Hauptthemen der Unterrichtsbeobachtung


Klaus Edel

3. Hauptthemen der Unterrichtsbeobachtung

Abb. 47 zwei Hauptfragen

Zwei Hauptfragen beherrschen Unterrichtsbeobachtung und -analyse.

  • Was ist guter Unterricht?
  • Welche Störungen beeinträchtigen den Unterricht?

 

3.1 Was ist guter Unterricht ?

Die Frage "Was ist guter Unterricht?" mündet sehr rasch in einer Auseinandersetzung um die Klärung des Begriffs Unterricht.

Abb. 48 guter Unterricht?

Unter Unterricht versteht man Sequenzen des Lehrens und Lernens, für die im Regelfall pädagogische Einrichtungen (z.B. Schule, Universität) den institutionellen Rahmen bieten. Es ist ein komplexes soziales Geschehen, das stets mit konkreten Personen stattfindet. In der Mehrzahl der Fälle unterrichtet der/die LehrerIn eine Gruppe, nur selten Einzelpersonen. Im Sinne der prozessorienteierten Didaktik sind Kommunikation, didaktische Planung, thematische Abgrenzbarkeit sowie hinreichende zeitliche Ausdehnung (Helmke, 2009, S. 169f). wesentliche Merkmale. Vorrangig sollen Bildung bzw. Wissen aber auch Kompetenzen vermittelt werden.

Die Bewertung was unter gutem Unterricht zu verstehen sei, ist im Laufe der Geschichte immer wieder neu definiert worden.

 

3.1.1 Guter Unterricht - historische Entwicklung

Abb. 49 Paradigmenwechsel von "Denken unerwünscht" zu

Abb. 50 innovative Lösungen

Was als guter Unterricht bewertet wird, erfuhr im Laufe der Geschichte immer wieder eine Neuinterpretation und steht in engem Konnex zu den unterschiedlichen Zielen, die damit erreicht werden sollen. Allein in den letzten 50 Jahren ist hier ein mehrfacher Paradigmenwechsel zu verzeichnen.

 

Abb. 51 Lehrervortrag

Abb. 52 Grupppenarbeit

Abb. 53 Handlungskompetenz

3.1.1.1 Hierarchische Lernorganisation

Bis in die späten 60er bzw. beginnenden 70er Jahre des 20. Jahrhunderts wurde unter gutem Unterricht der rhetorisch ausgefeilte und inhaltlich gut strukturierte Lehrer/innenvortrag verstanden, durch diese "Meistererzählungen" wurde den Schülerinnen/Schülern in verständlicher Weise "objektives" Wissen vermittelt. Diesem von der Lehrer/innendominanz geprägten Unterricht mit hierarchischer Lernorganisation entspricht die fast ausschließliche Stofforientierung ebenso, wie die unkritische Affirmation des politischen Systems.

 

3.1.1.2 Teamorientierte Lernorganisation

Ab den 70er Jahren verlagerte sich, unter dem Einfluss emanzipatorischer Konzepte, der Fokus des Unterrichtens von der Wissensvermittlung zur Wissensaneignung durch die Schüler/innen. Kennzeichen guten Unterrichts wird eine teamorientierte Lernorganisation.

Im Lernprozess soll hier neben der kognitiven Aufnahme von Information auch die affektive/ emotionale Verarbeitung von Information zu Wissen erfolgen. Das wachsende Geschichtsbewusstsein führt konsequenterweise zu einem Unterricht in dem die Arbeit mit historischen Quellen wesentlich wird und problemorientierte Aufgabenstellungen an die Stelle einseitiger Lehrer/inneninterpreationen treten.

 

3.1.1.3 Kompetenzorientierung

Etwa um die Wende zum 21. Jahrhundert erfuhr der Lehrplan für Geschichte, Sozialkunde und Politsche Bildung mit der Methoden- und Kompetenzenorientierung sowie der Individualisierung eine weitere Innovation. Die Grundlage bildete das Modell das die internationale Projektgruppe „Förderung und Entwicklung von reflektiertem Geschichtsbewusstsein“, kurz: „FUER Geschichtsbewusstsein“, entwickelte. Zudem wurde über Initiative des Unterrichtsministeriums von einer Expertinnen-/ Expertengruppe ein eigenes österreichisches Kompetenzmodell für Politische Bildung entworfen, das sich zum Teil an jenem der FUER Gruppe orientierte.

Guter Unterricht geht damit über Informationsverarbeitung und reflektiertes Wissen hinaus und zielt auf die assoziative und emotionale Integration dieses Wissens in die Handlungsdimension der Adressatinnen/Adressaten, er bedient sich einer prozessorientierten Lernorganisation.

Gleichzeitig werden die Schüler/innen einer Klasse nicht mehr als homogene Lerngruppe gesehen, sondern in ihrer Inhomogenität abgeholt und ihre individuellen Divergenzen in Bezug auf Arbeitstempo, Lerntyp etc. im Unterricht berücksichtigt.

 

3.1.1.4 Politische Bildung, Module und Lernen mit Konzepten

Der neue Lehrplan 2016 für die Sekundarstufe I für Geschichte, Sozialkunde/ Politische Bildung stellte keine Fortschreibung des bisher gültigen dar, dem nur die Politische Bildung aufgepfropft wurde, sondern bedeutete eine Neugestaltung und Anpassung an den aktuellen geschichts- und politikdidaktischen Forschungsstand. Er wies drei wesentliche Schwerpunkte auf, Politische Bildung, Module, Konzepte.

 

3.1.1.4.1 Politische Bildung

Abb. 54 Logo der Demokratie-Initiative

Abb. 55 Beispiele für die drei Modultypen in GSK/PB für die 6. Schulstufe im Lehrplan 2016. (für eine Übersicht zu den Modulen im Lehrplan auf Foto klicken und zum Lehrstoff scrollen)

Im Juni 2007 beschloss der Nationalrat die Senkung des aktiven Wahlrechts auf das 16. Lebensjahr. Dadurch wurde es notwendig, die Schüler/innen vor Beendigung ihrer Pflichtschulzeit mit aktuellen Fragestellungen der Politischen Bildung zu konfrontieren, um sie zum eigenständigen politischen Denken und Handeln zu befähigen. Daher im neuen Lehrplan für Geschichte die Politische Bildung in der 8. Schulstufe    aufgenommen.

Da dies als nicht ausreichend angesehen  bzw. auch nicht in allen Schulen realisiert wurde, war es Ziel des Regierungsprogramms 2013 - 2018 Politische Bildung für alle Schüler/innen der Sekundarstufe I verpflichtend zu machen. Der Lehrplan GSK/PB von 2016 brachte die praktische Umsetzung, allerdings in einer neuen Form, als Pflichtmodul Politische Bildung für alle Schüler/innen beginnend mit der 6. Schulstufe. Aber nicht nur die Politische Bildung sondern auch der Geschichtsunterricht wurde modularisiert und darüber hinaus  der Überschneidungsbereich im Sinne historisch-politischen Lernens als Modul formuliert.

