1938–2018: historische Ereignisse und lokalgeschichtliche Reaktionen


Gegor Kremser

 

1. Einleitung

Der vorliegende Text behandelt das Jahr 1938 aus der Perspektive lokalgeschichtlicher Quellen. So wurden zwei Lokalzeitungen und ihre Berichterstattung über den „Anschluß“ und die darauffolgende Abstimmung gegenübergestellt. Der so genannte „Anschluß“ Österreichs an das Deutsche Reich 1938 wurde in großen Teilen der Bevölkerung mit Begeisterung aufgenommen. Zahlreiche Berichte, Artikel oder weitere Zeitdokumente legen den Schluss nahe, dass der „Anschluß“ und dessen Legitimation durch die Abstimmung im April 1938 auf breite Unterstützung in weiten Teilen der Bevölkerung gestoßen ist, auch wenn die Abstimmung selbst unter völlig undemokratischen Bedingungen stattgefunden hat. So schreibt Gita, eine junge Wienerin, die die Tage des „Anschlußes“ in Wien in Briefform schildert über die Stimmung am 12. März 1938 auf der Wiener Ringstraße: „Am Ring also eine viel, viel zehntausendköpfig Menge, ein großes Geschrei und eine Begeisterung.“ (Zeillinger 2018, A2)

Abb. 36 Auszug Wählerliste zur Abstimmung 1938 aus Krems/Stein, Jüdinnen und Juden wurden aus der Stimmliste entfernt. Quelle: Stadtarchiv Krems, Namen unkenntlich gemacht.

Abb. 37 Abstimmungsergebnis aus Krems-Stein 1938. Quelle: Stadtarchiv

©Klar ist aber auch, dass zahlreiche Gruppen innerhalb der Bevölkerung – vor allem aus „rassischen“ oder politischen Gründen – umgehend verfolgt wurden bzw. gar nicht an der Abstimmung teilnehmen durften. So wurde in Krems sofort nach dem „Anschluß“ der damalige Leiter der jüdischen Gemeinde Arnold Kerpen verhaftet und die Situation der Juden in Krems verschlechterte sich in den darauffolgen Wochen zusehends. (Lind 2004, 129) Zur Abstimmung am 10. April waren sie nicht zugelassen.

Der „Anschluß“, die Abstimmung und deren Folgen können in diesem Zusammenhang als ein fundamentales Trauma der österreichischen Zeitgeschichte angesehen werden, vor allem auch, weil sie die Grundlage für den so genannten „Opfermythos“ bilden. 

Die Situation in Krems 1938 stellt im Zusammenhang mit diesen grundsätzlichen Anmerkungen keine Ausnahme dar. Dennoch sei darauf verwiesen, dass das Abstimmungsergebnis in Krems – trotz der österreichweiten fast 100% Zustimmung – noch ein wenig positiver für das neue Regime ausgefallen ist. Zum Vergleich: Die Abstimmung in ganz Österreich erbrachte ein Ergebnis von durchschnittlich 99,14 %, basierend auf vorliegenden Zahlen, während in Krems dieses Ergebnis sogar noch übertroffen wurde und bei 99,942% lag. (Streibel 2014, 69) Der Nährboden für den Nationalsozialismus war in Krems und auch in der Region (Wachau) vorhanden. So gab es bereits sehr früh große Zustimmung für die Nationalsozialisten in Krems. 1927 wählten 11,8% der Kremser Wahlberechtigten bei der Landtags- und NR-Wahl die NSDAP, während es in ganz Niederösterreich nur durchschnittlich 1,1% waren. (Wilhelm 1987, 8) Ein Handgranatenattentat, das 1933 im Alauntal bei Krems stattgefunden hatte und das von NS-Anhängern gegen „christlich-deutsche Turner“ verübt wurde, führte zu einem Verbot von SA und SS im Juni desselben Jahres seitens der Bundesregierung und stellte jegliche nationalsozialistische Betätigung unter Strafe. (Ableitinger 2017, 35) Die illegale Betätigung der Nationalsozialisten ging daraufhin im Untergrund weiter. Dennoch wird der Zulauf zur NSDAP für Krems ab 1935 als stark beschrieben und auch vom Sicherheitsbüro für NÖ so gesehen. (Frühwirth 2000, 402) Nicht umsonst nimmt der Komponist Heinrich Strecker 1938 in seinem Propagandalied „Wach auf, deutsche Wachau“ (Austria Forum 2018, Stichwort: Heinrich Stecker) Bezug auf die Wachau und damit auch auf Krems. All das sind Indizien dafür, dass nationalsozialistisches Gedankengut in der späteren „Gauhauptstadt“ Krems auf fruchtbaren Boden fallen konnte.

