2. Adressatinnen/Adressatenanalyse


Abb. 11 meine Adressaten, welche Informationen brauche ich?

Franz Lux

2.1 Anmerkungen

Die Adressatinnen-/Adressatenanalyse besorgt die für den jeweils konkreten Lernprozess relevanten Informationen, insbesondere über die Teilnehmer/innen und die durch sie geschaffenen Lehr- und Lernvoraussetzungen.

Die Lernvoraussetzungen lassen sich stets nur vorläufig bestimmen. Sie bedürfen im konkreten Lernprozess der regelmäßigen Aktualisierung durch Rückkoppelung. Mit jeder neuen Einsicht in das Lernsystem können sich die Voraussetzungen für die Weiterarbeit ändern. Die Adressatinnen-/Adressatenenanalyse versucht dafür insbesondere folgende Planungsvariablen des Lernsystems zu bestimmen:

  • Struktur und Dynamik des Lernsystems
  • Thematische Expertise des Lernsystems
  • Kommunikative Kompetenz des Lernsystems
  • Formen des Arbeitsvertrags zwischen Lehrenden und Lernenden.

Die Adressatinnen-/Adressatenenanalyse ist immer in ihrer Auswirkung auf den Lehr- und Lernprozess zu sehen. Bei der Unterrichtsplanung werden die Ergebnisse der Analyse die Formulierung der Lehr-/Lernziele, die Wahl der Lernorganisation sowie das weitere Handeln der Lehrenden/ Lehrer/innen im Unterricht beeinflussen.

 

2.2 Vorwissen

Abb. 12 zufällige und unstrukturierte Informationen zu 1968

Historisches Wissen ist sehr breit gestreut, jede/r von uns hat es, mehr oder weniger, mehr oder weniger bewusst. Auch Schüler/innen haben dieses Wissen. Sie hören etwas im Familienkreis, bei einer Fernsehdokumentation, sie lesen die Überschrift einer Zeitung, sie sehen einen Spielfilm mit historischem Hintergrund. Diese Vorinformationen sind zufällig, unstrukturiert und nicht an einen bestimmten Zweck gebunden. Sie wissen also einiges über Geschichte, wobei sie allerdings meist von einer sehr eingeschränkten Bedeutung dessen ausgehen, was historisch bedeutet.

Selbst Schüler/innen, die in der zweiten Klasse der AHS zum ersten Mal Geschichte-Unterricht genießen, haben geschichtliches Vorwissen. Nie ist die/der Geschichtslehrer/in die erste Person, von der Kinder historische Fakten präsentiert bekommen.

Freilich muss man auch damit rechnen, dass die Schüler/innen sehr viele oberflächliche historische Sichtweisen transportieren und die Zusammenhänge zu einfach sehen. Oft werden auch gegenwärtige Zustände in die Vergangenheit transponiert.

 

2.2.1 Fragestellungen

Abb. 13 Fragen

  • Welche Themen interessieren die Schüler/innen besonders? Wenn die Lehrperson am Anfang eines Schuljahres nach solchen Themen fragt, hilft es beim Setzen von Schwerpunkten. Alle genannten Themen wird man allerdings niemals umsetzen können.
  • Worüber wissen einzelne Schüler/innen besonders viel? In beinahe jeder Klasse sitzen SchülerInnen, die über diverse Bereiche der Geschichte unglaublich viel wissen. Meist weiß man das als Lehrende/r sehr schnell, denn die besagten SchülerInnen möchten ihr Wissen unter Beweis stellen.
  • Entspricht das Vorwissen den Vorstellungen der Lehrperson? Kann sie auf den Kenntnissen der Schüler/innen aufbauen oder muss sie Differenzierungen bzw. Modifizierungen vornehmen?
  • Wovon haben die Schüler/innen noch sehr wenig gehört? Was haben sie in der Zwischenzeit vergessen?
  • Gibt es Inhalte, von denen die Schüler/innen einer Klasse meinen, schon genug gehört zu haben?
  • Welche Bedeutung haben Jahreszahlen? Diese Frage liegt allen Schüler/innen auf der Zunge, wenn sie eine/n neue/n Geschichtslehrer/in bekommen, daran ist vorerst nichts zu ändern. Die Lehrperson wird daher nachfragen müssen, welche Bedeutung die Jahreszahlen im Unterricht bisher hatten.
  • Sozialgeschichte? Alltagsgeschichte? Zeitgeschichte? Haben die Schüler/innen grundlegende Kenntnisse in diesen Fachgebieten?

 

2.2.2 Auswirkungen des erhobenen Vorwissens auf den Lernprozess

Abb. 14 Vertiefen des Vorwissens durch Arbeit in der Bibliothek

Das Vorwissen der Schüler/innen wird man nicht auf einmal erfassen können. Insofern handelt es sich dabei um einen länger dauernden Prozess, der sich zwischen den Lehrenden und Lernenden abspielt.

Immer wieder haben Schüler/innen das Erlebnis, etwas schön einmal gehört zu haben. Wenn die Lehrperson Vorwissen der Klasse bestätigt und vertieft, trägt das zum guten Verhältnis zwischen den Schülerinnen/ und der/dem Lehrer/in bei. Die fachliche Autorität der Lehrperson wird dadurch gestützt.

Es kann allerdings sein, dass die Lehrperson erkennen muss, dass das Vorwissen der Klasse nicht besonders tiefgehend ist, dass sich das Verständnis für historische Prozesse als eher eindimensional erweist. In diesem Fall sollte der/die Lehrer/in die Kenntnisse der Schüler/innen aufgreifen und sinnvoll vertiefen.

Abb. 15 Habe ich für den Unterricht genug historisches Wissen?