 

3.1.1.4.2 Module

Unter Modulen versteht der Lehrplan gebündelte Lerninhalte, die als Ganzes verpflichtend unterrichtet werden müssen und nicht aufgelöst und auf Teilaspekte reduziert dürfen. Es ist aber möglch die Reihenfolge der Module zu verändern und beispielsweise zwei inhaltlich zusammenhängende aneinander zu reihen.

Pro Schulstufe sind in GSK/PB für die Sekundarstufe I neun Module im Lehrplan fixiert, davon entfallen 5 auf die Historische Bildung, zwei auf die Historisch-politische Bildung und zwei auf die Politische Bildung. 

Die Module weisen alle das gleiche  Schema auf. Jeder Modul:

  • besitzt einen inhaltsbezogenen Titel.
  • zeigt mit der Kompetenzkonkretisierung die Vorgaben welche Ziele mit den historischen bzw. politischen Kompetenzen erreicht werden sollen.
  • umreißt in der Thematischen Konkretisierung die zu erarbeitenden Inhalte.

Die angeführten Teilkompetenzen sind mit den thematischen Konkretisierungen in Verbindung zu bringen.

Konkret sieht dies beispielsweise im Modul 9 der 6. Schulstufe folgendermaßen aus:

Modul 9 (Politische Bildung): Gesetze, Regeln und Werte

Kompetenzkonkretisierung:

- Politische Urteile hinsichtlich ihrer Qualität, Relevanz und Begründung beurteilen;

- Eigene politische Urteile fällen und formulieren;

- Interessens- und Standortgebundenheit politischer Urteile feststellen;

- Politische Meinungen und Interessen vertreten und durchsetzen;

- Führen von politischen Diskussionen (u.a. Diskussionsregeln und -strategien);

Thematische Konkretisierung:

- Gesetze und Normen aus der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler als positive und negative Machtinstrumente analysieren und diskutieren;

- Kinderrechte als persönliches Recht der Schülerinnen und Schüler kennen und auf verschiedene Lebenssituationen der Lernenden anwenden;

- Verletzungen der Kinderrechte im eigenen Umfeld und in verschiedenen Gesellschaften erkennen sowie Möglichkeiten ihrer Einhaltung und Durchsetzung diskutieren.

 

3.1.1.4.3 Lernen mit Konzepten

Mit dem neuen Ansatz "Lernen mit Konzepten" wird im Lehrplan 2016 für GSK/PB ein nächster Schritt in der Förderung der Selbstentwicklung der Schüler/innen eingeschlagen, der vom passiven Wissensempfang und unkritischer Repetition der "Meistererzählungen" der Lehrpersonen, zur gelenkten Wissensaneignung der Lernenden schließlich zur Förderung der eigenen Fähigkeiten/Kompetenzen führte. Aus der Sicht der Lernorganisation war dies der Weg von der hierarchischen über die teamorientierte zur prozessorientierten Lernorganisation. Der jüngste Schritt geht von der Überlegung aus, dass jeder Mensch bestimmte Konzepte, d. h.Vorstellungen von der Welt besitzt. Diese sind ein Produkt individueller Erfahrungen, der Erziehung und Sozialisation im privaten (Familie) und öffentlichen Raum (Bildungseinrichtungen, Sport, Kultureinrichtungen).

Im Sinne der Prozessorientierung verschafft sich die Lehrperson mit Hilfe der Adressatinnen-/Adressatenanalyse Informationen über die Vorkonzepte der Schüler/innen und kann damit, dem zirkulären Modell folgend, fachspezifische Lernräume schaffen, in denen ein Konzeptwechsel („conceptual change“) bzw. die Weiterentwicklung der Vorkonzepte der Lernenden ermöglicht wird, indem sie über ihre eigenen Konzepte von Geschichte und Politik reflektieren und sich auch mit den Konzepten anderer auseinandersetzen. Damit entwickeln die Schüler/innen ein „selbstreflexives Ich“, das in der Lage ist, Abhängigkeit von Erziehung und Sozialisationsprozessen zu erkennen. Die Entwicklung eines solchen (selbst-)reflexiven Geschichts- und Politikbewusstseins korreliert so mit den Zielen, des historischen bzw. politischen Kompetenzmodells(1).

Für das Lernen mit Konzepten wird zwischen Basis- und Teilkonzepten unterschieden.

Basiskonzepte:

  • sind Orientierungspunkte, die für die Strukturierung historischen und/oder politischen Wissens dienen und isoliertes Wissen miteinander verbinden können.

 

Im Lehrplan 2016 werden für die Sekundarstufe I drei Basiskonzepte angeführt:

Teilkonzepte:

  • sind weitere Einzelkonzepte, die einem oder mehreren Basiskonzepten zugeordnet werden und auf diese Weise auch Basiskonzepte miteinander verbinden können.
  • Für die Lehrenden eröffnet sich aufgrund der Abstraktheit der Basiskonzepte damit ein gewisser Freiraum indem die Lehrenden diverse als wichtig empfundene Teilkonzepte einbeziehen können.
  • Einige Teilkonzepte werden in den Modulen des Lehrplans bereits vorgegeben.

Beispielhaft wird das Teilkonzept Freiheit im Modul 7 (Historisch-politische Bildung): Vergangene und gegenwärtige Herrschaftsformen in der 6. Schulstufe von Thomas Hellmuth und Christoph Kühberger zu den Basiskonzepten in Beziehung gesetzt.(2)

Lernen mit Konzepten bedeutet, den Unterricht auf zentrale, im Unterricht immer wiederkehrende Konzepte auszurichten.

 

3.1.1.4.4 Didaktische Prinzipien

Abb. 59 Ursachenzusammenhang

Abb. 60 Scooter

Abb. 61 Scater

Abb. 62 Prozessorientierung

Abb. 63 Problemorientierung

Abb. 64 handlungsorientierter Unterricht. Bild Collage Heldenplatz erstellen, die einzelen Elemente und ihre Auswahl reflektieren

Abb. 65 Multiperspektive

Abb. 66 Wissenschaftsorientierung

Die Didaktische Prinzipien des Lehrplans sollen helfen, die Lerngegenstände sowie die Lehr-Lern-Methoden und anzuwendende fachspezifische Arbeitstechniken auszuwählen, die im Unterricht eingesetzt werden.(3) Folgende Prinzipien sind dabei Unterricht zu berücksichtigen:

  • Gegenwarts- und Zukunftsbezug
  • Beschäftigt sich mit der Frage, welche konkreten Ereignisse, Handlungen, Maßnahmen in der Vergangenheit haben unser Heute beeinflusst und wirken eventuell auch noch in unsre Zukunft. Dies  ist sowohl für geschichtliche wie auch politisch bildendene Bereiche relevant. Der Fokus liegt dabei auf Schlüsselproblemen die von Dauerhaftigkeit geprägt sind. Beispiele wären, Krieg und Frieden, Migration, geschlechtsspezifische Chancenungleichheit, Ressourcenverteilung, Ökologie, Globalisierung. Neben der Frage nach dem Ursachenzusammenhang geht es auch individulelle und kollektive Impulse bei Veränderungen. Ein spannendes Thema in diesem Sinne könnte Irland sein, von der Eroberung durch die Stuarts, dem Nationalismus des 19./20. Jahrhunderts, die Teilung Irlands, der Nordirlandkonflikt (Protestanten-Katholiken), die Aufnahme in die EG/EU von GB und IRL und aktutell die Probleme des Brexit mit den neuerlichen ökonomischen und politischen Problemen in und um Nordirland.