 

2. Der „Anschluß“ in der Lokalpresse

2.1 Auswahl der Lokalzeitungen

Unter Berücksichtigung der genannten Indizien und Annahmen ist davon auszugehen, dass auch in den Kremser Lokalmedien positiv über den „Anschluß“ berichtet wird. Interessant scheint in diesem Zusammenhang also weniger die Tatsache ob die Berichterstattung positiv ist, sondern viel mehr wie sie stilistisch und thematisch – bezogen etwa auf lokale Ereignisse – auf das Makrogeschehen „Anschluß“ eingeht. Auf diese Fragestellung hin abzielend wurde ein Querschnitt von Artikeln aus Kremser Lokalmedien (inkl. Krems-Umgebung, Anm. GK) aus dem Kremser Stadtarchiv ausgewählt, verglichen und analysiert. Die Quellenlage im Zeitungsarchiv stellt sich wie folgt dar: Vorhanden sind für das Jahr 1938 vor allem die Kremser Zeitung und die Land-Zeitung – beides Wochenzeitungen – sowie weitere Einzelbestände bzw. Einzelstücke regionaler Zeitungen aus diesem Jahr.

Für diesen Text werden Artikel aus der Kremser Zeitung und der Land-Zeitung herangezogen. Robert Streibel beschreibt in seinem Buch Krems 1938–1945 die Land-Zeitung als besonders antisemitisch eingestelltes Blatt. Wichtige Mitglieder der Herausgeber-Dynastie Faber, zu deren Periodika auch die Land-Zeitung gehörte, waren nationalistisch und später nationalsozialistisch orientiert. Dr. Herbert Faber, Gründer der paramilitärischen Vereinigung „Deutschösterreichischer Heimatschutz“, der in Krems und Umgebung zu Beginn der 1930er-Jahre angesiedelt war (Strigl 2017, 209), hatte die Land-Zeitung 1938 übernommen und dürfte offenbar auch schon vor 1938 Kontakte zur NSDAP gehabt haben bzw. sogar Mitglied gewesen sein. Der Stil des Blattes wird daher – nicht nur nach dem „Anschluß“ – als den Nationalsozialisten gegenüber positiv und antisemitisch eingestuft. (Streibel 2014, 1938–1945) So schreibt Robert Streibel: „Wie bereits gezeigt werden konnte, war die Land-Zeitung traditionell ein geeignetes Forum für die Verbreitung antisemitischer Ideen. Selbst für die Land-Zeitung muß jedoch für die Zeit nach dem März 1938 von einer neuen Qualität der Hetze gesprochen werden.“ (Streibel 1991, 39)

Dies bestätigt Autor Hans Frühwirth, der auch in der Kremser Zeitung antisemitische Tendenzen ausmacht, die schon lange vor dem „Anschluß“ erkennbar sind. (Frühwirth 2000, 400f. und 410)

Die Kremser Zeitung war vor 1938 im Besitz des Katholischen Pressevereins St. Pölten gestanden. Herausgeber Ernst Dworschak, Bezirksführer der Vaterländischen Front, wurde im Zuge des „Anschlußes“ verhaftet, die Zeitung unter kommissarische Verwaltung gestellt. Das Verlagshaus Faber sah nun die Chance einer quasi Monopolstellung in Krems und dem Waldviertel. Die St. Pöltner Zeitung der Fabers wurde gegen die Kremser Zeitung getauscht und als Pächter wurde Buchdrucker Karl Siller eingesetzt. Dworschak sollte mit einer einmaligen Zahlung abgefertigt werden mit der Begründung Josef Fabers, dass die von ihm verantwortete Berichterstattung klar gegen nationalsozialistisches Gedankengut gerichtet war. Schlussendlich konnte sich Faber durchsetzen, Dworschaks Ausgleichsforderungen wurde nicht stattgegeben. (Streibel 2014, 105–108) Hans Frühwirth bezeichnet diese Vorgangsweise als Gleichschaltung der Kremser Lokalpresse. (Frühwirth 2000, 410)

