Editorial


Abb. 1 Lohn-Gleichstellung

Alois Ecker, Klaus Edel, Hanna-Maria Suschnig

Viviane Reding, EU Kommissarin für Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft, präsentierte am 21. September 2010 die „Europäische Gleichstellungsrichtlinie“. Ziel der Strategie ist die Gleichstellung der Geschlechter im Berufsleben, konkret beim Zugang zu Beschäftigung, Entlohnung, Ausbildung und Arbeitsbedingungen. Reding forderte auch einen höheren Anteil von Frauen in Führungspositionen. In einem Interview in „Die Welt“ begründete sie ihr Anliegen folgendermaßen: „Wenn bis Ende 2011 nichts geschieht, müssen wir über gesetzliche Quoten nachdenken. Als Zielgröße habe ich dabei einen Frauen-Anteil von 30 Prozent in Aufsichtsräten im Auge, der bis 2015 erreicht und bis 2020 auf 40 Prozent erhöht werden soll.“ (www.welt.de/die-welt/wirtschaft/article9692668/EU-Kommission-droht-mit-Frauenquote.html , Zugriff 20. September 2010)

Quotenregelung, Genderbudgeting oder Ein kommensschere, das sind nur einige der Schlagwörter, die benutzt werden, um das noch immer bestehende ungleiche Verhältnis von Frauen und Männern in Politik und Wirtschaft zu thematisieren. Warum aber verdienen Frauen noch immer deutlich weniger als Männer? Warum sind viel weniger Frauen als Männer in der Politik präsent? Warum gibt es so wenige Frauen in Wirtschaft und Politik in Spitzenpositionen?

Mit der Auseinandersetzung über diese Fragen führt das Heft 2 der Zeitschrift „historisch-politische bildung. Themendossiers zur Didaktik von Geschichte, Sozialkunde und Politischer Bildung“ in eine aktuelle Debatte des politischen Systems ein, dem Verhältnis von Frauen und Männern im öffentlichen Raum. Dargestellt wird die Genderthematik am Beispiel der Situation von Frauen in der Erwerbsarbeit und anhand ihrer Rollen als politische Repräsentantinnen. Beide Beispiele werden in ihre jeweilige historische Entwicklung eingebettet.

Der Begriff „Gender“ wurde in den 1950er- bzw. 1960er- Jahren zunächst von amerikanischen Sozialwissenschafter/innen entwickelt, um die soziale und kulturelle Konstruktion des Geschlechts (engl. „gender“) gegenüber der Beschreibung von biologischen und physiologischen Unterschieden zwischen Frauen und Männern (engl. „sex“) zu unterscheiden. Mit dem wachsenden Be wusstsein gegenüber dieser Differenz in den Geistes- und Kulturwissenschaften wurde der Begriff ab den 1970er Jahren auch in der deutschen Sprache eingeführt.

Gender“ bezeichnet demnach alles, was in einer bestimmten Gesellschaft und Kultur als typisch „weiblich“ oder „männlich“ gilt (Kleidung, Beruf, Verhalten, psychische Disposition) und bezieht sich nicht unmittelbar auf die körperlichen Gegebenheiten von Frauen und Männern. Eng verknüpft mit dem Gender-Begriff sind die Begriffe der „Geschlechterrolle“ (Ecker 1985) , der „Geschlechtsidentität“ und des „Geschlechtscharakters“. (Hausen 1976)

Abb. 2 Gender

Die Begriffe sind Teil jenes wissenschaftlichen Diskurses, mit dem eine Sensibilisierung für das Verhältnis von Frauen und Männern in einer Gesellschaft erzeugt werden soll. Zumeist geht es dabei darum, die feststellbaren Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern in Politik, Wirtschaft und Kultur zu beschreiben und einer kritischen Reflexion zuzuführen. Aufbauend auf die Einsicht in die vorhandenen strukturellen Bedingungen solcher Ungleichheiten sollen Möglichkeiten für Lösungsstrategien dieser Spannungsverhältnisse aufgezeigt oder jedenfalls vorstellbar werden. Dies ist auch eine Zielsetzung der hier publizierten Texte.

