Österreichbilder


Judith Breitfuss, Klaus Edel, Monika Erckert, Isabella Svacina-Schild, Hanna-Maria Suschnig, Bernhard Trautwein, Martin Zusag

 

1.Konzeptive Überlegungen zur Gestaltung didaktischer Szenarien

Abb. 117 Bildberichter-Austellung Staatsdruckerei Wien 1959 (Ausschnitt) (Für Gesamtfoto auf Bild klicken)

Die Entwicklung von Österreichbildern

Im Jahre 1959 fand in der Österreichischen Staatsdruckerei eine Fotoausstellung mit dem Titel „Bildberichter am Werk” statt. Im Eingangsbereich wurden die Besucher/innen mit einem Banner mit folgendem Text konfrontiert: „Durch unsere Augen sehen Millionen die Dinge dieser Welt“ (https:// backend.univie.ac.at/index.php?id=153221&L=0(14.6.2021). Diese Aussage steht für einen wesentlichen Aspekt der Analyse visueller Quellen im jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Kontext im Unterricht: die Perspektivität. Welche Bilder prägen die Nachkriegsjahre, in welcher Weise beeinflussen diese die Sichtweise von Zeitgenossinnen und Zeitgenossen oder wie werden sie von Betrachterinnen und Betrachtern der Gegenwart beurteilt? Das sind Fragestellungen, die dem Basiskonzept „Perspektive und Auswahl“ zuzuordnen sind und damit Angebote für Schüler/innen darstellen, damit diese lernen, das Zustandekommen von historischem und politischem Wissen zu reflektieren.(1)

Die (Wieder)-Entstehung eines Österreichbewusstseins war nach den Jahren der nationalsozialistischen Indoktrination das Ziel sowohl der österreichischen Politik als auch der Alliierten, und Bildmedien wie Wochenschauberichte und Pressefotos sollten einen wesentlichen Beitrag dazu leisten. Es war auch Aufgabe der Schule, ein neues Bild von einem demokratischen Österreich zu entwickeln. Der folgende Erlass vom 3. September 1945 bringt dies gut auf den Punkt: „An Stelle des überheblichen deutschen Nationalismus soll österreichisches Volks- und Staatsbewußtsein treten, in dem liebevolles Verständnis allem Fremden gegenüber eingeschlossen ist: statt falscher Herrlichkeit des Führertums muß die Überlegenheit der echten Demokratie gezeigt werden.“ (Stadtschulrat für Wien. Allgemeine Richtlinien für Erziehung und Unterricht an den österreichischen Schulen; VOBI. 15/1.11.1945)

Das Themendossier 11 Österreichbilder nutzt Ergebnisse von zwei Forschungsprojekten(2), die die visuelle Bildkultur im Österreich der Nachkriegszeit zum Untersuchungsgegenstand hatten. Die den Unterrichtsbeispielen zugrunde liegenden Film- und Fotoquellen aus diesen Projekten ermöglichen es, einige wichtige Themen der österreichischen Geschichte der Zweiten Republik kritisch zu erarbeiten. Die Vorschläge für die mediendidaktisch aufbereitete Unterrichtsarbeit zum Umgang mit Wochenschauberichten basieren auf der Erkenntnis, dass heutige Jugendliche die Aspekte, die der Kriegsgeneration nach 1945 zur Übernahme eines positiven Österreichbewusstseins angeboten wurden, nicht als identitätsstiftend erkennen können. Zugleich ermöglichen es die Unterrichtsbeispiele, den Wandel nationaler Stereotype zu diskutieren und deren Sinnhaftigkeit zu hinterfragen. Die Wirkungsweise von Bildpropaganda anhand von Pressefotografien der Alliierten vor dem Kontext der Besatzungszeit kann anhand der Online-Fotoausstellung „War of Pictures“ https://warofpictures.univie.ac.at/  (16. 5.2021) erschlossen werden. Einige der hier gebotenen Unterrichtsbeispiele ermöglichen Zugang zu einer umfangreichen Bilddatenbank, und leiten Schüler/innen sowie Studierende an, ihre historisch-politischen Kompetenzen sowie ihre Medienkompetenzen zu erweitern.

Für die Unterrichtsarbeit mit diesen Themen ist es unerlässlich, das nötige Kontextwissen und einen kurzen geschichtlichen Rückblick zu erarbeiten. In der Besatzungszeit waren es die westlichen Alliierten, allen voran die Amerikaner, die es sich zur Aufgabe machten, ein neues Österreichbewusstsein zu fördern. Ihre Medienpolitik zielte vordergründig auf die Entstehung eines demokratischen, unabhängigen Österreich-Bildes ab und sie unterstützten Demokratisierungsmaßnahmen, gekoppelt mit einem klaren Bekenntnis zu Österreich. Dies geschah bewusst im Gegensatz zur sowjetischen Selbstdarstellung in deren Medien. Insbesondere die Wochenschauen prägten ein idealisiertes Bild von Österreich, so wurde zum Beispiel der Wiederaufbau als große Erfolgsgeschichte dargestellt. Die alliierte Pressefotografie erzeugte hingegen neben Quellen zum Alltagsleben in den Nachkriegsjahren auch Beispiele von Propaganda und Gegenpropaganda im Kalten Krieg.