     

  • Lebensweltbezug und Subjektorientierung
  • Stellt als Antthese zum hierarchischen Lernprozess die Schüler/innen als Akteurinnen/Akteure in das Zentrum des Unterrichts und fordert die Einbeziehung jenes Raumes in den Unterricht der einerseits die Lernenden prägt (Normen) und andererseits den Ort ihrer Interaktionen darstellt. Wichtig sind dabei die „Sinnprovinzen“, worunter Spezialwissen der Schüler/innen (aktuelle Musikströmungen und deren Vertreter/innen der U-Musik, Filme, Fernsehserien (zB. Netflix), "Kultbücher", Vorstellungen von Geschichte und Politik) zu verstehen ist. Einen weiteren Inhalt stellen Sprach- und Dresscodes, die identitätsstiftend und gruppenbildend wirken, wie auch die (mediale)Kommunikation oder Freizeit-(Mobilitäts)geräte (Scooter, Skateboard). Mittels der Adressatinnen-/Adressatenanalyse können davon Aspekte Basis des Lernprozesses (Lernen mit Konzepten) werden. Um dies erfolgreich realisieren zu können, erscheint es hilfreich, wenn die Lehrer/innen sich ein Basiswissen zu diesen Sinnprovinzen aneigenen.

     

  • Prozessorientierung
  • betrachtet den Unterricht bzw. die Klasse als ein lernendes System das durch Kommunikation aufgebaut wird. Die Lehrperson ist Teil des Systems. Der Geschichte/Politische Bildungsunterricht ist ein dynamischer langfristig gedachter Prozess, der einer bewussten Planung und Steuerung bedarf. Mit Hilfe der Adressatinnen-/Adressatenanalyse erfolgt die Sichtbarmachung von Präkonzepten/ Basiswissen der Lernenden, die bzw. das dann durch die Auswahl für die Gruppe geeigneter Kommunikationsstrukturen und Methoden be-/verarbeitet werden können. Der Prozess bedarf aber auch einer immer wiederkehrenden Rückkoppelung durch die Schüler/innen bzw. der (Selbst-)Reflexion der Lehrer/innen.

     

  • Problemorientierung
  • meint die Einbeziehung von konkreten bzw. tagesaktuellen Fragestellungen (zB. Klimawandel, Einkommensgerechtigkeit) in den Lernprozess, es können aber auch Probleme sein, die die Lernenden selber betreffen (z.B. Migration, Krieg). In diesem Fall sensibles Vorgehen von Seiten der Lehrperson gefordert, damit es nicht zu persönliches "Verletzungen" Betroffener oder zum Ausbruch von Konflikten in der Klasse kommt (z.B. russische bzw. ukrainische Mitschüler; Flüchtlingskinder)

     

  • Exemplarisches Lernen
  • versucht an einem ausgesuchten konkreten Beispiel nicht das Außergewöhnliche, Besondere zum Thema zu machen, sondern es sollen die Strukturen, Prinzipen oder Regelmäßigkeiten herausgearbeitet, erfasst werden. Damit wird der spezielle Fall übergeführt auf die Ebene des Abstrakten. Dann steht bei der Analyse des Weihespiels des Dollfuß Regimes zum 1. Mai 1934 im Wiener Stadion nicht mehr die Abfolge der Reden und der historischen Darbietungen im Vordergrund sondern die Frage, wie und mit welchen Mitteln repäsentiert sich ein autoritärer oder totalitärer Staat. Mit welchen technischen Mitteln kann er die Bevölkerung erreichen. (ÖBuT).

     

  • Handlungsorientiertes Lernen
  • geht davon aus, dass die Lernenden sich eigenständig im Lernprozess mit dem Lerngegenstand auseiandersetzen und in interaktiven Sozialformen ein gemeinsames Produkt (z.B. Bildcollage, Tondokument, einen Stream) erstellen und dann präsentieen. Die Lehrperson bereitet die Lernumgebung vor, definiert das Produkt und grenzt es mit den Schülerinnen/Schülern ein. Während des Arbeitsprozesses ist die/der Lehrer/in Berater/in und bei der Präsentation Moderatorin. Im Sinne der Prozessorientierung spielt die Reflexion über das produkt bzw. der Teilprodukte und des Arbeitsprozesses eine wesentlcihe Rolle, damit das Ganze nicht zur "Erlebnispädagogik" verkommt. Das Feedback am Ende liefert dann die Rückkoppelung an die Lehrperson.-

     

  • Multiperspektivität
  • bedeutet das konträre Bild zur hierarchischen Lernorganistion, in der die/der Lehrer/in bei den Schülerinnen/Schülern den Eindruck erweckte, dass sie/er im Besitz der "objektiven Wahrheit" sei. Multiperpektivität bedeutet daher, dass historische oder politische Inhalte unter verschiedenen Perspektiven beleuchtet werden über die am Ende des Lernprozesses nicht abgestimmt wird, welche "wahr" bzw. "falsch" ist, sondern die nebeneinander bestehen bleiben und den Lernenden bewusst wird,dass es nicht nur eine "Wahrheit" gibt.

    Eng verbunden mit der Multiperspektive ist das Kontroversitätsprinzip das sicher stellt, dass die Schüler/innen nicht einseitig überwältigt bzw. indoktriniert oder manipuliert werden. Die /Der Lehrer/in muss dafür Sorge tragen eine Lernumgebung zu schaffen, die Kontroverses zulässt. Es ist dies auch ein wichtiger Punkt bei der Schulbuchanalyse als Basis für die Entscheidung mit welchem Schulbuch im nächsten Jahr unterrichtet werden soll.

     

  • Wissenschaftsorientierung
  • bedeutet, dass ein Thema nicht soweit heruntergebrochen/bearbeitet werden darf, um es beispielsweise als Rollenspiel zu gestalten, wenn dabei die wissenschaftliche Grundlage verloren geht, ganz zu schweigen davon, dass auch das Prinzip der Multiperpektivität abhanden kommt. Ebenso sollen die eingesetzten Methoden und Arbeitstechniken, den aktuellen Standards von Fachwissenschaft und Fachdidaktik entsprechen.