2.2.3 Vorwissen bei Schüler/innen und Lehrer/innen

Eine der hartnäckigsten Ängste - vor allem junger -Geschichtslehrer/innen ist die, dass sie nicht genug historisches Wissen haben, um eine Klasse in diesem Gegenstand unterrichten zu können. Erweitert wird diese Unsicherheit durch die Vermutung, einige Schüler/innen könnten viel mehr über Geschichte wissen als sie selbst. Es kommen dann die bohrenden Fragen: Was soll man tun, wenn diese Schüler/innen Fragen stellen, die man nicht beantworten kann? Wie soll man sich in einer Klasse durchsetzen, wenn die Schüler/innen an der fachlichen Kompetenz der Lehrperson zweifeln?

Die Erfahrung zeigt, dass die Schüler/innen einer Klasse nicht in erster Linie darauf achten, ob ein/e Lehrer/in den Geschichte-Stoff beherrscht. Im Vordergrund stehen bei den Schüler/innen eher Fragen nach dem Auftreten, der Art der Vermittlung oder der Form der Leistungsfeststellung.

Hat man in den ersten Stunden festgestellt, dass einige Schüler/innen in der Klasse über großes geschichtliches Wissen verfügen bzw. diese Situation gegeben ist, stellen sich im Folgenden wichtige Fragen:

Kann die Lehrperson das Vorwissen dieser Schüler/innen in ihrem Sinne nutzen? Wenn die SchülerInnen erkennen, dass ihr Wissen dem gesamten Lernprozess gut tut, werden sie es der Klasse zur Verfügung stellen. Besonders dann, wenn sie damit eine wichtige Rolle in der Klasse einnehmen.

Fatal ist es, wenn die SchülerInnen die Lehrperson auf dem Gebiet der historischen Fakten testen wollen. So wird der Geschichtsunterricht zu einem Duell, wer denn Recht habe, wer genauere Daten kenne. Ein Duell, von dem letztlich niemand profitiert.

 

2.3 Kompetenzen

Abb. 16 Welche Kompetenzen beherrschen die Schüler/innen?

Wenn man als Lehrer/in mit einer Klasse erfolgreich arbeiten will, muss man sich auch vergewissern, welche Kompetenzen - abseits des rein kognitiven Bereichs - die Schüler/innen beherrschen.

In der Sekundarstufe I wird es sich dabei um Grundfertigkeiten wie das fehlerfreie Lesen, das Beherrschen der Rechtschreibung oder das richtige Abschreiben von der Tafel handeln.

In der Sekundarstufe II geht es um Abstraktionsfähigkeit, das Interpretieren historischer Texte, das Ergreifen von Funktionen in projektorientierten Arbeits- und Sozialformen oder erste Formen wissenschaftlichen Arbeitens (bis hin zur Vorwissenschaftlichen Arbeit als Teil der Reifeprüfung).

Ganz besonders zukunftsträchtig ist natürlich der Umgang mit den Digitalen Medien.

 

2.3.1 Allgemeine Fragestellungen

Abb. 17 Können die Schüler/innen in einem Text Wesentliches erfassen?

  • Wie groß ist der Wortschatz der Schüler/innen? Wie ist es um die Sprachkompetenz bestellt?
  • Können die Schüler/innen Wesentliches in einem Text oder einem Vortrag erfassen?
  • Ist die Klasse verschiedene Methoden, Arbeits- und Sozialformen gewöhnt?
  • Wissen die Schüler/innen, wo die diversen Lernmaterialien zu finden sind? Gibt es früher getroffene Verantwortlichkeiten ("Kartenträger", Spezialisten auf anderen praktischen Gebieten)?
  • Sind die Schüler/innen in der Lage, eigenständig mitzuschreiben? Welche Methoden der Mitschrift haben sie bisher praktiziert?
  • Gibt es eingearbeitete Kleingruppen? Kann sich die Lehrperson darauf verlassen, dass in den Gruppen effektiv gearbeitet wird?

 

2.3.2 Fachspezifische Fragestellungen

Abb. 18 Können die Schüler/innen mit der Quelle arbeiten?

  • Erfassen von Quellenstellen? Sind die Schüler/innen darin geübt? Können sie auch Texte in altertümlicher Schrift oder Sprache lesen? Haben sie Übung im Interpretieren von Quellentexten?
  • Ist eine gewisse Sicherheit im Verwenden historischer Termini erkennbar?
  • Können die Schüler/innen historisches Kartenmaterial lesen?
  • Können die Schüler/innen die Möglichkeiten des Computers/Notebooks nützen? Haben sie schon im Internet oder mit CD-Roms oder DVDs an historischen Themen gearbeitet?

 

2.3.3 Kompetenzen: Auswirkungen auf den Lernprozess

Abb. 19 Fachtermini an die Tafel schreiben

Als Lehrer/in in einer AHS hat man es mit Kindern und Jugendlichen im Alter von ca. 10 bis 18 Jahren zu tun, was unter anderem zur Folge hat, dass man von einer Unterrichtsstunde zur anderen auf unterschiedlichen Sprachniveaus agieren muss. Es ist unumgänglich notwendig, sich darüber im Klaren zu sein, ob die Sprache nicht zu schwierig ist. Besonders in der Unterstufe kann es leicht dazu kommen, dass man die Aufnahmefähigkeit der Schüler/innen überschätzt. Manchmal ist es von großem Nutzen, die Mitschrift in den Heften zu kontrollieren, weil man auf diese Weise gravierende Missverständnisse seitens der Schüler/innen erkennen kann. In jedem Fall ist anzuraten, schwierige Begriffe, Eigennamen oder Fachtermini an die Tafel zu schreiben oder in einer anderen geeigneten Form zu präsentieren.

In welcher Form organisiere ich die Mitschrift der SchülerInnen? Wie war das bisher? Was verlange ich als Lehrer/in von den Schülerinnen/Schülern? Die Entscheidung der Lehrperson muss deutlich sein und mit den entsprechenden Konsequenzen verbunden werden. In der zweiten Klasse wollen die Schüler/innen meist auch strukturierende Hinweise: Was ist eine Überschrift? Will die Lehrperson eine bestimmte Form, Farbe, Schriftart?

Verlangt man, dass die Schüler/innen mitschreiben, dann muss diese Mitschrift auch eine Bedeutung im Unterricht bekommen. Soll die Heftführung als Teil der Mitarbeit verstanden werden, muss sich die Lehrperson die Hefte ab und zu anschauen, sie nötigenfalls auch kontrollieren und verbessern.

