Kulturbeziehungen im Umbruch
Andrea Brait(1)
1. Österreichs Kulturbeziehungen zu den sogenannten „Ostblockstaaten“
Während des Kalten Krieges war Österreich aufgrund verschiedener Umstände wie der verbreiteten Kenntnis der deutschen Sprache und der Vertrautheit mit den Medien in vielen Ostblockstaaten sehr attraktiv. Wie Peter Kampits betont, stellte Österreich für viele dieser Länder „das einzige Fenster zum Westen“ (Kampits 1991, 784) dar. Dem entsprach eine Schwerpunktsetzung der österreichischen Auslandskulturarbeit in Zentral-, Ost- und Südosteuropa.(2)
Die kommunistischen Nachbarstaaten bemühten sich bereits in den 1950er-Jahren um den Abschluss von Kulturabkommen. Österreich wartete jedoch zunächst ab, um nicht auf eine bestimmte (von ideologischen Motiven dominierte) Kulturpolitik festgelegt zu werden.(3) Diese Haltung wurde in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre aufgegeben. Auf ein Kulturabkommen mit der Sowjetunion 1967 (1969 in Kraft) folgten solche mit Jugoslawien, Ungarn, der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik (ČSSR) und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Außerdem wurden in Budapest und in Zagreb Kulturinstitute eingerichtet. (Brait erscheint 2015)
2. Auswirkungen der Umbrüche in den "Ostblockstaaten" auf die österreichische Kulturpolitik
2.1 Bemühungen um eine Intensivierung der Kulturkontakte über die Kulturabkommen
Der Rahmen des staatlichen österreichischen Engagements wurde durch Arbeitsprogramme definiert, die immer für ein paar Jahre auf Basis der Kulturabkommen vereinbart wurden. Kurz nach den politischen Umbrüchen in den östlichen Nachbarstaaten Österreichs gab es sowohl von Österreich als auch von den jeweiligen Vertragspartnern Bemühungen, die Kontakte zu intensivieren. (Brix 2013)
Mit Ungarn wurden 1990 sowohl ein neues Arbeitsprogramm(4) zum Kulturabkommen als auch eines zum Abkommen über die Zusammenarbeit in den Bereichen Wissenschaft und Technik ausverhandelt(5) – beide bedeuteten einen Ausbau der Kontakte. Allerdings gab es bereits Ende der 1980er-Jahre zahlreiche Kontakte,(6) die über die Vereinbarungen der Arbeitsprogramme hinausreichten.
Mit der Tschechoslowakei war bereits im November 1988 im Zuge der 5. Tagung der Gemischten Kulturkommission ein Arbeitsprogramm(7) für die Jahre 1989 bis 1991 ausgearbeitet worden. Auch hier war eine Steigerung der Aktivitäten vorgesehen.
Mit Jugoslawien war ebenfalls 1988 das IV. Kulturübereinkommen abgeschlossen worden, dessen Ausverhandlung sich aufgrund diverser Streitigkeiten, unter anderem betreffend der Nennung von Kärntner Ortsnamen in slowenischer Sprache im deutschsprachigen Vertragstext, fünf Jahre gedauert hatte. 1990 standen die nächsten Verhandlungen an. In Anbetracht der politischen Entwicklungen sowie aufgrund der nach wie vor ungelösten Frage der Bezeichnung von Ortsnamen beschloss das Außenministerium jedoch, keine Initiative zur Aufnahme von Verhandlungen zu setzen.(8) 1991 fanden aber zahlreiche Staatsbesuche sowie Kontakte auf Beamtenebene statt, um über den Ausbau der Kulturbeziehungen weiter im Gespräch zu bleiben. Außenminister Alois Mock betonte in dieser Phase, dass „Österreich allen Republiken für Kontakte zur Verfügung stehe. [...] In diesem Zusammenhang habe man keine historischen Vorurteile, wenngleich mit den unmittelbaren Nachbarn natürlicherweise engere Beziehungen bestünden.“(9) Bald wurde jedoch klar, dass Österreich Mühe hatte, die Beziehungen zu allen Teilrepubliken gleichermaßen zu pflegen. 1992 kam der ohnehin sehr geringe Kulturaustausch mit Serbien-Montenegro völlig zum Erliegen.(10)