 

Abbildungsverzeichnis

  • Abb. 47 Zwei Hauptfragen © klaus edel, dgpb; © Gerd Altmann, www.pixelio.de
  • Abb. 48 guter Unterricht © S. Hofschlaeger, www.pixelio.de
  • Abb. 49 guter Unterricht 2 © Gerd Altmann, www.pixelio.de
  • Abb. 50 guter Unterricht 3 © Stephanie Hofschlaeger, www.pixelio.de
  • Abb. 51 Lehrervortrag © klaus edel, dgpb
  • Abb. 52 Gruppenarbeit © Stephanie Hofschlaeger, www.pixelio.de
  • Abb. 53 Handlungskompetenz © Rainer Sturm, www.pixelio.de
  • Abb. 54 Logo der Demokratie Initiative © BMUKK/BMWF
  • Abb. 55 Module GSK/PB © klaus edel, dgpb
  • Abb. 56 Basiskonzept Wissen © klaus edel, dgpb
  • Abb. 57 Basiskonzept Zeit © klaus edel, dgpb
  • Abb. 58 Basiskonzepte Gesellschaft © klaus edel, dgpb
  • Abb. 59 Ursachenzusammenhang © klaus edel, dgpb; Andreas Hermsdorf, www.pixelio.de
  • Abb. 60 Scooter © Stephanie Hofschlaeger, www.pixelio.de
  • Abb. 61 Scater © Marina Taylor, www.pixelio.de
  • Abb. 62 Prozessorientierung © Alois Ecker, fdz
  • Abb. 63 Probleme © M.E., www.pixelio.de
  • Abb. 64 Bild Collage Heldenplatz © klaus edel, dgpb
  • Abb. 65 Multiperspektive © Gert Egle [CC BY-SA 4,0], International license
  • Abb. 66 Wissenschaftsorientierung © klaus edel, dgpb; Wilhelm Busch [Public Domain], wikimedia commons

Abb. 67 kognitive Aufnahme versus dynamischer Prozess

3.1.2 Der Blick auf den Geschichtsunterricht

3.1.2.1 Konsequenzen einer systemischen Betrachtung des Geschichtsunterrichts

Geschichtsunterricht wird nach der Prozessorientierten Geschichtsdidaktik als ein besonderes soziales System, d.h. als eine besondere Form der Kommunikation betrachtet, welche zwischen einem/r GeschichtslehrerIn und einer Gruppe von SchülerInnen zu einem je konkreten Zeitpunkt und an einem konkreten Ort stattfindet. Mit den Begriffen "soziales System" und "Selbstreferenz" (Luhmann/Schorr, 1979) wird unterstrichen, dass jedes konkrete soziale System die Tendenz hat, in einer für sie typischen Form "Sinn" zu produzieren, der in unserem Fall um die Themen bzw. Konzepte der Geschichte (Macht, Herrschaft, Kultur, sozialer Konflikt etc.) zentriert ist.

Der Aufbau der geschichtlichen Welt hat mit dem Geschichtsunterricht also einen konkreten Platz, den es bewusst zu gestalten und verantwortlich zu betreuen gilt. Es empfiehlt sich daher, die soziale Dynamik, die in der Unterrichtssituation abläuft, als Teil des Lernprozesses zu betrachten. Die/Der Geschichtslehrer/in wird den Unterricht dann erfolgreich steuern können, wenn sie/er nicht nur die (kognitive) Aufnahme des historischen Inhalts durch die Schüler/innen im Auge behält, sondern auch die emotionalen Reaktionen bzw. die soziale Dynamik der Lerngruppe in Betracht zieht.

Bezogen auf die Geschichtsdidaktik bedeutet diese Einsicht:

  • Im Prozess des historischen Lernens muss neben der thematischen Struktur stets gleichzeitig die soziale Struktur als eigenständige Lernebene gesehen und (mit-) verwaltet werden.
  • Nur wenn die Lernorganisation selbst dynamisch gesteuert wird, kann ein Lernprozess gelingen, welcher den Schülerinnen/Schülern Einsicht in den historischen Prozess geben will.
  • Die Absicht, Einsicht in historische Prozesse zu ermöglichen, schließt in diesem Zusammenhang mit ein, dass die/der Geschichtslehrer/in fähig ist, dem Verständnis der Schüler/innen die zentralen Konflikte näher zu bringen, welche für eine bestimmte historische Situation als bestimmend angesehen werden. Es wäre für die SchülerInnen sehr langweilig, wenn z.B. für eine bestimmte historische Situation gerade die stärksten Interessenskonflikte verschleiert blieben.

Man denke nur an die nach wie vor extrem personalisierende Darstellung des Nationalsozialismus in den Geschichtslehrbüchern, die dem angeblichen Dämon Hitler tendenziell die Alleinverantwortung für die Eskalation der Gewalt, den Krieg und die Massenvernichtungen im Zweiten Weltkrieg zuschiebt, während beispielsweise den strukturellen Auswirkungen der Hochindustrialisierung, den Nachwirkungen imperialistischer Politik in der Weltwirtschaftskrise, der Unterstützung der NSDAP durch die deutsche Großindustrie und die Grossbanken sowie ihrer Rolle als Teil der Kriegsmaschinerie keinerlei Verantwortung zugedacht wird. - Ebenso wenig kommt in den Schulbüchern das Denunziantentum der großen und kleinen Profiteure unter der NS-Herrschaft zur Sprache oder, um eine andere Dimension der Tabuisierung zu nennen, die Verbrechen der Wehrmacht an und hinter der Front.

Die Herausarbeitung solcher Interessenskonflikte verlangt seitens der/des Lehrenden zum einen jene fachliche Kompetenz, wie sie für die multiperspektivische Betrachtung eines historischen Konflikts Voraussetzung ist, zum andern eine ausgeprägte kommunikative Kompetenz zur differenzierten Rollengestaltung in der Unterrichtssituation sowie die damit verbundene selbstreflexive Kompetenz. Die Selbstreflexion ist in der konkreten Lehrsituation neben der Beobachtung das zentrale Instrument der/des Lehrenden zur Wahrnehmung der sozialen Dynamik einer Lerngruppe.

 

3.1.2.2 Lehrer-/innenkompetenzen

Die Grundlagen für guten Unterricht bilden:

  1. Sachkompetenz
  2. Didaktische Kompetenz
  3. Handlungskompetenz
  4. Diagnostische Kompetenzen

 

Kommentar(4)

Abb. 68 Anforderung

Abb. 69 Sachkompetenz

Abb. 70 selbstreflexive Kompetenz

Abb. 71 kommunikative Kompetenz

Abb. 72 organisationsanalytische Kompetenz

Gefragt sind Geschichtslehrer/innen, für die Unterrichten nicht ausschließlich das inhaltliche Bearbeiten eines historisches Themas bedeutet, sondern die es in Bezug zur sozialen Dynamik des Lernfeldes vermitteln können und die historischen und politisch-bildenden Kompetenzen der Schüler/innen fördern und entwickeln. Dabei zeigen sie bei der Auswahl ihrer Unterrichtsformen Flexibilität, verlieren aber nie ihre Adressatinen/Adressaten und deren Interessen aus den Augen.