Hat eine Klasse bisher nur das Tafelbild, die Overheadfolie, Powerpoint Präsentation der Lehrperson abgeschrieben, wird man sie nur sehr langsam und gezielt zu selbstständigem Mitschreiben motivieren können.

Die Arbeit mit historischen Quellen erfordert ein äußerst behutsames Hinführen. Von der Fähigkeit, alte Texte zu lesen, sie zu verstehen bis zur Interpretation geschichtlicher Dokumente ist es ein weiter Weg. Stellt man zu schwierige Fragen, wird man entweder zu wenige Antworten bekommen oder aber die eigenständige Arbeit zu schwierig gestalten, weil die Schüler/innen mit dem Text nicht zu Rande kommen.

 

2.4 Arbeitshaltung

Die Frage nach der Arbeitshaltung führt in den Graubereich zwischen schulischer Leistung und Verhalten. Sinn einer konsequenten Adressatinnen-/ Adressatenanalyse muss es auch sein, zu unterscheiden, ob es sich bei einzelnen Schülerinnen/Schülern oder auch ganzen Klassen, um leistungsbezogene Schwächen oder um disziplinäre Mängel handelt. Viele Lehrpersonen vermischen diese beiden Komplexe, was allerdings auch verständlich ist. Die jeweilige Arbeitshaltung wird aber sehr von dem Wechselspiel zwischen Lehrer/in und Klasse abhängen, ob nämlich die Botschaften der Lehrperson so verstanden werden, wie sie gemeint sind und umgekehrt.

Abb. 20 Sind die Schüler/innen leistungsfähig

2.4.1 Fragestellungen

  • Ist eine Klasse leistungswillig? Kann sich die Lehrperson darauf verlassen, dass die Schüler/innen grundsätzlich mitarbeiten wollen?
  • Ist die Klasse belastungsfähig? Kann sich die Lehrperson darauf verlassen, dass auch schwierigere Arbeitsaufträge gelöst werden, dass auch aufwändigere Methoden zu Erfolgen führen?
  • Kommt die Klasse zu Ergebnissen? Sind die Schüler/innen konsequent und geduldig genug, um eine begonnene Arbeit auch fertig zu stellen?
  • Sind die Schüler/innen zuverlässig? Haben sie ihre Arbeitsmaterialien/Notebooks mit mit?
  • Sind die Schüler/innen pünktlich? Kann man sich auf ihre Pünktlichkeit verlassen?
  • Sind sie vergesslich? Funktionieren die Arbeitsstrukturen auch außerhalb der Schule?
  • Ist der inhaltliche Widerspruch eines/r Schülerin/Schülers eine Form der Leistungsbereitschaft oder ein disziplinäres Vergehen?

 

2.4.2 Arbeitshaltung: Auswirkungen auf den Lernprozess

Abb. 21 Die "Qual der Wahl" beim Aufrufen

Häufigste Reaktion bei Lehrerinnen/Lehrern, die mit einer Methode einerseits und mit der Arbeitshaltung einer Klasse Schwierigkeiten haben, ist der Rückzug auf gewohnte und einfache Unterrichtsformen: Frontalvortrag, Hefte auf, diktieren.

Es gibt Lehrer/innen, die nicht jede Unterrichtsstunde mit dem gleichen Material arbeiten. So ist es beispielsweise nicht nötig, dass alle Schüler/innen immer das Geschichte-Lehrbuch mithaben müssen. Wenn es allerdings gebraucht wird, sollten es auch alle bei sich haben. Will man so vorgehen, muss man sich auf die Arbeitshaltung der Klasse verlassen können.

Es gibt Klassen, in denen eine positive Arbeitshaltung eine Selbstverständlichkeit ist, in anderen ist das nicht der Fall. Manchmal erleben Lehrer/innen, dass sie nicht wissen, wen sie aufrufen sollen, weil die halbe Klasse aufzeigt; manchmal wieder kann man die Frage gar nicht mehr einfacher stellen, und noch immer will niemand die Antwort geben.

 

2.5 Gruppenstruktur

Abb. 22 die Gruppenstruktur erfassen

Wenn ein/e Lehrer/in eine Schulklasse betritt, kann sie/sie auf den ersten Blick Aspekte der Struktur der Lerngruppe erkennen. Andere strukturierende Momente werden sich erst später offenbaren, wieder andere werden ohne spezifische Methoden des Unterrichtens wohl unerkannt bleiben.

Klassengröße, Geschlechterproportion oder Kleingruppenbildung innerhalb der Klasse sind Aspekte, die man sehr schnell erkennen kann. Verborgene oder verborgen gehaltene Abneigungen zwischen einzelnen Schülerinnen/Schülern oder Gruppen wird man vielleicht erst dann erkennen, wenn man Arbeitsformen durchführt, die die Gruppen auseinanderreißt, zum Beispiel bei einer Gruppenarbeit "mischt".

In der Sekundarstufe I kann es beispielsweise vorkommen, dass Mädchen nicht mit Knaben in einer Gruppearbeiten wollen. In so einem Fall muss man den Schülerinnen/Schülern erklären, warum es sinnvoll ist, dass in Arbeitsgruppen Mädchen und Knaben vertreten sind.

2.5.1 Fragestellungen

  • Wie groß ist die Klasse?
  • Wie setzt sich die Klasse zusammen? Im Vorjahr verschiedene Klassen, dieses Jahr neu zusammengesetzt?
  • Kann man in der Klasse unterschiedliche soziale Schichten erkennen?
  • Gibt es Zuneigungen, Abneigungen, von denen die Lehrperson wissen sollte?
  • Gibt es Außenseiter/innen? Wenn ja, welche Rolle spielen sie? Streber/innen, Klassenkasperl? Aggressionsobjekt(e)?
  • Gibt es viele Repetentinnen/Repetenten? Welche Rolle spielen sie in der Klassengemeinschaft? Repetentinnen/Repetenten werden gerne zur/zum Klassensprecher/in gewählt!
  • Kennen einander die Schüler/innen schon lange? Handelt es sich bei dieser Klasse um eine gut eingespielte Gemeinschaft? Haben gewisse gruppendynamische Prozesse schon stattgefunden?
  • Wie sieht die Geschlechterproportion aus? Gibt es deutlich mehr Mädchen als Burschen?