Die Analyse der beiden Zeitungen beschränkt sich auf den Zeitraum des so genannten „Anschlußes“ rund um den 12.03.1938 und auf die Zeit der Abstimmung über den „Anschluß“, also den 10.04.1938. Ziel dieser unvollständigen Analyse ist es, einen lokalgeschichtlichen Überblick zum Thema „Anschluß“ zu geben und damit etwa die Basis für weitere didaktische Überlegungen und konkrete Vermittlungsinterventionen zu bieten.

 

Abb. 38 BK Kurt Schuschnigg

Abb. 39 BM Arthur Seyß-Inquart

2.2 Kremser Zeitung 

Insgesamt wurden fünf Ausgaben der Lokalzeitung gesichtet und analysiert. Die Zeitung war unter dem Titel „Kremser Zeitung, Volksblatt für Stadt und Land“ erschienen. Als Beilagen werden die „Waldviertler Zeitung“ und „Welt und Heimat“ angegeben. Der Leitartikel der Ausgabe vom 10.03.1938, Nummer 11, 69. Jahrgang „Aufklärende Reden politischer Führer“ (Kremser Zeitung Nr.11, 1) behandelt in erster Linie das Abkommen vom 12. Februar 1938 zwischen Kurt Schuschnigg und Adolf Hitler und dessen Folgen. Interessant ist die Tatsache, dass am Vorabend des Einmarsches Deutscher Truppen der Artikel inhaltlich davon ausgeht, dass nun eine langfristige Lösung gefunden werden konnte, dass also österreichische Interessen und die Interessen der Nationalsozialisten in Österreich in gleicher Weise gewahrt werden könnten. Zitiert werden Bundeskanzler Schuschnigg und Bundeminister Arthur Seyß-Inquart, die quasi als Vertreter der beiden Interessenslagen dargestellt werden. Die zitierten Statements beider Politiker wirken eher beschwichtigend und beruhigend und vermitteln Einverständnis. So werden Ausschnitte aus einer Rede Schuschniggs wiedergegeben:

„Ich bin der Auffassung (…) dass man wieder zueinander finden soll, so zwar dass der eine, der seit Jahren in der Vaterländischen Front stand und steht, keine Scheu davor empfindet, das Wort deutsch auszusprechen, und dass der andere, der im nationalen oder nationalsozialistischen Lager steht, keine Scheu davor hat, das Wort Österreich auszusprechen.“ (Kremser Zeitung Nr.11, 1)

Arthur Seyß-Inquart wiederum wird mit den Worten „Wir sind Österreicher und stehen auf österreichischem Boden“ (Kremser Zeitung Nr.11, 1) zitiert.

In der Beilage zur Kremser Zeitung der Waldviertler Zeitung wird die Rede Kurt Schuschniggs vom 24.02.1938 zu den Berchtesgadener Verträgen ebenfalls umfangreich kommentiert. Die drei auf Seite 1 platzierten Artikel „Freie Bauern im freien Österreich“, „Frankreich und England zur Rede Schuschniggs.“ und „Wirtschaftsbeziehungen zwischen Österreich und Deutschland“ thematisieren die Vereinbarungen auf unterschiedlichen Ebenen. Während die Bauernschaft auf ihre Treue zur Unabhängigkeit Österreichs pocht und im Artikel dem Bundeskanzler und „Frontführer“ Kurt Schuschnigg die absolute Gefolgschaft der Bauernschaft versichert wird, geht der zweite Artikel auf die europäische Ebene ein, indem Frankreich und England als Befürworter der Unabhängigkeit Österreichs dargestellt werden. Im letzten Artikel wiederum wird die immer enger werdende Zusammenarbeit zwischen Österreich und dem Deutschen Reich dargestellt.