Damit sollen die Geschichtslehrer/innen der Zukunft auch jenen Anforderungen entsprechen können, die forthin als die zentrale Aufgabe für das Fach 'Geschichte und Politische Bildung' anzusehen ist und auch im Lehrplan eingefordert wird. 'Geschichte' fungiert als eine Kulturwissenschaft, die Methoden und Theorien bereitstellt, welche den raschen politischen, ökonomischen, gesellschaftlichen und kulturellen Wandel ohne grobe Vereinfachung analysieren und beschreiben helfen. Es ist eine der zentralen Aufgaben der Schule von morgen, eine so gerichtete Reflexionskultur im Schulalltag zu etablieren.

 

3.1.2.2.1 Sachkompetenz

  • Dazu zählt vor allem die Flexibilität im Umgang mit den erworbenen inhaltlichen und methodischen Kenntnissen des Faches.
  • Eingeschlossen ist aber in diesem Begriff auch der fachliche Umgang mit den historischen und politisch-bildenden sowie den Medien Kompetenzen.
  • Ebenso beinhaltet dies auch die Fähigkeit, über die Grenzen des eigenen Fachs hinaus, die Zusammenhänge von politischen, sozialen, wirtschaftlichen, und kulturellen Entwicklungen für den historischen Zeitraum zu erfassen und zu verknüpfen.
  • Weiters sind fächerübergreifendes Denken und Arbeiten, der Gegenwartsbezug der Inhalte aber auch die kritische, problembezogene und identitätsstiftende Auswahl und Bearbeitung von historischen Themen gefragt.

 

3.1.2.2.2 Didaktische Kompetenz

Diese umfasst die:

  • selbstreflexive Kompetenz
  • Darunter ist die Fähigkeit zur differenzierten Rollengestaltung und zur Rollendistanz in der Lehrsituation zu verstehen. Dazu gehört aber auch ein transparenter Umgang mit (institutioneller) Macht, ein sinnvoller Umgang mit Konflikten sowie die Fähigkeit, Übertragungen von Schüler/innenseite zu erkennen und von den eigenen Gegenübertragungssreaktionen zu trennen und Letztere nach Möglichkeit funktional in Bezug zum Unterrichtsgeschehen zu interpretieren.

     

  • soziale und kommunikative Kompetenz
  • Das bedeutet prozessorientiertes Denken und Arbeiten im Umgang mit dem sozialen Lernfeld (Schulklasse). Notwendig ist die Kompetenz in der Entwicklung und Durchführung erfahrungsorientierter Lernprozesse sowie die Fähigkeit zur Steuerung, Analyse und Reflexion von Gruppenprozessen. Notwendig sind dafür grundlegende Kenntnisse der lern- und entwicklungspsychologischen Theorien sowie der mediendidaktischen Befunde insbesondere in ihrer Relevanz für den Unterricht in Geschichte, Sozialkunde und Politischer Bildung. Wesentlich ist auch ein umfassendes Erfahrungswissen zum Einsatz und der Wirkung relevanter Arbeitsformen (z.B. Frontalvortrag, Gruppenarbeit, Rollenspiel, Projektunterricht) und Medien (Tonträger, Bild, Film, Video, Internet).

     

  • organisationsanalytische Kompetenz
  • Diese Kompetenz ist wesentlich im Umgang und bei der Einschätzung von Kooperationsmöglichkeiten mit Kolleginnen/Kollegen, Vorgesetzten und Eltern sowie potentiellen Partner/innen ausserhalb der Schule. In diesen Bereich fällt auch die Fähigkeit zur Organisation und Durchsetzung fächerübergreifender Zusammenarbeit und Projekte.

 

3.1.2.2.3 Handlungskompetenz

Abb. 73 einen geordneten Rahmen für die Lehr- Lernaktivitäten schaffen

Handlungskompetenz beschreibt die Fähigkeit, Fertigkeit und Bereitschaft von Lehrerinnen/Lehrern durch didaktische Planung sowie situationsgemäße Flexibilität einen geordneten Rahmen für die primär selbstgesteuerten Lernaktivitäten und die Kompetenzentwicklung der Schüler/innen zu schaffen. Diese Kompetenz schließt aber auch jene Fähigkeiten, Fertigkeiten und Bereitschaft mit ein, die es ermöglichen vorab Störungen in der Lernenden Organisation zu vermeiden bzw. angemessen auf sie zu reagieren.

 

3.1.2.2.4 Diagnostische Kompetenz

Abb. 74 Kenntnisstand, Lernfortschritt, Leistungsprobleme laufend beurteilen können

Ist die Fähigkeit, Fertigkeit und Bereitschaft der Lehrer/innen im Sinne der Adressatinnen-/Adressatenanalyse den Kenntnisstand (das Vorwissen) der Schüler/innen zu erheben, die Lernfortschritte und die Leistungsprobleme der Lernenden laufend einzuschätzen und in die Zukunft zu prognostizieren und dabei die individuellen Ausprägungen ihres Wissens, Denkens, Argumentierens und Meinens einzubeziehen.

 

Abbildungsverzeichnis

  • Abb. 67 Blick © klaus edel, dgpb; Rainer Sturm, www.pixelio.de
  • Abb. 68 Anforderung © Stephanie Hofschlaeger, www.pixelio.de
  • Abb. 69 Fachkompetenz © Stephanie Hofschlaeger, www.pixelio.de
  • Abb. 70 Selbstreflexion © sparkie, www.pixelio.de
  • Abb. 71 kommunikative Kompetenz © pepsprog www.pixelio.de
  • Abb. 72 Organisation © Gerd Altmann, www.pixelio.de
  • Abb. 73 Unterricht © Wolfgang Schütz, www.pixelio.de
  • Abb. 74 diagnostische Kompetenz © Gerd Altmann, www.pixelio.de

Abb. 75 Socrates, Büste römische Kopie eines griechischen Orginals, 1. Jhdt., Louvre Paris

Abb. 76 Blick aus dem Klassenzimmer "Es schneit!"

 

3.2 Welche Störungen beeinträchtigen den Unterricht?

"Die Jugend (....) hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor den älteren Leuten und schwatzt wo sie arbeiten sollte. Die jungen Leute (....) tyrannisieren ihre Lehrer." (Sokrates(5))

Störungen des Unterrichts sind also nichts Neues, wie man dem Ausspruch von Sokrates (469-399 v. Chr.) entnehmen kann und er widerlegt auch die häufig gebrauchte Wendung "Früher waren die Schüler/innen ganz anders", die als bequeme Analyse bei Problemen sofort zur Hand ist. 