 

2.5.2 Gruppenstruktur: Auswirkungen auf den Lernprozess

Abb.23 Auswirkungen der Gruppenstruktur auf den Lernprozess

Die Klassengröße wirkt sich auf fast alle Aspekte des Lernprozesses aus: Vor allem auf die Vielfalt der eingesetzten Methoden hat sie einen bedeutenden Einfluss. Viele Arbeitsformen erweisen sich mit einer großen Klasse als schwierig.

Repetenten glauben alles (besser) zu wissen. Schüler/innen, die die Klasse wiederholen müssen, zeigen gerade in Geschichte (denn in diesem Gegenstand sind sie meist nicht durchgefallen) gerne, was sie können. Das kann einerseits zu guten Mitarbeitsleistungen, andererseits aber auch zu einer gewissen Form des Widerstands gegen die Lehrperson führen. Ein Problem, das sowohl die inhaltliche als auch die formale Autorität der Lehrperson angreifen kann. ("Das habe ich aber anders gelernt" oder "Sie müssen den Test nächste Stunde zurückgeben!")

Das Verhältnis der Geschlechter kann sich bei gewissen Themen im Geschichtsunterricht auswirken. Traditionellerweise haben Burschen größeres Interesse an politischer oder militärischer Geschichte, manche können sich als wahre Kenner der Kriegsgeschichte erweisen. Bei einem großen Burschen-Übergewicht kann der Verzicht einer Lehrperson auf die Beschäftigung mit dem Verlauf des Zweiten Weltkrieges zu Unmutsäußerungen führen. Die Lehrperson wird in diesem Fall argumentieren müssen, warum ihr andere Aspekte der Zeit von 1939 bis 1945 wichtiger erscheinen. Bei Themen zur Frauengeschichte, Familiengeschichte oder ähnlichen sozialgeschichtlichen oder alltagsgeschichtlichen Zugängen wäre eine ausgewogene Proportion der Geschlechter sehr wünschenswert. Finden sich in einer Klasse viele Schüler/innen aus dem ehemaligen Jugoslawien, bietet sich für die Lehrperson ein inhaltlicher Schwerpunkt zum Thema "Geschichte auf dem Balkan" an. Zahlreiche Aspekte der österreichischen Geschichte ließen sich aus anderer Perspektive vermitteln, die Schüler/innen könnten wertvolle Beiträge leisten.

 

2.6 Schüler/innen

Abb. 24 Welche Rolle spielt diese Schülerin in der Klasse?

Einzelne Persönlichkeiten können einer Klasse oder Lerngruppe eine ganz besondere Note verleihen, ihren Stempel aufdrücken. Sie können eine Klasse dominieren, "zerstören", sie können den restlichen Klassenkameradinnen/Klassenkameraden weit überlegen sein. Sie können hyperaktiv, vorlaut, aggressiv gegen das andere Geschlecht, ausländerfeindlich, rassistisch, behindert, "verhaltensoriginell" oder schlicht dumm sein. In jedem Fall wird das Ergebnis einer Adressatinnenanalyse/Adressatenanalyse auch solche Schüler/innen ins Kalkül ziehen müssen. Und das in zweierlei Hinsicht: Einerseits wird man beobachten müssen, welche Wirkung solche Einzelpersönlichkeiten auf den Rest der Klasse/Gruppe haben, andererseits sollte man als Lehrer/in auch erkennen, wie man selbst auf sie reagiert.

 

2.6.1 Fragestellungen

  • Welche Rolle spielen für mich als Lehrperson generell einzelne Schüler/innen? Widme ich mich ihnen oder versuche ich eine grundsätzliche Distanz zu den Schüler/innen zu halten?
  • Es befindet sich ein/e Spezialist/in für Geschichte in der Klasse. Seit sie/er lesen kann, interessiert sie/er sich für Geschichte. Wie behandelt man so eine/n Schüler/in im Unterricht?
  • Ein/e Schüler/in weist eine körperliche Behinderung auf. Wie verhält sich die Klasse in diesem Fall? Helfen die Mitschüler/innen? Ist Hilfe überhaupt erwünscht? Inwieweit muss sich ein/e Lehrer/in in der Unterrichtsgestaltung an den besonderen Umständen orientieren?

 

2.6.2 Schüler/innen: Auswirkungen auf den Lernprozess

Abb. 25 aufmerksame SchülerInnen

Besondere historische Begabungen kommen hin und wieder vor und sind in die Planungsüberlegungen einzubeziehen. Warum soll eine Lehrperson einen historischen Inhalt unvollkommen erklären, wenn ein/e besonders informierte/r Schüler/in dazu besser in der Lage ist. Begabte Schüler/innen sind zur Übernahme bestimmter Lehrfunktionen gerne bereit. Eine Klasse nimmt eine derartige Ausnahmesituation meist mit Freude zur Kenntnis, die Aufmerksamkeit ist in solchen Stunden immer sehr hoch.

In der Regel wird sich die Lehrperson mit einer besonderen Vorbereitung auf diese Situation einstellen, wird einige Sozial- und Arbeitsformen versuchen, wie innere Differenzierung oder diverse Spezialaufgaben.

 

2.7 Vice versa

Abb. 26 Was weiß die Klasse von der/dem Lehrer /in?

Adressatenanalyse ist ein wechselseitiger Prozess. Ständig überprüfen Schüler/innen ihre Wahrnehmung und ebenso tut es die Lehrperson. In diesem Sinn ist es notwendig, die Wahrnehmungen der Schüler/innen ernst zu nehmen.

