Editorial


Abb. 1 Geburtstag

Alois Ecker, Klaus Edel, Hanna-Maria Suschnig

Feste finden laufend statt: Gestern feierten wir Geburtstag, heute feiern wir den Nationalfeiertag, morgen wird eine Schulfeier anlässlich des 125-jährigen Bestehens unserer Schule veranstaltet. Nicht alle Feste haben dieselbe Funktion. Es gibt staatlich legitimierte Feste, wie den Nationalfeiertag. Es gibt private Feste im Kreis der Familie und der Freunde. Es gibt Feste, deren Inhalt in den Bereich des Kultischen und Magischen verweisen, es gibt religiöse Feste – und es gibt politische Feste. Manche Feste haben offenbar mehr als eine Funktion, sie lassen sich, wie Weihnachten, sowohl als Fest der Familie, als religiöses Fest, als auch als „Fest“ des Geldes und Konsums gebrauchen. Dennoch fällt es uns nicht schwer, die Vorstellung vom „Fest“ oder einer „festlichen Zeit“ vom „Alltag“ zu unterscheiden. Den Fragen, womit das zu tun hat, welche Funktionen Feste erfüllen können und was denn das Spezifische an einem politischen Fest ist, wird in diesem Themendossier nachgegangen. Exemplarisch wird die politische Festkultur sodann am Beispiel des Ersten Mai, des Tags der Arbeit, analysiert.

Der Tag der Arbeit ist nicht nur in Österreich ein staatlicher Feiertag. In den meisten Ländern Europas, aber ebenso in Mexiko, Brasilien, in der Volksrepublik China, in Russland, der Türkei und in Südafrika wird der Erste Mai als „Tag der Arbeit“ gefeiert. Auch in den USA und in Kanada ist der „Labor Day“ ein nationaler Feiertag, er wird dort aber am ersten Montag im September abgehalten. Ursprünglich als Kampfmaßnahme für den Achtstunden-Tag beschlossen, wurde der „Tag der Arbeit“ seit 1890 sowohl als Kampf- wie auch als Feiertag der internationalen Arbeiterschaft inszeniert.

In Österreich war der Erste Mai in der Ersten Republik neben dem 12. November sogar Nationalfeiertag. Nach 1933 wurde er zunächst vom Dollfuß-Regime, dann von den Nationalsozialisten den ideologischen Zwecken der faschistischen Regime unterworfen. So fungierte er beispielsweise 1934 als nationaler Festtag, über den sich die Diktatur des „Ständestaats“ inszenierte, während die traditionellen Maiaufmärsche der Sozialdemokraten und der Kommunisten bereits im Jahr 1933 vom Dollfuß-Regime verboten wurden.

Nach den Jahren des Faschismus erneuerten zunächst die sozialdemokratische und die kommunistische Partei die Festkultur der Arbeiterschaft. Zusätzlich erhielt der Erste Mai in der Zweiten Republik auch die Funktion einer politischen Leistungsschau und Jahresbilanz der SPÖ. Die Arbeitnehmerverbände der ÖVP zogen 1957 mit eigenen Maifeiern nach. Seit den 1980er-Jahren etablierten sich auch dieanderen politischen Parteien in Österreich mit eigenständigen Erste-Mai-Feiern, in denen ebenfalls aktuelle politische Ziele zu Fragen der Arbeits- und Wirtschaftspolitik thematisiert wurden.

 

Politische Festkultur im GSP-Unterricht

Politische Festkultur im Unterricht für Geschichte/Sozialkunde und Politische Bildung zu thematisieren scheint mehr als naheliegend, liegen politische Feste doch an einer Schnittstelle zwischen politscher und kultureller Entwicklung einer Gesellschaft. Die kulturwissenschaftliche Wende in der Geschichtswissenschaft stellt mit ihrer Schwerpunktsetzung auf den Diskurs, die Performanz und die audio-visuellen Produkte menschlicher Gesellschaft zudem das entsprechende theoretische und zunehmend auch das methodische Instrumentarium zur Verfügung, um politische Feste historisch zu interpretieren.

Im historischen Längsschnitt stellt die Festkultur rund umden „Tag der Arbeit“ ein spannendes Thema der historisch-politischen Bildung dar: Die Bearbeitung der politischen Festkultur bietet nicht nur Auseinandersetzung mit textlicher Information, sie ermöglicht es ebenso, die politisch handelnden Menschen in der Vielschichtigkeit ihrer Ausdrucksformen (politische Reden, Musik, Gesang, Straßendemonstration, Tanz etc.) zu zeigen. Mögliche Fragestellungen rund um dieses Thema sind beispielsweise: Der Wandel der politischen Forderungen der Arbeiterschaft, die Demonstration wachsender politscher Macht, die identitätsbildende und sinnstiftende Funktion von Festen, die Veränderung der Inszenierung der politischen Repräsentant/innen, der Wandel der politischen Performance, die Bedeutung der verwendeten Symbole, die historischen Hintergründe und die Ursprünge der politischen Festkultur, die Ideologisierung und der Missbrauch der Arbeiterkultur durch die faschistischen Regime, die Veränderung der Ziele und Werte, die über die jeweilige Festveranstaltung transportiert wurden.