Resümee: Insgesamt steht diese Ausgabe der Kremser Zeitung in einer seltsam anmutenden Ambivalenz zu den heraufziehenden Ereignissen. Die Artikel beschwören Gemeinsamkeiten zwischen dem Deutschen Reich und Österreich, um aber gleichzeitig auf die Unabhängigkeit Österreichs zu verweisen. Es wird Sicherheit suggeriert, die in Anbetracht der weiteren Entwicklungen beinahe naiv erscheint, oder aber als beruhigendes Kalkül bewusst eingesetzt wird. (Kremser Zeitung Nr.11) In der Ausgabe vom 17.03.1938, Nummer 12, 69. Jahrgang werden im Artikel „Schicksalswende in Österreich. Ein Volk – ein Reich. Österreich ein Land des deutschen Reiches“ die Ereignisse rund um den Einmarsch Adolf Hitlers in Österreich dargestellt und vor allem der Weg Hitlers nach Wien unter großem Jubel dokumentiert. Interessant ist nicht nur der inhaltliche Zugang zum Thema „Einmarsch“, der diesen in unterschiedlichen Facetten als notwendig und gut darstellt, sondern auch die stilistische Herangehensweise vergleicht man diese Ausgabe mit der vom 10.03.1938. So wird beispielsweise der Begriff der Unabhängigkeit Österreichs – ein bestimmendes Element der Ausgabe vom 10.03.1938 – nicht aufgegeben, aber völlig anders gedeutet:

„Von dem Tage an, an dem Adolf Hitler seine schützende Hand über uns erhebt, sind wir eingereiht in das starke Bollwerk der Achse Berlin-Rom, sind wir in Wahrheit unabhänunabhängig, unabhängig von jenen schleichenden Einflüssen solcher Nationen, die unter den Sympathiebezeigungen für Österreich nur ihre eigensüchtigen Vorstöße verbergen und Zwietracht zwischen deutsche Volksgenossen zu tragen suchen.“ (Kremser Zeitung Nr.12, 1)

In dieser Ausgabe dominiert eindeutig Angst vor dem, was der Zeitung bevorstehen könnte. Unter dieser Prämisse ist wohl auch die Bemerkung der „Schriftleitung“ unter dem Titel „Erklärung an unsere Leser“ zu verstehen. Loyalität der „neuen Staatsführung“ gegenüber wird zugesichert und die Beteuerung des absoluten Willens am „Aufbau unseres engeren Heimatlandes“ mitzuwirken wirkt beinahe schon grotesk übertrieben. (Kremser Zeitung Nr.12)

Weitere Artikel dieser Ausgabe beleuchten Adolf Hitler und den Einmarsch aus verschiedenen Perspektiven. „Des Führers erste Worte an die Wiener“, oder „Ein Volk wird ein Reich“ oder „Adolf Hitler am Grabe seiner Eltern“ vermitteln in gewisser Weise die Notwendigkeit des „Anschlußes“.

In einem weiteren Artikel, der auf die Ereignisse, die im Zuge des „Anschlußes“ in Krems stattgefunden haben, Bezug nimmt, wird mit Superlativen nicht gespart. So sei die „Abdankungserklärung Dr. Schuschniggs (…) in den Straßen der Stadt mit ungeheurem Jubel aufgenommen worden.“ Infolge wird der Jubel in der Stadt als „unbeschreiblich“ geschildert, „ein spontaner Fackelzug“ wird abgehalten und die offiziellen Einrichtungen der Stadt werden „in Windeseile umbesetzt bzw. von Nationalsozialisten übernommen“. Beeindruckt ist der Autor des Textes offenbar von der „Disziplin“, mit der all diese Ereignisse ihren Lauf nehmen. Enttäuschung kommt erst auf, als sich Tausende versammeln um dem „Führer“ bei seinem „Durchzug durch die Stadt zuzujubeln“, dieser hatte jedoch den Weg über St. Pölten genommen. Dennoch:

„Es waren mit einem Wort Tage unbeschreiblicher und unendlicher Begeisterung, die die alten deutschen Donaustädte (Stein und Krems, Anm. GK) durchrauschte (…)“ (Kremser Zeitung Nr.12)