Meist beginnt die Adressatenanalyse lange, bevor einander die Beteiligten am Lernprozess gegenüberstehen. Vom Gerücht über das Vorurteil, vom schlechten Ruf bis zu zufälligen Begegnungen im Schulhaus: Die Klasse und jede/r Einzelne in ihr gestalten sich den die/ den Adressatin/den Adressaten ihrer Wünsche, ihrer Sorgen, ihrer Hoffnungen und Ängste. Und die/den Adressatin/Adressaten ihrer künftigen Leistungen, ihrer Motivation. Insofern ist der scheinbare "erste Eindruck", den die Beteiligten eines schulischen Lernprozesses voneinander haben, in Wahrheit meist schon ein "Wiedersehen".

 

2.7.1 Fragestellungen

  • Was weiß die Klasse von der Lehrperson?
  • Ist sie/er wirklich so, wie alle sagen?
  • Ist der Lehrperson bekannt, dass sie einen bestimmten Ruf im Schulbetrieb hat? Gilt sie als streng?
  • Muss ich bei dieser Lehrperson mitschreiben, muss ich ein Heft führen, muss ich mitarbeiten?
  • Lässt sich die Lehrperson provozieren? Wird sie leicht aggressiv? Kann man sich alternative Ansichten leisten? Verträgt sie Widerspruch?
  • Mit welchen Erwartungen muss ich als Lehrer/in rechnen, wenn ich eine Klasse betrete?
  • In welcher Hinsicht bin ich als Lehrer/in Adressat/in für einzelne Schüler/innen oder die ganze Klasse? Welche Erwartungen setzen die Schüler/innen in mich?
  • Ist Geschichte bei dieser/diesem Lehrer/in ein wichtiges Fach? Muss ich unter Umständen mit Schwierigkeiten rechnen? Bedeutet Geschichte ab nun viel Arbeit?

 

2.7.2 Vice Versa: Auswirkungen auf den Lernprozess

Abb. 27 die ersten Schritte der Lehrperson werden beurteilt

Mit dem Beginn des gemeinsamen Lernprozesses stellt sich die Adressaten-/Adressatinnenanalyseanalyse seitens der Schüler/innen als Wechselspiel zwischen den Einzelwahrnehmungen und einer Gruppendynamik ein. Wird ein/e Schüler/in für eine Leistung entsprechend gelobt, wird ein/e andere/r für ein Vergehen entsprechend getadelt, weiß die Gruppe, woran sie ist. Treten in diesem System Unsicherheiten auf, reagiert die/der Adressat/in also missverständlich, muss die Klasse bzw. jede/r Einzelne eine neue Strategie des Handelns entwickeln.

Die ersten entscheidenden Handlungen seitens der Lehrperson können nun die mehr oder minder bewussten Vorurteile bestätigen oder widerlegen. Lässt die Lehrperson einen vermeintlich schweren Verstoß gegen die korrekte Arbeitshaltung konsequenzlos vorübergehen, wird der/dem Einzelnen und der Klasse dadurch mitgeteilt, jene erwarteten Regeln der Arbeit seien nicht wichtig.

Vermag ein/e Lehrer/in den Schülerinnen/schülern gegenüber emotional ausgeglichen gegenüberzutreten, kommt es zu positiven Übertragungseffekten. Die Schüler/innen fühlen sich angenommen, aufgehoben, werden emotional stabilisiert und können sich besser den Aufgaben widmen.

 

2.8 Zeitbudget

Abb. 28 Unterrichtszeit ist eine knappe Ressource

Unterrichtszeit ist immer ein knappes Gut. Jeder Lehr- und Lernprozess ist an eine entsprechend mitgedachte Zeit geknüpft. Dies gilt vor allem für die Planung von Unterrichtsstunden, für die Lehrstoffverteilung oder eine Jahresplanung. Wenn man sich die Frage der zur Verfügung stehenden Zeit in Zusammenhang mit den konkreten Lernenden, die man vor sich hat, stellt, gehört sie zur Adressatinnen-/Adressatenanalyse.

 

2.8.1 Fragestellungen

  • Wieviel Zeit steht für den Lernprozess in einer spezifischen Lerngruppe zur Verfügung?
  • Ist abzusehen, wieviel Zeit die Schüler/innen für den Geschichte-Unterricht aufwenden können oder wollen?
  • Wieviele Wochenstunden stehen laut Stundentafel in der entsprechenden Schulstufe zur Verfügung?
  • Mit welcher realistischen Stundenzahl hat die Lehrperson während eines Schuljahres zu rechnen?
  • Wird für eine bestimmte Aufgabe auch Arbeitszeit außerhalb der Unterrichtsstunden benötigt? Sind die Schüler/innen in der Lage, die Zeit auch aufzubringen (viele Schularbeiten, Prüfungsstress, Schulveranstaltungen,.....)?</l>

 

2.8.2  Zeitbudget:Auswirkungen auf den Lernprozess

Abb. 29 Welcher Zeitaufwand wird akzeptiert?

Für alle Unterrichtsformen, die den üblichen Rahmen sprengen, gilt, dass sich alle Beteiligten über den Zeitrahmen im Klaren sein müssen, der zur Verfügung steht. Dies gilt vor allem für projektorientiertes Arbeiten.

Wichtig ist auch zu klären, ob die Schüler/innen willens sind, den größeren Zeitaufwand in Kauf zu nehmen, den man berechnen muss, wenn man an einem Unterrichtsprojekt teilnimmt. Besonders wichtig ist es darauf hinzuweisen, dass in ganz bestimmten Phasen des Projekts der Zeitaufwand besonders hoch werden kann.

Jede Lehrperson muss klären, ob gewisse Unterrichtsformen mit den vorhandenen Schüler/innen durchführbar sind. Ist es wirklich sinnvoll, alle Schüler/innen ein Referat halten zu lassen? Will man wirklich alle eine mündliche Prüfung abhalten lassen? Wird das zuviel Zeit in Anspruch nehmen? Gibt es Alternativen?

 

2.9 Raum

Abb. 30 Ein Raum zum Wohlfühlen?

Abb. 31 Gibt es einen Beamer?