Mit der DDR war auf Basis des Vertrages über die Zusammenarbeit auf den Gebieten der Kultur und Wissenschaft im April 1988 ein zweijähriges Arbeitsprogramm ausverhandelt worden.(11) 1990 standen demnach die nächsten Verhandlungen an. Trotz der geänderten politischen Verhältnisse wurde im Rahmen der 7. Tagung der Gemischten Kommission für wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit von 5. bis 7. Juni 1990 ein Arbeitsprogramm für die Zeit von 1. Juli 1990 bis 30. Juni 1992 verabschiedet,(12) im Rahmen dessen nicht nur ein jährlicher Expertenaustausch vereinbart wurde, sondern auch die Fortführung von 34 Forschungsprojekten; für neun weitere Projekte wurde eine Inangriffnahme im gegenseitigen Einvernehmen empfohlen. Auf Basis des Kulturabkommens war seit Mai 1988 das 4. Kulturübereinkommen für die Jahre 1988 bis 1991 in Kraft,(13) doch strebten beide Staaten einen Ausbau der bereits vereinbarten Projekte an. Noch im Juli 1990 wurden anlässlich eines Besuches von DDR-Kulturminister Herbert Schirmer bei Hilde Hawlicek (Ministerin für Unterricht, Kunst und Sport) neue Kulturaustauschprojekte vereinbart, die noch bis Jahresende verwirklicht werden sollten. Gegenüber Journalisten meinte Schirmer,(14) dass die Vereinbarungen „ungewöhnlich schnell ‚vor Torschluss‘ getroffen“ worden seien. Jedoch zeigte sich zu diesem Zeitpunkt bereits, dass die DDR kaum mehr in der (finanziellen) Lage war, die Vereinbarungen zu erfüllen: Das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR bat darum, dass künftig der jeweils entsendende Staat alle Kosten für vereinbarte Maßnahmen übernehmen sollte.(15) Das österreichische Außenministerium spielte auf Zeit und reagierte darauf nicht,(16) bis sich die Frage von selbst erledigt hatte. Man bemühte sich jedoch darum, dass die mit der DDR geschlossenen Abkommen von der Bundesrepublik übernommen wurden. Das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland stellte allerdings 1992 per Note offiziell fest, dass das Kulturabkommen und auch das Abkommen über die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit mit der Herstellung der Einheit Deutschlands erloschen seien.(17)
2.2 Erhöhung der finanziellen Mittel
Um seine Position zu verdeutlichen(18) und um „im nun einsetzende[n] Wettbewerb in den Beziehungen zu diesen Staaten“ mithalten zu können, zeigte sich Österreich durchaus bereit, mehr finanzielle Mittel einzusetzen: Das operative Kulturbudget des Außenministeriums wurde von 23 Millionen ATS im Jahr 1989 für 1990 auf 33 Millionen ATS erhöht;(19) bis 1995 war es auf 86,3 Millionen ATS angewachsen.(20) Allerdings räumte Außenminister Alois Mock im Rahmen einer Nationalratsdebatte ein, dass „die finanzielle Dotierung in keiner Weise dem Gewicht entspricht, das die Außenkulturbeziehungen gerade im österreichischen Fall haben“.(21) Das Ministerium gab an, dass die zusätzlichen Mittel zu einem beträchtlichen Teil in den „östlichen Nachbarländern“ eingesetzt worden waren.(22)
Auffällig ist, dass diesbezüglich parteiübergreifend Einigkeit herrschte. Auch wenn etwa der Nationalratsabgeordnete Herbert Fux von den Grünen unter anderem das Fehlen von klaren Schwerpunktsetzungen im kulturellen Programm sowie die ressortmäßige Zuordnung dieses Politikbereichs zum Außenministerium scharf kritisierte,(23) stimmte er doch mit den anderen Parteien in der generellen Forderung überein, dass Österreich sein kulturelles Engagement in den ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten verstärken sollte. „Wir brauchen eine Kulturinitiative gerade jetzt für den Osten“, lautete sein unmissverständlicher Appell.