Die Ausgabe der Kremser Zeitung vom 24.03.1938, Nummer 13, 69. Jahrgang „ziert“ erstmals ein plakatives Hakenkreuz auf der Titelseite. Beherrschendes Thema der ersten Seite ist die für 10. 04. geplante Volksabstimmung, die sehr umfassend auch als gesamtdeutsche Entscheidung postuliert wird. Die Überschrift lautet demnach auch „Ganz Deutschland stimmt ab. Auch im übrigen Reich Volksabstimmung über den Anschluß. – Auflösung des Reichstages und Neuwahl am 10. April (…)“. (Kremser Zeitung Nr.13, 1) Auf den ersten drei Seiten dieser Ausgabe wird die Erklärung des „Führers“ vor dem Reichstag über die Notwendigkeit des „Anschlußes“ und seine Sichtweise über die Ereignisse davor sehr ausführlich dargelegt. (Kremser Zeitung Nr.12, 1–3)

Die Ausgaben vom 31.03.1938 und vom 07.04.1938 werden zum Propagandainstrument für die Abstimmung am 10.04.1938. So werden die Leser/innen in der Ausgabe vom 31.03.1938, Nummer 14, 69. Jahrgang darüber informiert, dass Österreich mit einem „gigantischen Aufbauwerk“ versorgt werden soll. Gleichzeitig stellt „der Führer“ klar wie die Berchtesgadener Gespräche „in Wahrheit“ stattgefunden haben und kontrastierend dazu werden Berichte eingestreut, die offenbar die Machthaber der Schuschnigg-Regierung als korrupt und ineffizient diskreditieren sollen. Artikel wie „Aus dem vaterländischen Sumpf “ (Kremser Zeitung Nr.14, 2) oder „Die Köpenickiade eines „Vaterländischen“ (Kremser Zeitung Nr.14, 2) weisen in ihrer Diktion darauf hin. Die Ausgabe vom 07.04.1938, Nummer 15, 69. Jahrgang spitzt den Zeitraum bis zur Abstimmung dramatisch zu. Die Titelseite ist als Werbung für die Abstimmung gestaltet und in einer kurzen chronologischen Abhandlung werden Ereignisse seit dem Ersten Weltkrieg aufgelistet, die den Weg hin zu einem „Anschluß“ als natürlich und notwendig erscheinen lassen. So ist auch „(…) in den Kremser Zeitungen eine Tendenz zu bemerken, die durch den nationalsozialistischen Machtapparat gesetzten Maßnahmen historisch zu legitimieren“. (Streibel 1991, 40)

Ein großes „JA“ schließt diese erste Seite der Kremser Zeitung auch grafisch passend ab. Adolf Hitler im Wahlkampf und die österreichischen Bischöfe mit ihrem Aufruf auf Seiten des neuen Regimes sind die Hauptthemen der folgenden Seiten. In der Beilage „Waldviertler Zeitung“ ist der Aufruf „Österreichischer Bauer, bekenn dich zum Reich!“ ebenfalls zu finden. (Waldviertler Zeitung Nr.15, 1) Es ist von einem „gigantischen Aufbauwerk“, das Österreich bevorsteht, die Rede und davon, dass vor allem die Bauern profitieren werden. Insgesamt erfolgte also auch in der Beilage eine durchwegs – der Abstimmung gegenüber – positive Berichterstattung.

In der Ausgabe vom 14.04.1938, Nummer 16, 69. Jahrgang dann die Erleichterung, das Abstimmungsergebnis wird auf der ersten Seite präsentiert und in Folge die einzelnen Gemeinden mit ihren Ergebnislisten vorgestellt. Auf Seite 4 werden unter dem Titel „Abziehbilder von der Volksabstimmung“ Berichte, Wortsplitter und Anekdoten zur Abstimmung zusammengefasst. So werden Personen zitiert, die sich als Gegner des Nationalsozialismus deklariert hatten, nun aber mit Begeisterung für „JA“ gestimmt hätten. Dennoch gibt es auch neun „Nichtbekehrte“, die in Krems mit „NEIN“ gestimmt hatten:

„Neun Stimmen ‚Nein‘ in Krems, d. s. 0,08 von Hundert! Man möchte natürlich gerne wissen, wer sich in einer solchen geschichtlichen Stunde außerhalb der Volksgemeinschaft stellt. Sicher ist jedenfalls, dass es Leute sind, deren Ziele und Interessen bisher gegen das Volksganze gerichtet waren und auch in Zukunft sein werden.“ (Kremser Zeitung Nr.16, 4)

 

2.3 Land-Zeitung

Der Leitartikel der Land-Zeitung vom 09.03.1938 schlägt einen anderen Ton als die Kremser Zeitung derselben Woche an. Während erstere kalmierend und ausgleichend wirken möchte, betont zwar auch der Leitartikel der Land- Zeitung das erfolgreiche Abkommen vom 12. 02. 1938, lenkt dann aber in Folge zu den nun legalisierten Möglichkeiten der Nationalsozialisten in Österreich über. Zitiert wird aus einer Ansprache, die Österreich zwar erwähnt, aber das deutsche Element der „Ostmark“ stark hervorhebt. Die Unabhängigkeit wird somit nicht direkt in Frage gestellt, durch das verwendete Wording jedoch auch nicht wirklich unterstützt:

„So wollen wir dem Staate dienen, dessen deutsches Erbe seit den Tagen des ersten deutschen Kaisers auf uns gekommen ist, dem Lande, das als Ostmark des Deutschen Reiches immer wieder feindlichem Aufprall getrotzt hat, der Heimat, die deutsches Wesen, deutsche Bildung, deutsche Arbeit, deutsche Rechtlichkeit und deutschen Geist immer wieder ostwärts zu anderen Völkern ausgestrahlt hat (…)“ (Niederösterreichische Land-Zeitung Folge10, 09. 03. 1938, 1)

In der Ausgabe vom 16.03.1938 (Folge 11) wird der Einmarsch Deutscher Truppen in Österreich nicht nur textlich, sondern auch in Form einer Bilderstrecke – prominent auf der ersten Seite platziert – zelebriert. Die Headline der ersten Seite „Deutschösterreichs Heimkehr ins Reich“ ist weit euphorischer als die etwa zeitgleich (17. 03. 1938) in der Kremser Zeitung erschienene. Der Text ist durchwegs positiv, keine Aspekte des Zweifels kommen auf. Während der Text der Kremser Zeitung in der Ausgabe dieser Woche noch ambivalent und unsicher wirkt – nimmt man etwa auf das Statement der Redaktion Bezug, aus dem in gewisser Weise Angst vor der Zukunft spricht – so ist davon in der Land-Zeitung nichts zu bemerken:

„Die erhabensten Stunden unseres Lebens als deutsche Österreicher sind vorüber. Nach bitterster Schicksalsnacht und tiefster völkischer Not ist der Tag des Sieges angebrochen: Österreich ist nationalsozialistisch, Deutschösterreich ist in die große deutsche Schicksalsgemeinschaft heimgekehrt.“ (Niederösterreichische Land-Zeitung Folge 11, 16.03. 1938, 1)

Folge 12 vom 23.03.1938 konzentriert sich argumentativ u.a. auf die historische Bedeutung der kommenden Abstimmung. So wird der erhoffte „Anschluß“ als Beendigung einer historischen Ungerechtigkeit angesehen. Unter dem Titel „Brutale nationale Vergewaltigung von Millionen“ pocht der Autor auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker, welches Österreich nach dem Ersten Weltkrieg aus seiner Sicht vorenthalten worden war. (vgl. Niederösterreichische Land-Zeitung. Folge 12, 23.03.1938, 1)

In Folge 13 wird die kommende Abstimmung als „heilige Wahl“ bezeichnet, als „Abrechnung mit Schuschniggs tyrannischer Diktatur“. Die „Befreiung“ wird als „Wunder“ dargestellt, Schuschnigg als „Schwindler“ entlarvt. In einfachen Schemata werden Gegensatzpaare produziert, die die neue politische Situation rechtfertigen. (Niederösterreichische Land- Zeitung. Nationalsozialistische Blätter Folge 13, 30.03. 1938, 5) Von euphorischer Berichterstattung in der Land-Zeitung schreibt auch Autor Hans Frühwirth, dem vor allem die Bewunderung der Zeitung für die Art der Durchführung der Machtübernahme auffällt. (Frühwirth 2000, 406f.)