Zu den wesentlichen Lernvoraussetzungen gehört der Raum, in dem Unterricht stattfinden soll. Man kann sich in einem Klassenraum wohlfühlen, man kann sich aber auch eingeengt fühlen. Schüler/innen mögen die Klasse ausgestaltet haben und sich dadurch ganz besonders mit ihr identifizieren. Plakate, die im Unterricht gestaltet wurden, können wesentliche Hilfe beim Erinnern an frühere Inhalte sein. Sollte es noch Möglichkeiten geben, zusätzliches Mobiliar unterzubringen, ist der Weg vom Klassenzimmer zur "Lernumgebung" schon fast getan.

 

2.9.1 Fragestellungen

  • In was für einem Raum findet der Unterricht statt? Hat er eher eine längliche Form oder ist der Grundriss eher quadratisch? Sitzen die Schüler/innen in der letzten Reihe sehr weit hinten?
  • Ist der Raum groß genug für die Lerngruppe/die Klasse? Gibt es Platz genug für Möbel? Kasten? Stellagen? Stehen die Tische in Reih und Glied? Ist es möglich, das Mobiliar auch umzustellen?
  • Welche Medien befinden sich in der Klasse? Tafel? Overhead-Projektor?
  • Kann man eine Karte aufhängen? Platz für Posters, Plakate, Modelle?
  • Gibt es Platz genug für andere Arbeits- und Sozialformen? Kann man einen Sesselkreis bilden? Ist es denkbar, einen Stationenbetrieb im Sinne des Offenen Lernens einzurichten?
  • Ist Lernen im Freien möglich? Nimmt man das Risiko in Kauf, dass sich die Schüler/innen im Freien deutlich schlechter konzentrieren können?
  • Wo steht die Lehrperson? Kann sie sich frei im Raum bewegen?
  • Gibt es im Klassenraum einen Computer - womöglich mit Internet-Anschluss? Ist der Raum mit WLan ausgestattet? Gibt es einen Beamer?

 

2.9.2 Raum: Auswirkungen auf den Lernprozess

Abb. 32 Lässt der Raum Methoden jenseits des Lehrer/innenvortrags zu?

Abb. 33 WLan ermöglicht die Nutzung von Notebooks im Unterricht

Ist in einem Klassenzimmer Platz für Bücherregale, wird die Arbeit mit anderen Materialien als dem Lehrbuch viel einfacher. Die Schüler/innen können historisches Material in der Schule lassen, historische Romane können im Rahmen einer Klassenbibliothek getauscht werden.

Für die Arbeit mit dem Computer ist es höchst sinnvoll, wenn ein oder mehrere Geräte im Klassenraum stehen, weil dann der Zugang zu den Geräten sehr viel leichter ist. EDV-Räume sind zwar vorhanden, oft aber besetzt. Dadurch ist die Hemmschwelle, diese Geräte und die Möglichkeit des Internet im Geschichtsunterricht einzusetzen, recht hoch. Optimale Voraussetzung wäre, wenn die Klasse mit WLan ausgestattet ist und damit das Arbeiten mit Notebooks oder iPads viele Möglichkeiten für den Unterricht eröffnet.

Wenn der Raum, in dem der Unterricht stattfinden soll, zu klein für eine bestimmte Lerngruppe ist, wird sich diese Tatsache auf die Methodenvielfalt auswirken. Viele Methoden abseits des Lehrer/innenvortrags verlangen andere Sitzordnungen, Kleingruppen, Sesselkreise, Platz für das Gestalten von Plakaten, Raum für Spiele usw.

 

2.10 Arbeitskontrakt

Abb. 34 ein Arbeitskontrakt als Basis für die Arbeitsstruktur

Eine besondere Art, die Ergebnisse einer Adressatinnen-/Adressatenanalyse in die Gestaltung des Lernprozesses einfließen zu lassen, ist das Abfassen eines Arbeitskontraktes. Lehrer/in und Schüler/innen legen gemeinsam die wesentlichsten Kriterien des Unterrichtens fest.

Nach der Analyse der Bereitschaft der Lernenden, Zeit, Energie und Vorwissen in den Unterricht zu investieren, sollte gemeinsam eine sinnvolle Arbeitsstruktur erarbeitet werden, die den Gegebenheiten entspricht.

Lehrende und Lernende kommunizieren die Ergebnisse ihrer jeweiligen Analysen. Die Lehrenden versichern sich der Mitarbeit der Schüler/innen bei ihrem Unterricht, die Lernenden erkennen das Anforderungsprofil und geben ihre Zustimmung zu der geforderten Arbeitsleistung einerseits, nehmen aber auch das Angebot seitens der Lehrperson an.

Diese Übereinkunft wird zwar nur den Charakter einer Absichtserklärung haben, ihre Realisierung kann aber im Laufe des Schuljahres von beiden Partnern eingefordert werden. Die Lehrperson kann auf der Erbringung von Leistungen der Lernenden bestehen; Schüler/innen können ihrerseits versprochene Unterrichtsinhalte reklamieren, sofern die nicht - wie angekündigt - gebracht werden.

Vor allem die Vielfalt der möglichen Leistungen sollte den Schüler/innen als Angebot dargestellt werden.

Kriterien der Leistungsfeststellung. In den AHS übergeben die Lehrer/innen eine schriftliche Ausarbeitung der Kriterien, die zur Leistungsfeststellung herangezogen werden zu Beginn des Schuljahres den Schülerinnen/Schülern.

 

2.10.1 Fragestellungen

  • Wer übernimmt welche Aufgabenbereiche?
  • Welche Arbeitsaspekte behält sich weiterhin die Lehrperson vor, was wird in Zukunft von den Schüler/innen geleistet?
  • Soll der Arbeitskontrakt schriftlich aufgesetzt werden und damit eine höhere Verbindlichkeit bei allen Beteiligten erzielen?

 

2.10.2 Arbeitskontrakt:Auswirkungen auf den Lernprozess

Abb. 35 der Arbeitsvertrag bringt Sicherheit für alle Beteiligten

Die wichtigste Konsequenz für den Lernprozess, die ein Arbeitskontrakt haben sollte, ist Sicherheit, und zwar für alle Beteiligten.