Die Zugangsweise entspricht dem bei der 3. und 4. UN- Frauenkonferenz (Nairobi 1985, Peking 1995) entwickelten Konzept des Gender Mainstreamings. Anders als die explizite Frauenpolitik bezieht sich Gender Mainstreaming gleichermaßen auf beide Geschlechter. Innerhalb der EU wurde dieses Konzept durch den Amsterdamer Vertrag (1997 u. 1999) zum offiziellen Ziel der Gleichstellungspolitik in Europa gemacht.

Im Sinne der historisch-politischen Bildung werden die feststellbaren Geschlechterverhältnisse nicht nur einer gegenwartsbezogenen Analyse, sondern einer geschichtlichen Betrachtung unterzogen. Die Betrachtung der bestehenden Geschlechterverhältnisse im historischen Längsschnitt ermöglicht es, nach den Faktoren zu fragen, die zu den heute feststellbaren Ungleichheiten beigetragen haben. Zugleich wird es dabei möglich, Veränderungen der Position eines Geschlechts in der Gesellschaft im Verlauf der Jahre und Jahrzehnte sichtbar zu machen. In vielen Fällen wird aus den so gewonnenen Daten kein eindeutiger Befund für eine Besser- oder Schlechterstellung aller Frauen oder Männer in einer Gesellschaft abzuleiten sein. Strukturelle Daten zeigen Trends auf, die dann hinsichtlich ihrer Vor- und Nachteile für eine konkrete Lebens- oder Berufssituation weiter analysiert werden müssen.

So erfahren die Leser/innen beispielsweise in den nachfolgenden Texten, wie sich die Geschlechterproportion in einzelnen Teilen des Bildungssystems verändert hat. Sie erhalten Kenntnis von der wachsenden Erwerbsbeteiligung von Frauen in den vergangenen fünfzig Jahren und lernen, den Faktor Erwerbstätigenquote mit den Faktoren Existenzsicherung, wirtschaftlicher Sektor, Berufszweig, berufliche Position, Arbeitszeit und Lohn zu verknüpfen. Im zweiten Teil erfahren sie Details über den Anteil von Frauen und Männern als Repräsentant/innen in den verschiedenen politischen Institutionen und werden auf historische Ursachen für diese Proportionen aufmerksam gemacht.

 

Aufbau der Themendossiers

Abb. 3 interdisziplinäre Teams

Die Themendossiers werden von interdisziplinär zusammengesetzten Teams von Wissenschafter/innen und Fachdidaktiker/innen nach einem einheitlichen didaktischen Konzept entwickelt. Dieser Konzeption entsprechend besteht auch das vorliegende Themendossier aus fachwissenschaftlichen und didaktisch-methodischen Einführungstexten für Lehrer/innen zu den Themen - bereichen Frauen in der Erwerbsarbeit und Frauen in der Politik. Die Verknüpfung der jeweiligen historischen Perspektive mit der gegenwärtigen politischen Situation steht dabei im Vordergrund. Im Anschluss daran folgt jeweils eine Reihe von konkreten Anregungen zur Unterrichtsgestaltung.

Die Dossiers bieten den Schülerinnen und Schülern vielfältige Möglichkeiten, strukturelles Denken zu entwickeln und eigenverantwortlich in neuen Situationen anzuwenden. Sie sind theorie-und forschungsgeleitet, prozessorientiert, medial unterstützt sowie modular einsetzbar von der 8. bis zur 13. Schulstufe, sowohl für die Kernbereiche als auch die Erweiterungsbereiche des Lehrplans. Bei der Konzeption der Unterrichtsbeispiele wurde bewusst auf Stundenbilder verzichtet, die Vorschläge zur Unterrichtsgestaltung zeigen vielmehr exemplarisch Wege auf, wie die Themenbereiche und Arbeitsaufgaben an die jeweilige Zielgruppe angepasst werden können. Dabei wurde großer Wert auf Praxisnähe gelegt, ein großer Teil der Materialien wird auch als Kopiervorlagen incl. Lösungsblättern angeboten. Die Redaktion hofft, dass das vorliegende zweite Heft der Themendossiers eine sinnvolle Bereicherung für die Planung und Durchführung des historisch-politischen Unterrichts darstellt. Über ihre Anregungen und kritischen Ergänzungen freut sich die Redaktion (p.A. hanna-maria. suschnig(at)univie.ac.at).

dgpb © Alois Ecker, Klaus Edel, Hanna-Maria Suschnig