 

3.2.1 Definitionen

"Unterrichtsstörungen" sind Ereignisse die den Lehr-/ Lernprozess beeinträchtigen, unterbrechen oder unmöglich machen, indem sie die Voraussetzungen, unter denen Lehren und Lernen erst stattfinden kann, teilweise oder ganz außer Kraft setzen" (Lohmann 2015, 13)

Vorausetzungen sind äussere, innere das Lernen ermöglichende Bedingungen:

  • physische, psychichische Sicherheit
  • Ruhe
  • Aufmerksamkeit
  • Konzentration

Störungen von Schülerinnen/Schülern verursacht:

  • mangelnder Lerneifer, manifestiert durch geistige Abwesenheit, sichtbares Desinteresse, Unaufmerksamkeit
  • Herausrufen, Zwischenrufe
  • aggressive verbale oder physische Attacken
  • Sachbeschädigungen
  • motorische Unruhe wie Herumgehen, Herumlaufen in der Klasse
  • auf den Sessel/Tisch steigen

Störungen von der Lehrperson verursacht:

  • Hektik
  • Herumbrüllen
  • mit der Faust/flachen Hand auf den Katheder oder einen Schüler/innentisch schlagen
  • sarkastische Bemerkungen machen
  • herabwürdigende Äußerungen tätigen

Störungen die von Außen stammem:

  • Durchsagen der Direktion/Administration
  • der Auftritt der/des Schulwartin/Schulwarts oder einer/eines Lehrerin/Lehrers
  • der Auftritt der/des Direktorin/Direktors
  • der Auftritt einer/eines Vertreterin/Vertreters der Bildungsdirektion
  • Baustellenlärm
  • Signale von Einsatzfahrzeugen
  • Verkehrslärm
  • plötzlicher Schneefall

 

Disziplinarkonflikt: bedeutet:

  • die von einer/einem Schüler/in nicht eingehaltenen/verletzten impliziten oder expliziten Regeln oder Normen (Schulordnung, SCHUG).
  • von der Lehrperson nicht eingehaltene impliziten oder expliziten Regeln oder Normen (wilkürliche Notengebung, persönliche verbale oder physische Übergriffe)

(nach Lohmann 2015, S.13)

 

3.2.2 Reaktionen

Abb. 77 Ermahnen, Drohen,Schreien

3.2.2.1 traditionelle, spontane Reaktionen

Die Reaktionen der Lehrpersonen auf Unterrichtsstörungen geschehen in vielen Fällen spontan und führen im Response auf die Kontraaktionen der Schülerin/des Schülers bzw. der Gruppe leicht zu einer sich ständig aufschaukelnden Situation vom immer häufigeren Ermahnen, zum Drohen und Brüllen und dem Setzen von nicht wirksamen Maßnahmen in eine Spirale die kaum  mehr beherrschbar erscheint und am Ende zu Burn out führen kann.

Eine ebenfalls immmer wieder anzutreffende Verhaltensweise von Lehrpersonen für diese Situation ist das Negieren von Störungen und die Leugnung der Tatsache von Störungen gegenüber Dritten, die von den Schülerinnen/Schülern als Schwäche angesehen wird und eher keine Lösung darstellt. Die Schüler/innen interpretieren das als Schwäche der Lehrerin/des Lehrers und fühlen sich ermutigt, die Situation weiter zu eskalieren.

Charakteristisch ist auch das Szenario alle Schuld an der/den Störung/en einer/einem einzelnen Schüler/in zuzuschieben. Die Pathologisierung dieses Falles hat den Vorteil, dass die Lehrperson, die Schüler/innen und auch die Eltern aus der Verantwortung entlassen sind. (Lohmann 2019, S. 16)

 

3.2.2.2 Reaktionen unter dem Aspekt der Prozessorientierung

Abb. 78 Steuerung des Unterrichts

Abb. 79 einen Gesprächskreis bilden, um die im Feedback benannten Probleme zu besprechen/ zu klären

Abb. 80 Reflexionstagebuch führen

Guter Unterricht ist nicht nur eine Frage der Fachkompetenz, sondern wird im Sinne der prozessorientierten Didaktik mindestens in gleichem Ausmaß von der Kompetenz zur Gestaltung der kommunikativen Bedingungen, die zwischen den am Unterrichtsgeschehen beteiligten Personen ablaufen, bestimmt.

Daher muss die/der Lehrer/in sowohl bei der Planung als auch bei der Steuerung des Unterrichts stets zwei Ebenen im Auge behalten:

  • Die Ebene der sozialen Beziehungen zwischen Lehrer/in und Schülerinnen/Schülern
  • Die argumentative Entwicklung auf der thematisch - inhaltlichen Ebene

Wenn, wie in der Einführug in die Unterrichtsplanung ausgeführt, die emotionale Beziehung zwischen den Akteurinnen/Akteuren die Arbeit am Inhalt nachhaltig bestimmen, aber auch irritieren kann, dann sind Störungen des Unterrichts als Probleme auf der kommunikativen Ebene zu interpretieren.

Mit diesem prozessorientierten Ansatz stehen den Lehrerinnen/Lehrern eine Reihe von Instrumenten zur Verfügung, die zu besseren Lösungen führen, als die traditionellen Reaktionen.

Einerseits wäre dies das spontane Einholen von Feedback (vgl. Unterrichtsplanung 8.2) von den Schülerinnen/Schülern, um eventuelle Irritationen festzustellen, wie beispielsweise:

  • Die Arbeit an dem Thema ist fad.
  • Unsere Meinungen werden zu wenig berücksichtigt.
  • Wir haben nicht alles verstanden.

Damit besteht für die Lehrperson anschließend die Möglichkeit die Planung nachzujustieren oder auch in der folgenden Einheit eine Diskussionsrunde zur Klärung einzuplanen, um Missverständnisse auszuräumen oder Unklarheiten zu beseitigen.

 

Für die Lehrperson selbst geht es um die (Selbst)Reflexion.

Mögliche Fragestellungen:

  • Wie ist die Stunde abgelaufen?
  • Was hat funktioniert?
  • Warum sind einige Schüler/innen unruhig geworden?
  • Wie kommuniziere ich mit meinen Schülerinnen/Schülern?
  • Binde ich wirklich alle Lernenden in den Lernprozess ein?
  • Wie funktioniert die Kommunikation zwischen den Schülerinnen/Schülern?
  • Wie ist das Klassenklima?
  • Was war wenig erfolgreich in der Einheit?...

Es ist sinnvoll die Reflexion möglichst zeitnah zur Lerneinheit zu machen und die Anworten schriftlich festzuhalten. Unter Umständen macht es Sinn ein Reflexionstagebuch zu führen.

Nach der Reflexion ist es wesentlich einfacher auf die Störungen auf der kommunikativen oder auch inhaltlichen Ebene durch entsprechende Handlungen zu reagieren und damit die emotionsgeladene Spirale der ständigen Eskalierung zu vermeiden.