Die Lehrperson kann sicher sein, den Schüler/innen einen Überblick über die möglichen Leistungen gegeben zu haben und diese im Rahmen der gemeinsamen Arbeit auch einfordern zu dürfen.

Die Schüler/innen ihrerseits wissen, was auf sie zukommt, und sind im Großen und Ganzen vor Überraschungen sicher. Vor allem das Zustandekommen einer Jahresnote darf kein Geheimnis mehr sein.

Gelingt die Zusammenarbeit, dann wissen die Beteiligten genau, warum. Die angestrebte und ausdiskutierte Arbeits- und Funktionsteilung hat offensichtlich zum Erfolg beigetragen; alle haben ihre Rollen im Wesentlichen ausgefüllt. Die gesteckten Lernziele sind erreicht worden.

Die wichtigsten Schritte zur Abfassung eines Arbeitskontraktes:

  • Individuelle Erwartungen und gemeinsame Ziele formulieren,
  • Kriterien der Zielerreichung festlegen,
  • Inhalte definieren,
  • Ressourcen offen legen und Konsequenzen ziehen,
  • Bedingungen der Kooperation festhalten,
  • Realisierung einschätzen,
  • Arbeitsorganisation differenzieren,
  • Zeitliche und räumliche Planung erstellen.

 

2.11 Beispiele Adressatinnen-/Adressatenanalyse

2.11.1 Die Adressatinnen/Adressaten

Abb. 36 Adressatinnen-/Adressatenanalyse

Beispiel zur Adressatenanalyse am Thema "Nationalsozialismus"

An diesem Thema lässt sich sehr deutlich zeigen, wie wichtig Adressatenanalyse sein kann und wie massiv sie sich auf den Lehr- und Lernprozess auswirken kann.

Im Folgenden sollen einige mögliche Konstellationen aufgezeigt werden, die einen höchst unterschiedlichen Verlauf der Unterrichtsstunden zum Thema mit sich bringen.

  1. Die Klasse hat keine Ahnung von dieser historischen Epoche
  2. Die Klasse äußert schon seit längerer Zeit ihr Interesse
  3. Die Klasse vermittelt der Lehrperson das Gefühl, "nicht schon wieder"
  4. In der Klasse gibt es einzelne Schüler/innen, die dem nationalsozialistischen Gedankengut offensichtlich nahe stehen

 

2.11.1.1 Die Klasse hat keine Ahnung von dieser historischen Epoche

Abb. 37 Worum geht es? Wichtig?

Abb. 38 interessierter Schüler

In diesem Fall - es könnte sich um eine Unterstufenklasse handeln - hat es die Lehrperson mit äußerst geringem Vorwissen zu tun. Sie kann den Inhalt in hohem Maße selbst bestimmen, muss allerdings vorsichtig mit allzu grauenhaften Einzelheiten sein, weil die Kinder nicht im Geringsten darauf vorbereitet sind.

 

2.11.1.2 Die Klasse äußert schon seit längerer Zeit ihr Interesse, endlich über dieses Kapitel der Geschichte informiert zu werden

Sie macht einen kompakten Eindruck und hat offensichtlich hohe kommunikative Kompetenz. Außerdem geben die Schüler/innen der/dem Lehrer/in das Gefühl, dass sie sie/ihn für außerordentlich geeignet halten, dieses Thema mit ihnen in aller Ausführlichkeit zu behandeln.

In diesem Fall werden die unterschiedlichsten Zugänge und Schwerpunkte möglich sein, vom Besuch eines Konzentrationslagers, ein Besuch im DÖW, der Konfrontation mit  Zeitzeugeninterviews, bis zum Betrachten schwieriger ("Shoah" von Claude Lanzmann) oder schockierender ("Nacht und Nebel" von Alain Resnais) Dokumentarfilme.

 

2.11.1.3 Die Klasse vermittelt der Lehrperson das Gefühl, "nicht schon wieder" über dieses Thema unterrichtet werden zu wollen

Abb. 39 nein, nicht schon wieder!

Einzelne Schüler/innen geben ihrem Missfallen deutlich Ausdruck, andere stimmen zu. Es liegt oft auch an der mangelden Kommunikation zwischen Lehrerinnen/Lehrern in den Fächern Deutsch, Religion, Ethik, Psychologie/Philosophie, Musikerziehung, eventuell in lebenden Fremdsprachen und eben Geschichte und statt ein gemeinsmes Projekt mit den verschiedenen Schwerpunkten mit der Klasse zu entwickeln, wird in den einzelnen Fächern unkoordiniert zum gearbeitet.

Am ehesten scheint bei solch einer Ausgangssituation eine Beschäftigung mit sonst eher weniger thematisierten Aspekten dieser Zeit sinnvoll zu sein. Nicht wieder die - offensichtlich - schon bekannten Informationen darbieten, sondern lieber bei einem Teilaspekt in die Tiefe zu gehen. Das können zum Beispiel regionale Schwerpunkte oder biographische Untersuchungen, die Lektüre spezieller Untersuchungen oder persönliche Recherchen mittels oral history sein.

 

2.11.1.4 In der Klasse gibt es einzelne Schüler/innen, die dem nationalsozialistischen Gedankengut offensichtlich nahe stehen

Abb. 40 Protestbanner - Faschismus ist keine Meinung sondern ein Verbrechen

In diesem Fall wird die Lehrperson mit massiver Argumentation von diesen Schülerinnen/Schülern rechnen müssen. Schwerpunkte einer wahrscheinlich sehr emotional geführten Debatte könnten einerseits Themen wie Wiederbetätigung, das Auftreten neofaschistischer Gruppen, Rassismus oder Minderheiten sein, andererseits gäbe es auch die Möglichkeit, gerade mit solchen Menschen über die "Auschwitzlüge" zu diskutieren und sie dazu zu bringen, in einen Diskurs über dieses Thema einzutreten.