Von Interesse ist auch das Erscheinungsbild der Zeitung und deren Benennung. Wird die Folge 11 vom 16.03. noch als niederösterreichische Land-Zeitung bezeichnet, so trägt die „Folge 13 vom 30.03“ den Titel: „Niederösterreichische Land-Zeitung – Nationalsozialistische Blätter“. Diese gesamte Ausgabe ist als Vorbereitung auf die Abstimmung am 10. April 1938 gedacht. Unter verschiedensten Gesichtspunkten werden die Vorteile für Österreich dargestellt (z.B. „Gigantisches Aufbauprogramm für Österreich“) und eine breite Unterstützungsfront medial aufbereitet (z.B. „Die Bischöfe für den Nationalsozialismus“) (Frühwirth 2000, 406f.)

In der Ausgabe bzw. Folge 14 vom 06.04.1938 wird massiv für ein „JA“ bei der kommenden Abstimmung geworben. So findet sich auf der Titelseite dieser Ausgabe der Reim: „Am Sonntag sind wir alle da und stimmen alle freudig ja!“ (Niederösterreichische Land-Zeitung. Folge 14, 06.04. 1938, 1) Anders als in der Kremser Zeitung – wo dies zu diesem Zeitpunkt nur in Nebensätzen vorkommt – werden auch massive „rassische“ Argumente angeführt. So trägt ein Artikel dieser Ausgabe beispielsweise die Überschrift „Der Sieg über die Fremdrasse“. Die Leser/innen erfahren weiters: „Ganz Krems steht zum Führer“. Es wird über große Versammlungen in der Kremser Turnhalle, in Stein, oder in Weinzierl berichtet. (vgl. Niederösterreichische Land-Zeitung. Folge 14, 06. 04. 1938, 2 und 6)

In Ausgabe 15 vom 13.04. dann die Erleichterung: Ähnlich wie in der Kremser Zeitung werden vor allem die regionalen und lokalen Ergebnisse der Abstimmung dargestellt und kommentiert. So konstatiert die Land-Zeitung offenbar zufrieden: „Die Kreise Krems und Pöggstall haben sich mit 99,975 Prozent zu Adolf Hitler und Großdeutschland bekannt. Mit diesem Bekenntnis stehen sie an der Spitze der Kreise Niederösterreichs.“ (Niederösterreichische Land-Zeitung. Folge 15, 13. 04. 1938, 3)

 

3. Zusammenfassung und Ausblick

Die nach bestimmten vorher festgelegten Kriterien ausgeführte Zeitungsanalyse kann eine Gegenüberstellung lokaler Berichterstattung zur Thematik überregional bedeutsamer Ereignisse bieten und so einen wichtigen Beitrag zum Themenkomplex Erinnerungskulturen leisten. So können etwa historisch/politisch entstandene „Mythenbildungen“ wie die „Opferthese“ oder aber auch die Frage der politischen Zukunft Österreichs nach dem Ersten Weltkrieg, durch die kritische Betrachtung lokaler Berichterstattung zum „Anschluß“ konterkariert bzw. analysiert werden. Strategien der Berichterstattung auf lokaler Ebene können so allgemeinen, etwa österreichweiten, Entwicklungen gegenübergestellt und kritisch beleuchtet werden. Dieser Zugang könnte beispielsweise im Konnex der Frage der „Selbstbestimmung der Völker“ noch näher ausgeführt werden, berücksichtigt man etwa die in der Land-Zeitung zitierte Berichterstattung über die „historische Ungerechtigkeit“, die Österreich durch das „Anschlußverbot“ widerfahren sei und deren „Korrektur“ durch den „Anschluß“ selbst. Gleichzeitig ergeben sich dadurch aber auch spezifische lokalgeschichtliche Bezugspunkte, die etwa – wie im Falle der Besitzergeschichten der beiden vorgestellten Zeitungen – spezielle Hintergründe zur Berichterstattung eröffnen.