Unter den zumindest etwas verbesserten finanziellen Rahmenbedingungen versuchte Österreich die Gunst der Stunde zu nutzen, um die kulturellen Beziehungen zu den ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten auszubauen und zu institutionalisieren. Mit diesem Ziel wurde ein Generalkonsulat in Krakau eröffnet, das auch Kulturagenden betreute,(24) und man entsandte zusätzliche Kultur- und Wissenschaftsbeauftragte nach Bratislava, Budapest, Ljubljana und Moskau. Zusätzliche Finanzmittel ermöglichten auch eine deutliche Anhebung von Lektorenstellen: von 130 im Jahr 1989 auf 170 im Jahr 1990, wobei der Zuwachs vor allem auf die ehemaligen sozialistischen Staaten entfiel. (Gellert-Novak 1993, 20–22) In die Tschechoslowakei wurden 1990 überhaupt zum ersten Mal österreichische Lektoren entsandt, obwohl schon das Kulturabkommen von 1978 diese Möglichkeit vorgesehen hatte.(25)
2.3 Kulturinstitute
Das Kulturinstitut in Budapest, das mit dem Kulturabkommen 1977 gegründet worden war,(26) war im Botschaftsgebäude untergebracht, das sich in „peripherer Lage“ befand. Das entsprach, wie die Botschaft 1991 in einem Bericht erklärte, „in keiner Weise einer repräsentativen österreichischen kulturellen Vertretung“.(27) Mit Verweis auf die geplante EXPO 1995 (die zwar nie verwirklicht werden sollte, doch für einige Jahre als wichtigstes Austauschprojekt zwischen den beiden Staaten galt) betonte die Botschaft, dass eine „optimale kulturelle Präsenz Österreichs in Budapest eine Notwendigkeit“ sei. Sie setzte sich dafür ein, ein „Österreich-Haus“ einzurichten, das Wirtschaft, Politik und Medien verbinden und damit eine zusätzliche Attraktivität bringen sollte. Über die Anmietung oder den Kauf eines entsprechenden Objekts konnte jedoch längere Zeit keine Einigkeit erzielt werden – weder innerhalb des Außenministeriums noch mit den verantwortlichen Stellen der Stadt Budapest. Wie bereits die Bemühungen der 1960er- und 1970er-Jahre scheiterte auch dieser Vorstoß und so ist die kulturelle Vertretung – heute als Kulturforum geführt – bis heute im Botschaftsgebäude untergebracht.(28)
Neben der ungelösten Frage einer endgültigen Unterbringung klagte das Kulturinstitut über fehlende technische Gerätschaften für die tägliche Arbeit. Die Direktorin des Kulturinstituts Gertrude Kothanek gab zu bedenken, dass „es für das ho. [hierortige, Anm.] Institut sehr schwierig sein wird, mit den anderen Instituten Schritt zu halten“ (29) , und verwies auch auf die schlechte Ausstattung der Bibliothek im Vergleich zu den Kultureinrichtungen anderer Staaten.
