infinity Publishing.

Comité international de la Croix-Rouge (Hrsg.) (1948). Missions du Comité International. Rapport du Comité International de la Croix-Rouge sur son activité : pendant la Seconde Guerre Mondiale. Genf.

Die Presse (15.9.1960). 1600 Russen werden in Krems exhumiert. Opfer des Gefangenenlagers Gneixendorf werden auf den Friedhof überführt. 4.

Hoffman, Richard H. (2000). Stalag 17B. Prisoner of War. Bloomington: Xlibris US.

IG Bildende Kunst (2017). Information zur Ausstellung Sites & Memories. Zugriff am 10. Mai 2018 unter www.igbildendekunst.at/kunst/programm- 2017/sites-and-memories.htm.

Kurtenbach, Kenneth J. (1945). Protokoll eines Gesprächs mit Kenneth J. Kurtenbach. War Crimes Office. Judge Advocate Generals’s Department 17.9.1945.

Lewis, Richard H. (1985). Hell Above and Hell Below. The Real Life Story of an American Airman. Wilmington: Delapeake Publishing Co.

Mahrer, Therese (2017). Unterlagen der Stadträtin, zusammengestellt von GR Wolfgang Mahrer. Krems.

Rasmussen, William E. (2003). Hell’s Belle. From a B-17 to Stalag 17B. Santa Fe: Sunstone Press.

Stelzl-Marx, Barbara (2000). Zwischen Fiktion und Zeitzeugenschaft: amerikanische und sowjetische Kriegsgefangene im Stalag XVII B Krems-Gneixendorf. Tübingen: Gunter Narr.

Streibel, Robert (1989). Stalag 17B – mehr als nur ein Hollywoodschinken. Anmerkungen zur Situation der Kriegsgefangenen im Lager Stalag 17B in Gneixendorf/Krems. In: Das Waldviertel. Zeitschrift für Heimat- und Regionalkunde des Waldviertels und der Wachau. Heft 1989/3, 197– 217.

Victory, Lutter (Hrsg.) (1992). A chronicle of STALAG XVIIB Krems/Gneixendorf, compiled and published from records obtained from the National Archives by Les Jackson. Prepared by Military Intelligence Service, War Department. Baytown: L. Victory.

Walzer, Sabine (2016). Behandlung Gefangener unterschiedlicher Nationalität im Gefangenenlager STALAG XVIIB in Gneixendorf. Vorwissenschaftliche Arbeit am Piaristengymnasium Krems.

 

INTERVIEWS

B., Irene: Interview mit Robert Streibel am 13. Juni 1985.

Erber, Anna: Interview mit Robert Streibel am 07. September 1985.

Erber, Johann: Interview mit Robert Streibel am 14. August 1985.

Feichtinger, Marie: Interview mit Robert Streibel am 23. August 1985.

Halm, Erhard: Interview mit Robert Streibel am 09. August 1985.

Kapeller, Johann: Interview mit Robert Streibel am 27. Mai 1985.

 

E-MAILS

Prodanovic, Mile. Email an Christian Gmeiner vom 06. März 2017.

Leblond, André. Email an Christian Gmeiner vom 02. April 2016.

Le Gargasson, Elodie. Email an Christian Gmeiner vom 29. Juli 2017.

Verstraete, Bernard. Email an Christian Gmeiner vom 04. Juni 2016.

 

LINKS

www.stalag17b.com/index.html (Zugriff am 16. April 2018)

www.valerosos.com/Stalag17BRoster.pdf (Zugriff am 16. April 2018)

www.303rdbg.com/pow-mullendore-stalag17b.html (Zugriff am 16. April 2018)

www.b24.net/powStalag17.htm (Zugriff am 16. April 2018)

www.air-krems.at/archiv/2017/hadas-tapouchi/sites-memories (Zugriff am 16. Mai 2018)

 

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