Diese Analyse kann – wie im vorliegenden Fall - Ausgaben und Artikel verschiedener Zeitungen umfassen und diese vergleichen. Für eine weitere, umfassendere Möglichkeit der Analyse würde sich die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (Mayring 2010) anbieten. Durch diese Methode können vor allem inhaltlich-formale Themenstellungen an die Texte/Artikel herangetragen werden. Vergleich und Analyse orientieren sich im vorliegenden Fall an der inhaltlichen Stilistik der beiden vorgestellten Wochenzeitungen. Mitgedacht werden – wie erwähnt – ansatzweise auch die Besitzergeschichten der Zeitungen, die auf eine gewisse Ausrichtung bzw. Blattlinie schließen lassen. Dieser Rückschluss muss für eine weitere Analyse theoretisch noch weiter abgesichert werden. Rein inhaltlich werden in beiden Lokalmedien dieselben Entwicklungen und Ereignisse in den Mittelpunkt gerückt, die Land-Zeitung reagiert jedoch wesentlich euphorischer und in ihren Formulierungen klarer und radikaler auf diese. Die makrogeschichtlichen Ereignisse „Anschluß“ und „Abstimmung“ werden somit auch unterschiedlich aufbereitet und dargestellt.

 

LITERATUR

Ableitinger, Alfred (2017). Politik in Österreich 1918 bis 1933. In: Karner, Stefan (Hrsg.) (2017). Die umkämpfte Republik Österreich von 1918–1938. Innsbruck: StudienVerlag.

Frühwirth, Hans (2000). Die Doppelstadt Krems-Stein: ihre Geschichte von 1848–2000. Melk: Kulturamt der Stadt Krems.

Lind, Christoph (2004). Der letzte Jude hat den Tempel verlassen. Juden in Niederösterreich 1938–1945. Wien: Mandelbaum.

Mayring, Philipp (2010). Qualitative Inhaltsanalyse – Grundlagen und Techniken. Weinheim, Basel: Beltz.

Streibel, Robert (2014). Krems 1938– 1945. Eine Geschichte von Anpassung, Verrat und Widerstand. Weitra: Bibliothek der Provinz.

Streibel, Robert (1991). Plötzlich waren sie alle weg. Die Juden der „Gauhauptstadt Krems“ und ihre Mitbürger“. Wien: Picus.

Strigl, Mario (2017). Die paramilitärischen Wehrverbände 1918–1938. Das Beispiel Niederösterreich. In: Karner, Stefan (Hrsg.) (2017). Die umkämpfte Republik Österreich von 1918–1938. Innsbruck: StudienVerlag.

Wilhelm, Ute (1997). Politik in Krems 1927–1934. Diplomarbeit Universität Wien.

Zeillinger, Gerhard (2018, 10. März). Und dann kam ER. In: Tageszeitung Der Standard, Album.

 

LINKS

austria-forum.org/af/AustriaWiki/Heinrich_Strecker_%28Komponist%29 (Zugriff am 29. Juni 2018)

 

QUELLEN/ZEITUNGSARTIKEL

Kremser Zeitung. Nr. 11. 10. 03. 1938 (Kremser Stadtarchiv) Kremser Zeitung. Nr. 12. 17. 03. 1938 (Kremser Stadtarchiv)

Kremser Zeitung. Nr. 13. 24. 03. 1938 (Kremser Stadtarchiv)

Kremser Zeitung. Nr. 14. 31. 03. 1938 (Kremser Stadtarchiv)

Waldviertler Zeitung. Nr. 15. 07. 04. 1938 (Kremser Stadtarchiv)

Kremser Zeitung. Nr. 16. 14. 04. 1938 (Kremser Stadtarchiv)

 

Niederösterreichische Land-Zeitung. Folge 10. 09. 03. 1938 (Stadtarchiv Krems)

Niederösterreichische Land-Zeitung. Folge 11. 16. 03. 1938 (Stadtarchiv Krems)

Niederösterreichische Land-Zeitung. Folge 12, 23. 03. 1938 (Stadtarchiv Krems)

Niederösterreichische Land-Zeitung. Nationalsozialistische Blätter. Folge 13, 30. 03. 1938 (Stadtarchiv Krems)

Niederösterreichische Land-Zeitung. Folge 14. 06. 1938 (Stadtarchiv Krems)

Niederösterreichische Land-Zeitung. Folge 15, 13. 04. 1938 (Stadtarchiv Krems)