Das Kulturinstitut Agram (Zagreb) kämpfte (ebenso wie jenes in Budapest) mit räumlichen Problemen. Das Generalinspektorat stellte im Mai 1990 fest, dass die Räumlichkeiten „sowohl von der Größe als auch von der Funktionalität her [...] in keiner Weise mehr den Anforderungen“ entsprachen und empfahl, nach einer geeigneten Unterbringung zu suchen.(30) Die Einrichtung hatte jedoch bald andere Sorgen, denn der innerjugoslawische Konflikt führte auch in Zagreb zu Kampfhandlungen. Das Kulturinstitut hielt dennoch offen, während jenes der Bundesrepublik „wegen Renovierung“ geschlossen, das British Council, das Institut Français sowie der US Reading Room gesperrt wurden. Die Handlungsfähigkeit war freilich eingeschränkt, insbesondere aufgrund der Fliegeralarme ab Mitte September 1991. Zahlreiche Veranstaltungen wurden so unmöglich gemacht, wobei der Direktor des Kulturinstituts Leopold Melichar aber meinte, dass die Künstler „äußerst mutig und voller Verständnis“ seien.(31) Das Gebäude erlitt im Oktober 1991 schließlich auch kleinere Kriegsschäden an Fenstern und Türen, als eine Rakete rund 100 Meter vom Gebäude entfernt einschlug.(32) Erst im Verlauf des Jahres 1992 konnte eine „Normalisierung“ des Betriebes erreicht und dem „Nachholbedarf an Wissen über österreichische Kultur“ Rechnung getragen werden.(33)
In der Tschechoslowakei gab es Ende der 1980er-Jahre noch kein Kulturinstitut, aber in der Botschaft Prag wurde eine Kulturabteilung aufgebaut, „die praktisch die Aufgaben eines Kulturinstituts“ übernahm.(34) Nach Bratislava wurde ein Kulturattaché entsandt, da die Kulturagenden der beiden Landesteile autonom verwaltet wurden und man der Ansicht war, dass die Slowakei ein anderes kulturelles Profil aufweise.(35) Im Dezember 1988 wurde mit der Tschechoslowakei schließlich ein Abkommen zur Errichtung von gegenseitigen Kulturinstituten in Wien und Prag unterzeichnet, das mit 1. Juli 1990 in Kraft trat.(36) Der Abschluss des Abkommens wurde als besonderer Erfolg gefeiert, zumal es schon zuvor zahlreiche Versuche gegeben hatte, diese aber „immer wieder an dem hinhaltenden Widerstand der damaligen Machthaber in der ČSSR gescheitert “ waren.(37) Jedoch gestaltete sich die Umsetzung des Abkommens schwierig: Die Österreichische Botschaft wies das Außenministerium im Juni 1989 darauf hin, dass Österreich das „erste westliche Land“ sei, „mit dem die ČSSR einen Vertrag über die Errichtung eines KI unterzeichnet hat.“ Jedoch sei ein entsprechender Vertrag mit der Bundesrepublik „demnächst unterschriftsreif “ und Verhandlungen mit Italien und Frankreich seien im Gange. Die Botschaft meinte daher: „Der noch vorhandene Vorsprung Österreichs sollte nicht verloren gehen und werbewirksam genutzt werden.“ Da noch kein Gebäude für das Kulturinstitut gefunden war, schlug die Botschaft andere „öffentlichkeitswirksame Maßnahmen“ vor wie beispielsweise die Ernennung eines Direktors oder eine Grundsteinlegung durch Außenminister Mock. Um die Position Österreichs abzusichern, wurde ein „sondierendes Gespräch an zuständiger Stelle im csl. Außenministerium“ geführt. Es ergab, dass „man dem österr. Wunsch nach Erhaltung der Priorität für das erste KI eines westlichen Landes aufgeschlossen und wohlwollend“ gegenüberstand.(38) Das Außenministerium konnte sich schließlich nur für eine Grundsteinlegung erwärmen, nannte als Voraussetzung aber den Abschluss von Preisverhandlungen und eine Eintragung im Grundbuch, was nicht umgesetzt werden konnte.(39) Der tschechische Außenminister Jiří Dienstbier sagte schließlich zu, die Suche des österreichischen Außenministeriums zu unterstützen.(40) Das Finden eines repräsentativen Gebäudes gelang jedoch erst dem österreichischen Kulturrat Valentin Inzko, der aufgrund persönlicher Beziehungen die Nutzung von Räumlichkeiten des Franziskanerklosters am Jungmannovo naměstí erreichte, in die das seit 1993 selbstständige Österreichische Kulturinstitut Prag 1996 übersiedeln konnte.(41)
2.4 Abgrenzung zur Bundesrepublik Deutschland
Obwohl das Österreichische Kulturinstitut Budapest, wie oben dargestellt, schlecht ausgestattet war, hatte das Außenministerium „Vorbehalte [...] gegen eine Zusammenarbeit mit dem bundesdeutschen Goetheinstitut“,(42) die für das Außenministerium weiterhin bestehen blieben, „wenn das Goetheinstitut und das Kulturzentrum der DDR nunmehr als Partner oder auch als ‚alldeutsche‘ Kulturvertretung auftreten.“ „Veranstaltungen im Zweigespann mit Goethe-Instituten“ seien, so das Außenministerium, „im Sinne der Identifikation der eigenständigen Kultur Österreichs [...] nicht erwünscht“.(43)