 

2.11.2 Gruppenstrukturen, Vorwissen und Kompetenzen

Beispiel zur Adressatinnen-/ Adressatenanalyse zum Erkennen von Gruppenstrukturen, Vorwissen und Kompetenzen einer neu gebildeten Klasse

Abb. 41 Gruppenstruktur, Vorwissen, Kompetenzen ermitteln

Es handelt sich um eine dritte Klasse des Realgymnasiums, zusammengesetzt aus drei verschiedenen zweiten Klassen mit unterschiedlichen Lernkulturen sowie einigen Repetentinnen/Repetenten.

Es lässt sich bereits in der ersten Unterrichtsstunde ein unterschiedlicher Lernfortgang bei den Schülerinnen/Schülern feststellen: chronologisch-inhaltlich ebenso wie methodisch: Die einen kamen bis "Augustus", die anderen bis "Seite 112 im Buch", die dritten hatten themenorientierten Unterricht, die waren gerade beim Thema "Die Weltreligionen". Die einen haben die "Römische Kaiserzeit" ausgelassen, die anderen kennen beinahe keine Jahreszahlen (die waren ihrer Lehrperson überhaupt nicht wichtig), die dritten haben nur im Lehrbuch gelesen, wichtige Passagen unterstrichen und das Gelernte dann bei zwei Tests pro Semester beweisen müssen; wieder andere hatten überhaupt keine Tests oder Prüfungen, ihre Noten kamen durch Beobachtung der Mitarbeit und durch (unerlaubterweise) benotete Referate zustande.

Die entscheidenden Fragen:

  1. Wie soll die Lehrperson vorgehen? Wie kann sie die verschiedenen Stärken bzw. Schwächen einzelner Schüler/innengruppen zu einer neuen Lernkultur verschmelzen?
  2. Was erwarten die Schüler/innen vom Vorgehen der Lehrperson? Wird sie so unterrichten, wie sie es aus dem Vorjahr gewöhnt sind, oder kommt etwas Neues auf sie zu?

 

2.11.2.1 Lösungsansätze

Abb. 42 mit contracting zu einem Team formen

Die Lehrperson sollte sehr schnell versuchen, eine gemeinsame Basis für den Lernprozess herzustellen. Bei derart verschiedenen Ausgangslagen wird es sinnvoll sein, eigene verbindliche Strukturen vorzuschlagen, sie unter Umständen gemeinsam mit den Schüler/innen zu erarbeiten.(1)

Die Lehrperson sollte klar machen, dass sie ganz bewusst einen anderen Weg zu gehen gedenkt als ihre diversen Vorgänger/innen. Die Unterschiede müssen für alle Schüler/innen sichtbar und erfahrbar sein.

LITERATUR

Becker, G. E. (2001). Unterricht planen. Handlungsorientierte Didaktik (8. vollst. überarb. Aufl. Bd. 1). Weinheim: Beltz.

Umfassende Darstellung aller Aspekte der Unterrichtplanung und –durchführung.

Gage, N. L., & Berliner, D. C. (1996). Pädagogische Psychologie (5. vollst. überarb. Aufl.). Weinheim - München: Psychologische Verlags Union, Beltz.

Sehr interessant, was die psychologischen Aspekte des Unterrichtens betrifft, weniger brauchbar für praktische Tipps.

Kasper, H. (Hrsg.). (1979). Vom Klassenzimmer zur Lernumgebung. Bausteine für eine fördernde Grundschule. Ulm: Vaas Verlag.

Brachte den Begriff der Lernumgebung in die Diskussion.

Kuhn, A. (1980). Einführung in die Didaktik der Geschichte (3. Aufl.). München: Kösel.

Ein Klassiker der Geschichtsdidaktik, nicht mehr ganz aktuell, aber sehr informativ.

Abbildungsverzeichnis

Abb. 11 Adressaten © Gaby Stein, www.pixelio.de

Abb. 12 1968 Prag © klaus edel, dgpb Screenshot

Abb. 13 Fragen © Gerd Altmann, www.pixelio.de

Abb. 14 Vorwissen Lernprozess © Franz Lux, fdz

Abb. 15 Angst © Gerd Altmann, www.pixelio.de

Abb. 16 Kompetenz © Gerd Altmann, www.pixelio.de

Abb. 17 Wesentliches © Dieter Schütz, www.pixelio.de

Abb. 18 Quelle © klaus edel, dgpb

Abb.19 Tafelbild © klaus edel, dgpb

Abb. 20 Arbeitshaltung © Andreas Morlok, www.pixelio.de

Abb. 21 Arbeitshaltung © Franz Lux, fdz

Abb. 22 Gruppe © Gerd Altmann, www.pixelio.de

Abb. 23 Schülerin © GO Materialien

Abb. 24 Schüler/innen © Franz Lux, fdz

Abb. 26 Lehrer Lämpel © Gila, www.pixelio.de

Abb. 27 Schüler/innen © Franz Lux, fdz

Abb. 28 Zeit © BirgitH, www.pixelio.de

Abb. 29 Zeit © Franz Lux, fdz

Abb. 30 Klassenzimmer © Manfred Jahreis, www.pixelio.de

Abb, 31 Beamer © Dieter Schütz, www.pixelio.de

Abb. 32 Klassenzimmer © Franz Lux, fdz

Abb. 33 Notebookklasse  © klaus edel, dgpb

Abb. 34 Kontrakt © Stephanie Hofschlaeger, www.pixelio.de

Abb. 35 Kontrakt © Konstantin Gastmann, www.pixelio.de

Abb. 36 Analyse © memephoto, www.pixelio.de

Abb. 37 Worum geht es? © klaus edel, dgpb

Abb. 38 interessiert © Stephanie Hofschlaeger, www.pixelio.de

Abb. 39 Überdruss © klaus edel, dgpb

Abb. 40 Faschismus ist keine Meinung © Protestonaut

Abb. 41 Gruppenstruktur © Gerd Altmann, www.pixelio.de

Abb. 42 Team © Gerd Altmann, www.pixelio.de