Abb. 81 Mit dem Auge des Beobachters die Lernorganisation sehen

Bei schwierigen Problemstellungen von Störungen empfiehlt es sich eine/n Beobachter/in einzuladen. Das kann einerseits eine Kollegin/ein Kollege oder eine externe Person sein. Letztere hat den Vorteil, dass sie sicher unvoreingenommen zu Werke geht. Am besten die/der Beobachter/in bekommt ein paar Aufträge damit sie/ er sich orientieren kann, ergänzt von einer offenen Frage, wie "Was mir sonst aufgefallen ist", um zB. blinde Flecken aufzudecken.

Nach dem Beobachtungsgespräch kann dann über Strategien/Maßnahmen gesprochen werden, mit denen die Störung(en) behoben werden können.

Abb. 82 Beobachtungsfeld

Abb. 83 Körpersprache

Abb. 84 Raumbewegung

3.3 Vorschläge für mögliche Beobachtungsaufgaben/-aufträge

Beobachtungsfelder::

  1. Lehrer/innen - Schüler/inneninteraktion
  2. Lehrer/innenkompetenzen
  3. Methodisch - didaktische Konzeption des Unterrichts
  4. Unterrichtsinhalte

 

3.3.1 Lehrer/innen - Schüler/inneninteraktion

3.3.1.1 Lehrer/innenverhalten 1

Unterrichtsbeginn:

  • Art der Begrüßung
  • Zeichen für den Beginn setzen
  • Körperhaltung, Körpersprache
  • Kontaktaufnahme mit den Schülerinnen/Schülern (verbal - nonverbal)
  •  

    Unterrichtsverlauf:

  • Körperhaltung, Körpersprache
  • Bewegung der Lehrer/innen im Raum (unter Berücksichtigung der räumlichen Gegebenheiten)
  • Kontaktaufnahme mit den Schüler/innen (verbal - nonverbal)
  • Formulierung von Anweisungen und Arbeitsaufträgen
  • Formulierung von Fragen (Fragetechnik): offene Fragen, geschlossene Fragen (Entscheidungsfragen, Alternativfragen, Paraphrasierung, Reflexion), Frageformen (z. Befehlsfrage, Suggestivfrage), Wortwahl, Wortstellung
  •  

    Raumwahrnehmung:

  • Blinde Flecken, Verdrängungen, bewusstes - unbewusstes Ignorieren

 

3.3.1.2 Lehrer/innenverhalten 2

Bewegung im Raum (in Abhängigkeit von der konkreten Raumsituation) während:

  • des Lehrer/innenvortrages
  • der Gruppen- und Partner/innenarbeiten
  • des Medieneinsatzes
  • der Schüler/innenpräsentationen (Referate, ppt, prezi....)
  • des Lehrer/innen - Schüler/innengesprächs

 

Geschlechtsspezifischer Umgang mit Schüler/innen

  • Werden Schülerinnen oder Schüler bevorzugt befragt?
  • Werden Schülerinnen oder Schüler bevorzugt mit Aufgaben betraut?
  • Werden Schülerinnen oder Schüler unterschiedlich diszipliniert?

 

3.3.1.3 Lehrer/innenverhalten 3

Abb. 85 Lehrer/innensprache - Artikulation

Lehrer/innensprache:

  • Verwendung von Hochsprache - Umgangssprache
  • Betontes Sprechen im Dialekt
  • Benutzen einer Altersadäquaten Sprache
  • Fremdwörtergebrauch (ohne Rückfrage, ob die Schüler/innen das Wort kennen)
  • Rücksichtnahme auf Schüler/innnen mit nichtdeutscher Muttersprache
  • Sprechtempo (zu schnell/zu langsam)
  • Artikulation (betont, verschlucken von Endsilben ...)
  • Satzformulierung (unvollständige Sätze; grammatikalische Fehler....)
  • Fragestellung (Fragen - Suggestivfragen)
  • (häufige) Verwendung von Füllwörtern, Floskeln (also, ah, äh, hm, gut....)

 

Feedback geben:

  • Form
  • Inhalt

 

Unterrichtsende:

  • Art des Endes (Zeichen setzen)
  • Pünktlichkeit (nicht in die Pause hinein arbeiten)
  • Verabschiedung

 

3.3.1.4 Lehrer/innenkompetenzen

Abb. 86 Beobachtung: Den Fokus auf die fachlichen und methodischen Kenntnisse legen

Abb. 87 Wie wird die Lernende Organistion gesteuert?

Abb. 88 Mitarbeit

Sachkompetenz:

  • Flexibilität im Umgang mit den inhaltlichen Kenntnissen
  • Flexibilität im Umgang mit den methodischen Kenntnissen
  • der fachliche Umgang mit den historischen Kompetenzen
  • der fachliche Umgang mit den politisch bildenden Kompetenzen
  • fächerübergreifendes Denken und Arbeiten
  • verknüpfendes Denken
  • Gegenwartsbezug der Inhalte

 

Didaktische Kompetenz:

  • Durchführung erfahrungsorientierter Lernprozesse
  • differenzierte Rollengestaltung bzw. -distanz in der Lehrsituation

 

Handlungskompetenz:

  • Gestaltung des Rahmens für die Lehr- Lernsituation
  • Umgang mit Störungen

 

3.3.1.5 Schüler/innenverhalten

Reaktionen auf:

  • Stundenbeginn und Eröffnung
  • Anweisungen und Arbeitsaufträge der Lehrperson

 

Verhalten während des Unterrichts:

  • verbal - nonverbal
  • Reaktionen auf die/den Lehrer/in
  • Setzen von Signalen
  • Mitarbeit
  • Interaktion mit/zu Mitschülerinnen/Mitschülern
  • bei externen/internen Störungen
  • bei Gruppen-/ Partner/innenarbeit
  • Bewegung im Raum

 

Sprache:

  • Sprachwahl (Hochsprache - Umgangssprache - Dialekt)
  • Umgangston gegenüber der/dem Lehrer/in
  • Umgangston gegenüber den Mitschülerinnen/Mitschülern

 

3.3.1.6 Methodisch - didaktische Konzeption

Abb. 89 Projektpräsentation: Der Moderator im Liceo Mario Cutelli (Catania) befragt die Schüler/innengruppe (aus D,F,I,SK,M,A) zu ihren Plakaten (Comenius Projekt)

  • Einstieg in die Unterrichtsstunde
  • Anbindung/Einbindung vorangegangener Einheiten
  • Gliederung der Lerneinheit
  • Anpassung an die Bedürfnisse, Interessen, Zusammensetzung der Adressatinnen/Adressaten (Klasse)

 

Ziele

  • Informationsvermittlung
  • Kompetenzen vermitteln/üben
  • Werden bei den kompetenzorientierten Aufgaben die Operatoren (richtig) verwendet?
  • Fertigkeiten üben (zB. Plakate gestalten, ppt, prezi, Präsentation, in einem Text die wichtigsten Begriffe markieren)

 

Inhalte (Themen):

  • Lehrplankonformität
  • Subjektivität/Objektivität/Multiperspektivität

 

Sozialform:

  • Passt die Methode zum Inhalt?
  • Gibt es einen Methodenwechsel

 

Medieneinsatz:

  • Welche Medien werden verwendet?
  • Sind die Medien sinnvoll eingesetzt (zB. als Impuls) oder nur Zeitfüller?