Dass es solche Vorbehalte von deutscher Seite nicht gab, zeigt eine Anfrage des Leiters der Veranstaltungsabteilung des Kultur- und Informationszentrums der DDR, der eine Kooperation mit dem Österreichischen Kulturinstitut bei einigen Veranstaltungen vorschlug, in deren Rahmen auch österreichische Vortragende eingeladen waren.(44) Im Gegensatz zu einer Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut begrüßte das Außenministerium eine Kooperation mit dem Kulturinstitut der ČSFR bei verschiedenen, beide Staaten betreffenden Veranstaltungen, wie von letzterem Ende 1990 vorgeschlagen worden war.(45) Auslandskulturarbeit war – dies zeigt diese Einstellung sehr deutlich – also auch eine Abgrenzung von Deutschland zum Zweck der Förderung einer eigenständigen nationalen Identität Österreichs.(46)
2.5 Österreich-Bibliotheken
Als Paradebeispiel einer erfolgreichen Auslandskulturpolitik Österreichs infolge des „Wendejahres“ 1989 gelten die Österreich-Bibliotheken. Es handelt sich um eines der nachhaltigsten der zahlreichen begonnenen Projekte, was insbesondere deshalb erstaunt, zumal die ersten Bibliotheken innerhalb weniger Monate quasi aus dem Boden gestampft wurden. Die erste Bibliothek wurde schon 1986 in Krakau eröffnet, 1989 folgte eine weitere in Udine. Der Boom begann jedoch erst nach dem „Fall“ des Eisernen Vorhanges: 1990 wurden Bibliotheken in Bratislava, Brno, Maribor und Poznań eröffnet, 1991 in Przemyśl, Sofija, Szeged und Tallinn. Das Netzwerk konzentrierte sich zunächst auf die Gebiete der ehemaligen Habsburgermonarchie, (Strebl 1999, 48) später folgten aber auch Städte außerhalb Europas.(47)
Diese Initiative ging auf Überlegungen des damaligen Vorsitzenden der Gesellschaft für österreichische Literatur Wolfgang Kraus zurück.(48) Ziel war es, wie Mock im Oktober 1990 bei der Eröffnung der Bibliothek in Maribor meinte, dass „eine Symbiose entsteht: Einerseits soll die Verbreitung österreichischer Literatur über die Grenzen hinweg gefördert werden; andererseits erwarten wir uns, daß sich [...] ein Impuls für einen kulturellen Dialog zwischen Österreich und dem Gastland ergibt.“(49) Die Vorgehensweise war bei allen Bibliotheken mehr oder weniger ident: Zur Einrichtung der Leseräume wurden jeweils lokale Partnerinstitutionen gewonnen. Ein Bereich der bestehenden bibliothekarischen Einrichtung wurde vom Außenministerium mit Austriaca (hauptsächlich Belletristik, aber auch landeskundliche und historische Werke) ausgestattet und an lokale Bibliotheksmitarbeiter/innen wurden Stipendien vergeben. Das Außenministerium legte durchgehend Wert darauf, dass die Bestände nicht im allgemeinen Bestand der jeweiligen Bibliothek aufgingen, sondern separat geführt wurden.(50) Die Leseräume verlangten nach speziellen Finanzmitteln, die jedoch nur zu einem geringen Teil vom Außenministerium aufgebracht wurden.(51)
Die Leseräume sind ein zentrales Element eines allgemeinen Wandels der Kulturaußenpolitik, der 1989 eingeleitet wurde: Es zeigte sich, wie das Außenministerium im Jahresbericht bilanzierte, eine „Verschiebung des Akzents vom künstlerischen auf den wissenschaftlichen Sektor.“(52)
3. Fazit
Versucht man allgemeine Trends in den bilateralen Kulturbeziehungen zwischen Österreich und seinen „(süd)östlichen Nachbarn“ auszumachen, so ist zunächst festzuhalten, dass diese von Kontinuität geprägt waren. Das Außenministerium bemühte sich, überall bisherige Kooperationen, Vorgehensweisen und Strategien fortzusetzen (auch wenn man sich im Fall von Jugoslawien zunächst für eine Unterbrechung der Kulturübereinkommen entschied). Bereits in den 1980er- Jahren hatte Österreich, wie Emil Brix betont, „ein außen- und kulturpolitisches Interesse an den Mitteleuropakonzepten der osteuropäischen Dissidenten entwickelt, die als Chance für pragmatische Zusammenarbeit und für gesellschaftliche Reformen in den Staaten östlich des Eisernen Vorhangs gesehen wurden.“ (Brix 2012, 457) Mit Mock sei, so Brix, eine „Repositionierung der österreichischen Außenpolitik“ eingeleitet worden.(53) Aus der Wahrnehmung eines gemeinsamen historischen Kulturraumes ergab sich ein verstärktes Bemühen um kulturelle Zusammenarbeit, das 1989 fortgesetzt wurde.