Abb. 2 1. Mai 1922. Die am Gehsteig vor dem Parlement stehende Parteispitze erwidert den Gruß der Vorbeiziehenden

In Gesprächen zwischen Alois Ecker, Klaus Edel und Peter Dusek, dem damaligen Leiter des Fernseharchivs des ORF, entstand im Jahr 2002 das Konzept für ein „online Themenarchiv zur historisch-politischen Bildung“: Ausgewählte kulturpolitisch relevante Wochenschauberichte und Nachrichtenfilme sollten, thematisch geordnet und im historischen Längsschnitt systematisiert, für den historisch-politischen Unterricht adaptiert werden. Zwei Serien solcher Kurzfilmsammlungen wurden im Rahmen von „Geschichte online“ (2002–2004) aufbereitet: Die eine beinhaltet eine Sammlung von Reden der österreichischen Bundespräsidenten zum Nationalfeiertag (1957–2008) die andere bringt in einem Längsschnitt von genau hundert Jahren Filmdokumente zu den Erste-Mai-Feiern in Wien (1912–2012). Die Filme sind auf der Lernplattform des Fachdidaktikzentrums Geschichte, Sozialkunde und Politische Bildung, didactics online, unter www.didactics.eu/index.php (Zugriff 12. April 2012), Erster Mai, und unter www.didactics.eu/index.php (Zugriff 12. April 2012)(1) Nationalfeiertag, abrufbar. Sie können für den Unterrichtsgebrauch kostenlos eingesetzt werden.

Eine exemplarische Auswahl des Filmmaterials zum Tag der Arbeit ist auch über die Didaktik der Geschichte,  (Kontakt: Eva Bruckner, Tel. 01/4277-40012, Email: fdzgeschichte@univie.ac.at) zu einem Unkostenpreis von zwei Euro bei Selbstabholung und fünf Euro per Post zu bestellen.

Das vorliegende Themendossier bietet Vorschläge für die didaktische Aufbereitung und Umsetzung des Themas „Tag der Arbeit“ im GSP-Unterricht der Sekundarstufe. Ein Schwerpunkt ist der historischen Dekonstruktion des Festes der Arbeit aus kultischen, religiösen und politischen Traditionen gewidmet, ein zweiter der Mediendidaktik bzw. der Filmanalyse, ein dritter Schwerpunkt nimmt den Wochenschaubericht zu den Maifeiern des Dollfuß-Regimes im Wiener Praterstadion 1934 zum Ausgangspunkt für eine kritische Bearbeitung der Erste-Mai-Feiern im historischen Längsschnitt.

 

Aufbau der Themendossiers

Abb. 3 interdisziplinäre Teams

Die Themendossiers werden von interdisziplinär zusammengesetzten Teams von Wissenschafter/innen und Fachdidaktiker/innen nach einem einheitlichen didaktischen Konzept entwickelt. Die Dossiers bieten den Schülerinnen/den Schülern vielfältige Möglichkeiten strukturelles Denken zu entwickeln, darüber zu reflektieren und eigenverantwortlich in neuen Situationen erfolgreich anzuwenden. Sie sind theorie- und forschungsgeleitet, prozessorientiert, medial unterstützt sowie modular einsetzbar von der 8. bis zur 13. Schulstufe. Dieser Konzeption entsprechend besteht auch das vorliegende Themendossier aus fachwissenschaftlichen und didaktisch-methodischen Einführungstexten für Lehrer/innen zu den Themenbereichen „Politische Festkultur“ und „exemplarische Analyse von historischen Nachrichtenfilmen über politische Feiern zum Tag der Arbeit“. Die Verknüpfung der jeweiligen historischen Perspektive mit der Dekonstruktion dieser Darstellungen aus gegenwärtiger, kritisch-analytischer Perspektive steht dabei im Vordergrund. Im Anschluss an die fachwissenschaftlichen Überlegungen folgt eine Reihe von konkreten fachdidaktischen Anregungen zur Unterrichtsgestaltung. Neben der prozesshaften Beschreibung eines möglichen Unterrichtsablaufs wird auch in jedem Beispiel eine Möglichkeit der Ertragssicherung und der Rückkoppelung angeboten. Jedoch wurde bewusst auf genaue Vorgaben von Stundenbildern verzichtet. Die Unterrichtsvorschläge zeigen vielmehr exemplarisch Wege auf, wie die Themenbereiche und Arbeitsaufgaben an die jeweilige Zielgruppe angepasst werden können. Dabei wurde großer Wert auf Praxisnähe gelegt. Ein Großteil der Materialien wird auch als Kopiervorlagen (teilweise inklusive Lösungsblätter) angeboten.

Die Redaktion hofft, dass das vorliegende dritte Heft der Themendossiers eine sinnvolle Bereicherung für die Planung und Durchführung des historisch-politisch bildenden Unterrichts darstellt. Über ihre Anregungen und kritischen Ergänzungen freut sich die Redaktion (p.a. hanna-maria.suschnig(at)univie.ac.at).

dgpb © Alois Ecker, Klaus Edel, Hanna-Maria Suschnig