 

Ertragssicherung :

  • Wie wird der Unterrichtsertrag gesichert?
  • Ist die Form auch nachhaltig?

 

Leistungserfassung:

  • durch mündliche Beurteilung
  • Mitarbeitsaufzeichnung

 

Feedback

  • Gibt es ein Feedback?
  • In welcher Form?

 

3.3.1.7 Unterrichtsinhalte

Abb. 90 (De)Konstruktion von Geschichtsbildern

  • Lehrplaneinbindung des Inhalts (Themas)
  • wissenschaftliche Fundiertheit
  • Einbindung des Inhalts in die Strukturgeschichte
  • (De)Konstruktion von Geschichtsbildern
  • Strukturiertheit
  • Sachfehler
  • Bedeutung der Inhalte für die Schüler/innen
  • Beziehung des Inhalts zu den Erfahrungshorizonten/Präkonzepten der Schüler/innen

LITERATUR

Altrichter, Herbert, Posch, Peter (31998). Lehrer erforschen ihren Unterricht, Eine Einführung in die Methoden der Aktionsforschung, Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt

Atteslander, Peter (102003) Methoden der empirischen Sozialforschung, Berlin, New York: Erich Schmidt Verlag

Baumgartner, Peter, Welte, Heike (Hg.) (2002). Reflektierendes Lernen, Beiträge zur Wirtschaftspädagogik, Innsbruck: Studienverlag.

Bichl, Sven (1998). Unterrichtsbeobachtung und –analyse während des Schulpraktikums, Diplomarbeit Univ. Linz

Borries, Bodo von (2008). Historisches Denken Lernen - Welterschließung statt Epochenüberblick, Geschichte als Unterrichtsfach und Bildungsaufgabe, Opladen: Budrich Verlag.

Ecker, Alois (1994).  Prozeßorientierte Geschichtsdidaktik. Neue Wege in der Ausbildung für
GeschichtslehrerInnen an der Universität Wien, in: www.geschichtsdidaktik.eu/index.php ( Zugriff 12.April 2011)

Ecker, Alois (2012/2015). Bausteine einer Theorie der Prozessorientierten Geschichtsdidaktik. geschichtsdidaktik.eu/fileadmin/user_upload/p_geschichtsdidaktik/Team/Dateien_Alois_Ecker/Fachartikel_AE/2012_Ecker_Historikertag_Theorie_PO.pdf (Zugriff 18. April 2023)

Fend-Wunsch, Dagmar (1992). Hat Subjektivität eine Chance, Unterrichtsbeobachtung – Unterrichtsbesprechung, in: Erziehung und Unterricht 9, Wien, S. 533- 538.

Gütl, Brigitte, Welte, Heike (2002). Traumtanz Schulpraktikum – das Bewegen in zwei Welten, in: Baumgartner, Peter, Welte, Heike (Hg.) (2002) Reflektierendes Lernen, Beiträge zur Wirtschaftspädagogik, Innsbruck: Studienverlag S. 238 - 262.

Helmke, Andreas (2009) Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität, Diagnose, Evaluation und Verbesserung des Unterricht, Seelze-Velber: Klett, Kallmeyer.

Immlinger, Edwina (2013). Unterrichtsstörung. Prävention ist besser als Intervention. Schulnachrichten zum Mut machen, Heft 1, September 2013.

Kern, Markus (2004). Qantitative und qualitative Beobachtung, Studienarbeit,  Univ. Wien
http://www.hausarbeiten.de/faecher/hausrbeit/sod/24817.html (Zugriff 18.März 2008)

Körber, Andreas, Schreiber, Waltraud, Schöner, Alexander (Hg) (2007). Kompetenzen historischen Denkens. Ein Strukturmodell als Beitrag zur Kompetenzorientierung in der Geschichtsdidaktik.Neuried: Ars Una.

Lohmann, Gert (122015). Mit Schülern klar kommen. Professioneller Umgang mit Unterrichtsstörungen und Disziplinkonflikten. Berlin: Cornelsen Verlag Scriptor GmbH & Co. KG

Paireder, Bettina (oJ.). Didaktik online https://geschichtsdidaktik.eu/projekte-konferenzen/laufende-projekte/didaktik-online/ (Zugriff 18. April 2023)

Posch, Peter, Altrichter, Herbert (1997). Möglichkeiten und Grenzen der Qualitätsevaluation und Qualitätsentwicklung im Schulwesen, Bildungs Forschung 12, Innsbruck, Wien

Sanger, Jack, Kroath, Franz (1998). Der vollkommene Beobachter, Studien zur Bildungsforschung & Bildungspolitik Bd. 19, Innsbruck-Wien

Schratz, Michael, Thonhauser, Josef (1996). Arbeit mit Fallgeschichten, Studien zur Bildungsforschung & Bildungspolitik Bd. 12, Innsbruck-Wien

Stanzel-Tischler, Elisabeth (1999). Evaluation der Schulversuche zum  Schuleingangsbereich, ZSE Report 28, Graz

Thonhauser, Josef, Patry, Jean-Luc (1996) Evaluation im Bildungsbereich, Studien zur Bildungsforschung & Bildungspolitik Bd. 22, Innsbruck-Wien

 

 

Abbildungsverzeichnis

  • Abb. 75 Socrates © Sting [CC BY-SA 2,5], wikimedia commons
  • Abb. 76 Schneefall © Rainer Sturm www.pixelio.de
  • Abb. 77 Schrei © JenaFoto24.de, pixelio.de
  • Abb. 78 Projekt_Gesch_Bew_07 © Martin Hämmerle, Universität Wien
  • Abb. 79 Gesprächskreis © Stephanie Hofschlaeger, www.pixelio.de
  • Abb. 80 Reflexionstagebuch © Rainer Sturm, www.pixelio.de
  • Abb. 81 beobachten © klaus edel, dgpb
  • Abb. 82 Spiegel © Günther Dotzler, www.pixelio.de
  • Abb. 83 Körpersprache © Uta Herbert, www.pixelio.de
  • Abb. 84 Raumbewegung © Martin Hämmerle, Universität Wien
  • Abb. 85 Lehrer/innensprache © Rainer Sturm, www.pixelio.de
  • Abb. 86 Beobachtung © Bernd Boscolo, www.pixelio.de
  • Abb. 87 Beobachten © Gerd Altmann, www.pixelio.de
  • Abb. 88 Mitarbeit © Martin Hämmerle, Universität Wien
  • Abb. 89 Projektpräsentation © Liceo Mario Cutelli, Catania
  • Abb. 90 Konstruktion von Geschichte © Bollinger Hanspeter, www.pixelio.de