Von einer Wende kann aber hinsichtlich der Quantität gesprochen werden. Wie Stillfried betont, habe der Umbruch in den Staaten des ehemaligen Ostblocks „Österreich die einmalige Chance gegeben, seine Präsenz in diesem Raum zu erhöhen.“ (Stillfried 1993, 137) Es ergaben sich neue Formen der Kooperationen, die ausgehend von den Veränderungen, die 1989 eingeleitet wurden, die Kulturbeziehungen bis heute prägen. Allerdings erfolgte in vielen Bereichen kein Austausch auf gleicher Ebene. Insbesondere die Maßnahmen im wissenschaftlichen Bereich hatten lange Jahre mehr den Charakter eines „Carepakets“ denn einer echten Kooperation. Beispielhaft seien an dieser Stelle Förderprogramme für die wissenschaftliche Forschung erwähnt, die als „Aktion Österreich-Ungarn“(54) und „Aktion Österreich- Tschechoslowakei“ begonnen haben.(55)
Österreich sah sich nach den politischen Umbrüchen von 1989 in einem „Wettbewerb“ zu anderen Staaten und war daher sehr bemüht, möglichst intensive Beziehungen zu seinen (süd)östlichen Nachbarn zu pflegen. Als besonderer Konkurrent wurde die Bundesrepublik Deutschland wahrgenommen. Daraus ergab sich eine bewusste Abgrenzung zur bundesdeutschen Sprachen- und Kulturpolitik. Kooperationen mit Goethe-Instituten waren daher nicht erwünscht, ebenso wie die Österreich-Bibliotheken als dezidiert österreichische Einrichtung(56) geführt werden sollten und die Lektoren neben der deutschen Sprache auch österreichische Landeskunde zu vermitteln hatten. Die Betonung der Eigenständigkeit der österreichischen Sprachvarietät und Kultur, gehört bis heute zu den Prioritäten der Außenkulturpolitik.(57)
Die Kulturpolitik wurde vom Außenministerium in den Umbruchjahren als ein Mittel verstanden zur Demokratisierung beizutragen. Argumentiert wurde das kulturelle Engagement mit einer „gemeinsamen“ Vergangenheit, aus der, wie Mock es ausdrückte, eine „spezifische österreichische Verantwortung“ abgeleitet wurde. Das Außenministerium sprach davon, dass Österreich „durch die Umwälzungen der letzten Jahre in sein natürliches Umfeld reintegriert wurde“(58) – Aussagen, die vom Mitteleuropadiskurs (u.a. Busek 1985; Ettmayer 1986; Pribersky 1991; Maier 1993) geprägt waren und auch als Argument für wirtschaftliche Investitionen herangezogen wurden.
Die Kulturpolitik darf jedoch hinsichtlich ihrer Wirkungskraft nicht überschätzt werden. Sie war nicht imstande, die politische Öffnung der südosteuropäischen Nachbarn wesentlich zu fördern. Außerdem galt für Österreich auch in der Kulturpolitik, dass der „europäische Wind [...] nach wie vor Westeuropa [hieß]; und nicht Mitteleuropa.“ (Pelinka 1991, 138) Für die Auslandskulturpolitik bedeutete dies als Folge der Bemühungen um einen EG-Beitritt eine Orientierung nach (West-)Europa.(59)
LITERATUR
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