Die folgenden Unterrichtsbeispiele fokussieren also auf Quellen und Darstellungen der Vergangenheit, die durch den Filter von Film und Fotografie re- bzw. dekonstruiert werden. Dabei wird die Wahrnehmung der Kriegsgeneration der Sichtweise von Jugendlichen der Gegenwart, deren Alltag von einer ungleich vielschichtigeren Bildkultur geprägt wird, gegenübergestellt und so sowohl der Lebensweltbezug als auch der Gegenwartsbezug hergestellt.

 

2. Implementierung des Kompetenzmodells

Abb. 118 Kompetenz aufbauen

Für die Auseinandersetzung mit der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg sind neben historisch-politischen Grundkenntnissen zur Nachkriegszeit, dem Wiederaufbau und dem Kalten Krieg vor allem historische und politische Methoden- sowie Sachkompetenzen notwendig. Die Unterrichtsvorschläge ermöglichen es Schülerinnen und Schülern, Fachbegriffe und Kategorien zu diesem Zeithintergrund zu verstehen und anzuwenden und sie zu nutzen, um Quellen und Darstellungen kritisch zu analysieren, die ihnen zugrunde liegenden Perspektiven und Intentionen festzustellen und damit ihren Konstruktionscharakter festzumachen.

Der Plural im Titel Österreichbilder impliziert bereits, dass der Gegenüberstellung von eigenen und fremden Darstellungen viel Platz eingeräumt wird. Die Bild- und Textquellen ermöglichen nicht nur Fragen nach einer beabsichtigten Identitätsstiftung aus einer neuen österreichischen und/oder aus internationaler Sicht. Wenn sie als Orientierungsangebote hinsichtlich der eigenen Verortung der Schüler/innen vor dem Hintergrund ihrer Familiengeschichte und -herkunft hinterfragt werden, können sie zur Stärkung der Reflexionskompetenz der Schüler/innen beitragen und ihnen die Rolle von Sozialisationsprozessen begreiflich machen. Diskussionen zu Migration und nationaler Zugehörigkeit können genutzt werden, um im Sinne der politischen Urteilskompetenz die Bereitschaft zur Perspektivenübernahme zu fördern und eigene Urteile gegebenenfalls zu ändern.

 

3. Lernziele

Die unterschiedliche Einflussnahme der Besatzungsmächte auf die Medienwelt erkennen

Die Schüler/innen können:

  • Quellen der Zeit nach 1945 hinsichtlich etwaiger Instrumentalisierung für politische Zwecke auswerten,
  • historisch-politische Tendenzen und Ereignisse der Nachkriegszeit analysieren und kommentieren,
  • die unterschiedliche Einflussnahme der Besatzungsmächte auf die Medienwelt erkennen und diese interpretieren,
  • das durch die Produzenten der Austria Wochenschau angestrebte positive Selbstbild der Darstellung Österreichs in der alliierten Pressefotografie gegenüberstellen,
  • die Förderung und Entstehung einer neuen österreichischen Identität nachweisen und einen Vergleich zu ihrer eigenen Identitätswahrnehmung herstellen.

 

4. Lehrplanbezug – Auszüge

Abb. 121 Die Smartphone Kamera, zu eigenen Gestaltung medialer Produkte nutzen

  • Grundsatzerlass zur Politischen Bildung für alle Schultypen und Unterrichtsfächer Sekundarstufe I und II.
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  • AHS (Unterstufe) / LP 2016

3. Klasse, Modul 8 (Politische Bildung): Identitäten

Die Begriffe Identität und Identitätsbildung erklären und problematisieren; zwischen Selbst- und Fremdbild unterscheiden sowie die Bereitschaft zur Selbstreflexion entwickeln

4. Klasse, Modul 9 (Politische Bildung): Medien und politische Kommunikation

Die mediale Umsetzung von politischen Ideen und Informationen sowie die Inszenierung von Politik analysieren. … Mediale, im Zusammenhang mit politischer Kommunikation stehende Produkte analysieren und selbst gestalten.

  • AHS (Oberstufe) / LP 2016

7. Klasse, Kompetenzmodul 6

Historische Methodenkompetenz (Re- und De-Konstruktionskompetenz): Darstellungen der Vergangenheit kritisch analysieren und systematisch hinterfragen

Historische Sachkompetenz: … verschiedene Perspektiven in historischen Quellen und Darstellungen identifizieren und hinterfragen … Geschichte als eine Betrachtung, die im Nachhinein geschieht, wahrnehmen und deren Auswirkung reflektieren

Historische Orientierungskompetenz: … Darstellungen der Vergangenheit hinsichtlich angebotener Orientierungsmuster für die Gegenwart und Zukunft befragen;

Themenbereiche: politische und gesellschaftliche Veränderungen nach 1945 und ihre Auswirkungen auf den Alltag

8. Klasse – Kompetenzmodul 7

Historische Methodenkompetenz (Re- und De-Konstruktionskompetenz): Perspektivität, Intention und Bewertungen in Darstellungen der Vergangenheit feststellen sowie deren Entstehungskontext berücksichtigen

Themenbereiche: Österreich als Teil der europäischen und globalen Entwicklung im 20. und 21. Jahrhundert

dgpb © Judith Breitfuss, Klaus Edel, Monika Erckert, Isabella Svacina-Schild, Hanna-Maria Suschnig, Bernhard Trautwein, Martin Zusag